Erneut hat ein Anschlag auf eine große Menschenmenge in Deutschland stattgefunden. Die Nachrichten über solche Angriffe häufen sich. Gleichzeitig ist die Politik unfähig, die wahren Ursachen für diese Gewalt zu erkennen. Migrant:innen sind es nämlich nicht, sondern das System. – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch.
Aschaffenburg, München, Villach, Mannheim. Die Gewalt scheint kein Ende zu nehmen. Allein dieses Jahr ereigneten sich vor dem gestrigen bereits drei Anschläge mit Todesopfern, die medial wie politisch große Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Am 22. Januar griff ein Mann eine Kitagruppe in Aschaffenburg an und tötete zwei Menschen, darunter ein Kleinkind. Am 13. Februar sorgte der Angriff auf eine ver.di-Streikkundgebung in München für einen Aufschrei, bei ihm verstarben die 37-jährige Gewerkschaftskollegin Amel und ihre zweijährige Tochter Hafsa. Und am 15. Februar kam es zu einem weiteren Messerangriff in Villach (Österreich). Am Montag nun die weitere Hiobsbotschaft: Ein Auto fährt mit hoher Geschwindigkeit durch die Mannheimer Innenstadt und tötet dabei zwei Menschen und verletzt mindestens zehn weitere.
Alle Fälle haben gemeinsam, dass sie Brüder, Schwestern, Mütter und Freunde aus dem Leben reißen. Und trotzdem unterschiedet sich der Angriff in Mannheim von den anderen, denn die rassistische Hetze und Forderungen nach härteren Abschieberegelungen bleiben aus. Der Täter war nämlich Deutscher und passt damit nicht in das von Medien und Politik gezeichnete Täterbild des „gefährlichen, islamistischen Migranten“.
Rassistische Berichterstattung
Im Fokus der Berichterstattung über die Angriffe der letzten Monate stand nämlich vor allem immer eines: die Herkunft des Täters. Beim Anschlag in München war sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auch nicht zu schade, Gerüchte über die vermeintliche Ausreisepflichtigkeit oder kleinere Strafdelikte des Täters in die Welt zu setzen. Im Nachhinein stellten sich diese Behauptungen alle als falsch heraus.
Dass die Medien einen maßgeblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben, ist wohl kaum zu leugnen. Dass sie dies bewusst ausnutzen, ebenso wenig. So soll es zum Beispiel beim deutschen Mediengiganten Springer interne Anweisungen gegeben haben, im aktuellen Krieg in Westasien unverhältnismäßig oft über israelische Opfer zu berichten und die schrecklichen Verluste auf palästinensischer Seite herunter zu spielen. Darüber sind sich auch Politiker:innen und die Reichen bewusst. Nicht ohne Grund liegen große Medien und Zeitungen in den Händen von Superreichen wie Jeff Bezos.
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Einer Expertise zufolge berichten Medien bei Gewaltdelikten überdurchschnittlich häufig von der Nationalität des Täter:innen, sobald diese einen migrantischen Hintergrund haben. 2014 spielte die Herkunft von Tatverdächtigen in der TV-Berichterstattung noch kaum eine Rolle. Nur in 4,8 Prozent der Fernsehbeiträge wurde sie genannt. Bis 2019 versiebenfachte sich diese Zahl fast auf circa 31,4 Prozent. Dabei waren die sogenannten „Silvesterkrawallnächte“ im Jahr 2015/2016 ein gefundenes Fressen, um der rassistischen Hetze und Spaltung eine neue Qualität zu verleihen.
Worüber hingegen nur selten berichtet wird: die Opfer. Denn sowohl dem Angriff in Aschaffenburg als auch dem in München sind Menschen zum Opfer gefallen, die selbst einen Migrationshintergrund haben. Diese Tatsache rückte aber in den Hintergrund – schließlich hätte das nicht ins Narrativ des migrantischen „Angreifers“ gepasst.
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Ursachen bekämpfen? Fehl am Platz …
Ein Ausschnitt aus der Wahlarena zur Bundestagswahl 2025 zeigt uns auf fast sarkastische Art und Weise, wie die politische Debatte rund um solche Anschläge in den meisten Fällen geführt wird und warum wir von der Politik keine nachhaltige Lösung erwarten können.
Eine junge Frau aus dem Publikum fragte den siegessicheren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU), wie eine „strenge Einreisepolitik ein Problem [gemeint waren die Anschläge] lösen soll, was ganz anderer Natur ist und zwar dass psychische Krankheiten in Deutschland nicht ausreichend behandelt werden.“
Friedrich Merz‘ grandioser Lösungsvorschlag, der komplett an der eigentlichen Frage vorbeiging: „Wir werden uns vor allem darum kümmern, dass diejenigen, die keinen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben, das Land so schnell wie möglich verlassen.“ Die Ursache solcher Anschläge ist jedoch nicht die Herkunft des Täters. Die Ursache ist ein System, das Menschen radikalisiert und in den psychischen Ausnahmezustand treibt.
Ein krankes System schafft kranke Menschen
Dass die Suche nach einem Therapieplatz in Deutschland die reinste Qual ist, wird den meisten klar, sobald sie sich selbst auf die Suche begeben müssen: dutzende Telefonate, Absagen, bürokratische Hürden, einzureichende Dokumente und teils monatelange Wartezeiten treiben die meisten in pure Verzweiflung und Resignation.
Doch Menschen werden nicht krank geboren, sondern krank gemacht. Psychische Krankheiten und besonders Depressionen steigen in den letzten Jahren stetig an. Das ist auch kein Wunder, wenn man tagtäglich mit Nachrichten und Bildern aus Kriegsgebieten konfrontiert ist, der eigene Job im Zuge von Stellenstreichungen im fünfstelligen Bereich auf wackligen Beinen steht, die Lebenshaltungskosten kontinuierlich steigen und die Weltmächte einen neuen großen Krieg vorbereiten.
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Nicht nur macht uns das System also krank und verwehrt uns unbedingt notwendige psychische Behandlung. Es nutzt diese aussichtslose Situation auch noch dafür aus, um uns mittels falscher Spaltungslinien wie Herkunft, Religion oder Nationalität gegeneinander auszuspielen.
So ist ein forensisch-psychiatrisches Gutachten zu der Einschätzung gekommen, dass der Angreifer in Aschaffenburg aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung zum Tatzeitpunkt schuldunfähig gewesen sein muss. Auch beim Anschlag in Mannheim gäbe es laut Mannheimischer Staatsanwalt „Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Täters.“
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Doch nicht alle Täter haben eine Geschichte psychischer Erkrankung. So bekannte sich zum Beispiel der Islamische Staat (IS) zum Anschlag in Solingen beim „Festival der Vielfalt” im letzten Jahr.
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Doch auch hier machen es sich Medien und Politik in ihren „Antworten“ sehr einfach. Denn weder eine härtere Asylpolitik gegen Geflüchtete noch die Überwachung der Gesellschaft werden die Ursachen solcher Anschläge beseitigen.
Erstens waren viele der Täter und ihre politischen Überzeugungen den Behörden mit den jetzigen Überwachungsbefugnissen bereits vor der Tat bekannt – nur wurde nie entsprechend gehandelt. Zweitens muss klar betont werden, dass nicht die Aufnahme von Geflüchteten die Ursache für solche Anschläge ist, sondern vielmehr die Bedingungen, die Menschen zu einer Radikalisierung im Sinne des islamistischen Fundamentalismus ermöglichen.
Welche Rolle spielen denn zum Beispiel die unmenschlichen Lebensbedingungen in deutschen Flüchtlingslagern dabei? Inwiefern schafft Deutschland durch seine Waffenlieferungen und politische Rückendeckung faschistischer Regime wie der Türkei oder Saudi-Arabien selbst Fluchtursachen?
Letztendlich sind es also die politischen Entscheidungen der deutschen Regierung, die immer wieder die Interessen deutscher Monopole über die Leben von Millionen Menschen stellt, die den Nährboden schaffen, sich zu radikalisieren und überhaupt für solche Ideologien wie den islamischen Fundamentalismus empfänglich zu werden.
Der Gewalt eine echte Alternative entgegenstellen
Wir sehen also relativ eindeutig, dass Politiker:innen kein ehrliches Interesse daran haben, die Ursachen für solche Anschläge zu bekämpfen. Das können sie auch gar nicht, weil sie damit ihrer wichtigsten Aufgabe – das kapitalistische System aufrechtzuerhalten – nicht nachkommen würden.
Faschistische Terroranschläge – ob in islamisch-fundamentalistischem oder völkisch-nationalistischem Gewand – patriarchale Gewalt oder ungerechte Kriege: Ein wirkliches Ende der andauernden Gewalt werden wir erst erreichen, wenn wir ihre Grundlage – das kapitalistische System, beruhend auf der Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit der Gesellschaft – überwunden haben und eine Gesellschaft entsprechend unserer Bedürfnisse aufgebaut haben.
Eine Gesellschaft, die nicht mehr von einer ständigen Existenzangst aufgrund von ökonomischer Ausbeutung, imperialistischen Kriegen, faschistischen Diktaturen oder hohen Grenzzäunen geprägt ist. Deshalb gilt es, sich schon jetzt der rassistischen Spaltung unserer Klasse durch Medien und Politik entgegenzustellen und den gemeinsamen Feind nicht neben sich, sondern über sich zu sehen.
In diesem Kampf können wir uns also nur auf uns selbst verlassen – nicht auf Politikbonzen, die solche Anschläge nur als faule Ausreden für den weiteren Ausbau eines Überwachungsstaats und der Hetze gegen Migrant:innen in diesem Land nutzen.
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