Nachdem die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Reaktion auf den Aufruf von Abdullah Öcalan, die Organisation aufzulösen und die Waffen niederzulegen, einen einseitigen Waffenstillstand verkündet hat, gibt es nun erste vorsichtige kritische Äußerungen von revolutionären Organisationen in der Türkei. Die Partei der Unterdrückten kritisiert, dass die kurdische Frage nach wie vor nicht gelöst sei.
Abdullah Öcalan, seit 26 Jahren in türkischer Isolationshaft, forderte die PKK vor kurzem über die kurdische DEM-Partei auf, einen Kongress einzuberufen, die Waffen niederzulegen und sich aufzulösen. Schriftlich nannte er keine Vorbedingungen, gab jedoch mündlich weiter, dass es „eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage“ in der Praxis bedürfe.
EIL: Öcalan ruft PKK auf, Waffen niederzulegen – wird sie das tun?
Die PKK erklärte sich bereit, den „Friedensappell“ zu unterstützen, betonte aber, eine endgültige Entwaffnung hänge von politischen Rahmenbedingungen, der Anerkennung durch den türkischen Staat und Öcalans Freilassung ab. Murat Karayılan, PKK-Kommandeur, verwies auf notwendige Schritte wie einen Kongressbeschluss und einen beidseitigen dauerhaften Waffenstillstand. Die DEM-Partei unterstrich, die Türkei müsse „demokratische Politik“ ermöglichen.
Türkische Angriffe gehen weiter
Ungeachtet der Ankündigung bombardierte die türkische Armee weiterhin Stellungen im irakischen Kurdistan und Rojava. In der Region Dêrelûk griffen Kampfhubschrauber Guerilla-Positionen an, während in Nordsyrien Kämpfe zwischen türkisch gesteuerten Milizen (SNA) und den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) eskalierten. Die Friedensinitiative CPT dokumentierte acht türkische Militäraktionen seit Öcalans Erklärung. Der Bau einer Militärstraße in der strategischen Zap-Region deutet auf langfristige Offensiven hin.
Nun berichten auch die der PKK angehörigen Volksverteidigungskräfte (HPG) über vermehrte Angriffe auf Guerillagebiete in Südkurdistan. Laut ihren Angaben warf der türkische Staat seit der Ausrufung des einseitigen Waffenstillstandes über 1.000 Granaten und andere Kriegsmunition über den Gebieten ab und nutzte auch verbotene Bomben. Die HPG gibt an, sich weiter an den Waffenstillstand zu halten und nur aus Selbstverteidigung heraus zu handeln. Bei den Angriffen sind ein türkischer Soldat sowie ein kurdischer Kämpfer getötet worden.
Co-Vorsitzender der ESP: Kurdische Frage weiterhin nicht gelöst
Die USA und die UN begrüßten Öcalans Initiative als „bedeutende Entwicklung“. UN-Generalsekretär António Guterres sprach von einem „Hoffnungsschimmer“, US-Vertreter:innen betonten eine potenzielle Entspannung mit der Türkei. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sah eine „Chance für Frieden“, während Linksparteien-Chef Jan van Aken die Aufhebung des PKK-Verbots und Öcalans Freilassung forderte. Die QSD in Syrien begrüßten den Appell, betonten aber, er betreffe nicht direkt ihre Strukturen.
Revolutionäre Organisationen in der Türkei und Kurdistan haben sich bisher nur sehr zurückhaltend zu der Aufforderung Öcalans geäußert. Vorsichtige Kritik äußerte der Co-Vorsitzende der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP), Murat Çepni, am Sonntag auf X: Die Aufforderung Öcalans, die Waffen niederzulegen, habe wegen der Dimension der kurdischen Frage historischen Charakter, jedoch sei die kurdische Frage nicht gelöst. Sie bestehe seit dem Osmanischen Reich über die Staatsgründung der Türkei bis heute weiter fort. Auch die Forderungen der kurdischen Freiheitsbewegung nach Demokratie und Freiheit seien weiterhin noch nicht erfüllt.
Die Kurd:innen hätten in der Vergangenheit unzählige Massaker überlebt, ihre Bewegung sei immer wieder neu erblüht und hätte in Regionen wie Rojava ein Beispiel für eine organisierte Gesellschaft geschaffen, die weltweit die unterdrückten Menschen inspiriert habe. Man könne und solle von ihnen keine Kapitulation erwarten.
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Ungewisse Zukunft
Ob sich die PKK letztendlich tatsächlich dazu entscheidet, ihre Waffen langfristig niederzulegen, und wie ein möglicher Friedensprozess aussehen könnte, bleibt abzuwarten. Ob dieser Schritt die kurdische Freiheitsbewegung voranbringt oder einen herben Rückschlag für sie bedeuten würde, hängt vor allem davon ab, welche Zugeständnisse die Türkei bereit ist, gegenüber den Kurd:innen anzubieten. Bisher gibt es noch keine öffentlich bekannt gewordenen Verhandlungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat. Insbesondere sind bisher keinerlei Zugeständnisse oder Angebote des türkischen Staats bekannt geworden.
Was sich festhalten lässt, ist, dass die kurdische Bewegung sich in einem kritischen und historisch wichtigen Moment in ihrer Entwicklung befindet. Die nächsten Wochen und Monate werden für die Bewertung dieser Entwicklung entscheidend sein.