Zeitung für Solidarität und Widerstand

Anklagen gegen Letzte Generation – Weg mit dem §129!

Das Landgericht München erhebt Klage gegen Mitglieder der ehemaligen Letzten Generation und der BGH bestätigt das Urteil im Antifa-Ost-Verfahren. – Wie der Staat den § 129 StGB systematisch für Repressionen nutzt und warum Solidarität in der Widerstandsbewegung unabdingbar ist. – Ein Kommentar von Alexandra Baer.

Die Generalstaatsanwaltschaft München nutzte den Paragraphen §129 StGB jüngst erneut, um gegen Mitglieder der ehemaligen Letzten Generation vorzugehen – trotz deren ausschließlich gewaltfreier Protestformen wie Straßenblockaden oder Flughafenaktionen. Am Montag wurden fünf Klimaaktivist:innen der Gruppe wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB angeklagt.

Parallel dazu wurde das Urteil gegen Lina E. im „Antifa-Ost-Verfahren“ vergangene Woche vom obersten Gerichtshof für Strafsachen, dem BGH, bestätigt: Über fünf Jahre Haft muss Lina E. unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung absitzen – und das, obwohl das Urteil auf einer fragwürdigen Beweislage und dem Kronzeugen-Prinzip basiert. Diese Fälle verdeutlichen, wie der §129 gezielt linke, antifaschistische und klimapolitische Gruppen trifft.

Doch die Schärfe des Paragraphen liegt vor allem in seiner Flexibilität: Schon der bloße Verdacht auf eine „kriminelle Vereinigung“ genügt, um Wohnungsdurchsuchungen, heimliche Überwachung von Chats oder das Verwanzen von Wohnungen zu legitimieren. Die 2018 erfolgte Verschärfung des Gesetzes – es reichen nun Straftaten mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren – öffnet Tür und Tor für die Kriminalisierung selbst geringfügiger Vergehen: So wird etwa die Nötigung (§240 StGB), die bei Straßenblockaden oft pauschal unterstellt wird, zum Vorwand, um Klimaaktivist:innen wie die Letzte Generation als „kriminelle Vereinigungen“ zu brandmarken.

§ 129 – Kriminalisierung von linkem Widerstand, auch im Fall von Lina E. und der „Letzten Generation“

Von der KPD und PKK zur Klimabewegung und Antifa: § 129 als Allzweckwaffe

Die Geschichte des §129 ist eine Geschichte politischer Verfolgung: In den 1950er Jahren traf er die KPD, ab den 1990ern die kurdische PKK, die über §129b kriminalisiert wird. Heute sind besonders Klimaaktivist:innen, revolutionäre Gruppen wie der Rote Aufbau Hamburg (2020) oder palästinensische Gruppen wie Samidoun Zielscheibe vom Paragraphen. Das §129b-Verfahren gegen Kenan Ayaz wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der PKK – ohne dass konkrete individuelle Straftaten verhandelt wurden – oder die zahlreichen Prozesse gegen Antifaschist:innen im „Budapest-Komplex“ unterstreichen: Der Paragraph dient nicht der Bekämpfung von Kriminalität, sondern der Unterdrückung unliebsamer politischer Positionen.

Haft für den Kurden Kenan Ayaz – Deutsche Gerichte als langer Arm der Türkei?

Gleichzeitig dient der §129 dazu, repressive Maßnahmen nachträglich zu legitimieren. Die Münchener Gerichte billigten nicht nur die Durchsuchungen bei Klimaaktivist:innen mit maskierten, schwer bewaffneten Einsatzkräften, sondern „heilten“ auch die rechtswidrige Beschlagnahmung der Website von der Letzten Generation.

Solidarität als Schutzschild gegen staatliche Willkür

Die Rote Hilfe e.V. warnt zu Recht: „Rechtsstaatliche Minimalstandards werden über Bord geworfen.“ Die staatliche Strategie ist offensichtlich: Durch mediale Hetze, überzogene Strafverfolgung und Einschüchterungsversuche soll nicht nur die Klimabewegung, sondern die gesamte politische Widerstandsbewegung eingeschüchtert werden.

Letzte Generation mit Klima-Protesten im ganzen Land – wie „rechtsstaatlich“ geht der Staat vor?

Die Lehre aus der Geschichte ist klar: Repressionsgesetze, die heute gegen „störende“ Minderheiten genutzt werden, treffen morgen breite Teile der Bevölkerung. Wer schweigt, wenn Klimaaktivist:innen zu Kriminellen erklärt werden, schweigt später vielleicht auch dann, wenn Gewerkschaften, Mieter:inneninitiativen oder Journalist:innen ins Visier geraten.

Widerstand ist kein Verbrechen

Der §129 StGB entlarvt den Widerspruch im Herzen des deutschen „Rechtsstaats“: Während die Bundesregierung ihre eigenen Klimaziele ignoriert, fossilen Lobbyismus belohnt und rassistische Strukturen verwaltet, werden jene bestraft, die diese Missstände anprangern. Die Klimakrise, die bereits heute Millionen Menschen existenziell bedroht, wird juristisch zur Nebensache – und die „Klimakleber“ zum Problem.

Doch die wirkliche „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ geht nicht von Klebeaktionen oder antifaschistischem Engagement aus, sondern von einem Staat, der Protest kriminalisiert, statt Probleme zu lösen. Solidarität mit den Betroffenen – ob Letzte Generation, Lina E. oder kurdische Aktivist:innen – ist daher keine Frage der politischen Sympathie, sondern der gemeinsamen Selbstverteidigung. Der §129 gehört abgeschafft – bevor er zur endgültigen Normalität wird.

Alexandra Baer
Alexandra Baer
Autorin Seit 2023. Angehende Juristin, interessiert sich besonders für Migration und Arbeitskämpfe. Alexandra ist leidenschaftliche Fußballspielerin und vermisst die kalte norddeutsche Art in BaWü.

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