Die EU-Kommission hat ihre neue „Verteidigungsstrategie“ vorgestellt und Russland als „Bedrohung auf dem Schlachtfeld“ definiert. Sie will die EU mit einem 150-Milliarden-Euro-Fond in sieben Kernbereichen aufrüsten.
Die EU-Kommission will die Länder der Europäischen Union für einen Krieg mit Russland aufrüsten. Am Mittwoch stellte die Führungsmannschaft der EU-Bürokratie ein Weißbuch vor, in dem sie ihre neue „Verteidigungsstrategie“ darlegt. Darin definiert sie Russland als eine „große strategische Bedrohung auf dem Schlachtfeld“.
Das Land, bereits „der mit Abstand am stärksten bewaffnete europäische Staat“, betreibe nun „eine Kriegswirtschaft, die in erster Linie auf die Verfolgung seiner Kriegsziele ausgerichtet“ sei und sich „auf industrielle Mobilisierung und technologische Innovation“ stütze. Die USA wiederum sähen sich „in Europa zu stark engagiert“ und würden daher „ihre historische Rolle als primärer Sicherheitsgarant“ reduzieren.
Sieben strategische Aufrüstungsfelder
Das Papier nennt vor diesem Hintergrund sieben Bereiche, in denen die EU-Staaten verstärkt investieren müssten, nämlich Luftabwehr, Artilleriesysteme, Raketen und Munition, Drohnen und Drohnenabwehrsysteme, militärische Mobilität, Cyberabwehr und strategische „Enabler“ zur Aufklärung und Führung großer Militäroperationen. Bisher sind die EU-Staaten in mehreren dieser Felder noch von den USA abhängig.
Zudem definiert das Weißbuch vier zentrale „multimodale Korridore“ (Schienen, Straßen, See und Luft) für die Truppenverlegung in Europa, die „umfangreiche und dringende Investitionen“ benötigten. Deshalb hat die Kommission 500 „Hotspots“ in Form z.B. von Brücken, Tunneln, Häfen und Flugplätzen identifiziert, die dringen saniert werden müssen. Dies dürfte auch der zentrale Hintergrund des 500-Milliarden-Euro-Sondervermögens der künftigen Bundesregierung für Infrastruktur sein.
150-Milliarden-Fonds
Die EU-Staaten dürfen in den kommenden vier Jahren bis zu 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes zusätzlich für Rüstung ausgeben, ohne dass diese bei den europäischen Schuldenregeln angerechnet werden. Damit wurde ein Weg zur Aufrüstung der Mitgliedsstaaten freigeräumt, der vorher von den EU-Schuldenregeln versperrt war.
Die EU-Kommission hat sich daneben zum Ziel gesetzt, gemeinsame europäische Rüstungsprogramme voranzutreiben, um die bisherige Zersplitterung der europäischen Kriegsindustrien zu überwinden. Ziel sei es, „die europäische Verteidigungsindustrie wirklich aufzubauen“, wie die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas aus Estland erklärte.
Zentrales Instrument dafür soll ein Fonds sein, der insgesamt 150 Milliarden Euro in Form von günstigen Krediten an die Mitgliedsstaaten vergeben soll. Diese sollen nur für Rüstungsgüter ausgegeben werden, die mindestens zu 65 Prozent in der EU und eng definierten Partnerstaaten produziert werden. Letztere sind Norwegen, die Ukraine, Japan, Südkorea, Albanien, Nordmazedonien und Moldau. Ausgeschlossen vom Fonds sind dagegen etwa die NATO-Staaten USA, das Vereinigte Königreich, Kanada und die Türkei.
Außerdem sind Waffensysteme, die von Drittstaaten kontrolliert werden oder unbrauchbar gemacht werden können, ebenfalls von der Finanzierung durch den Fonds ausgeschlossen. Letzteres würde z.B. in Deutschland hergestellte Patriot-Raketen des US-Herstellers RTX betreffen.
Auseinandersetzung zwischen Frankreich, Deutschland und UK
Vor allem die französische Regierung hatte darauf bestanden, die Gelder des Fonds vor allem auf EU-Länder zu beschränken, um die „strategische Autonomie“ des Bündnisses zu stärken. Diese Ausrichtung ist schon lange ein wichtiger Punkt der Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Deutschland. Die Taktik der BRD besteht eher darin, die Machtfülle der EU und die der NATO in militärischen Fragen zu balancieren.
So plant Berlin zwar gemeinsam mit Paris die Entwicklung eines neuen Kampfjets und eines neuen Kampfpanzers, setzt bei der Luftabwehr aber auf das israelisch-amerikanische System Iron Dome mit dem Hauptkomponenten Arrow 3. Dazu hatte die Bundesregierung schon 2022 eine eigene europäische Initiative im Rahmen der NATO namens „European Sky Shield Initiative“ (ESSI) gestartet, an der mehr als 20 europäische Staaten inklusive dem Vereinigten Königreich und der Türkei beteiligt sind. Nicht mit dabei sind jedoch etwa Frankreich und Italien.
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Zwar bemühen sich derzeit fast alle europäischen Regierungen angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Herausbildung einer neuen Geostrategie durch die USA die Einigkeit Europas zu beschwören. Hinter der Einheitsrhetorik zeichnet sich jedoch bereits ab, dass ein mögliches Auseinanderdriften der europäischen NATO-Staaten und der USA auch die Interessenkonflikte in Europa verstärken dürfte. Das gilt vor allem für die drei europäischen Mächte Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich sowie für andere größere Staaten wie Polen und Italien.
Ganz aktuell wird die Konkurrenz zwischen den genannten Staaten an der Frage der Bildung einer „Koalition der Willigen“ für einen möglichen Truppeneinsatz in der Ukraine deutlich: Frankreich und England wollen beide die Führung in einem solchen Militärbündnis übernehmen und können sich bislang nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, während Deutschland sich auffallend zurückhält und bislang darauf verzichtet, die Entsendung eigener Truppen anzukündigen.
In der Frage des Rüstungsfonds scheint das letzte Wort über eine britische Beteiligung immerhin noch nicht gesprochen zu sein: Die EU will mit dem Vereinigten Königreich noch über eine „Sicherheitspartnerschaft“ verhandeln. Der Hintergrund ist, dass einige britische Rüstungskonzerne wie BAE-Systems stark mit anderen Firmen in der EU verwoben sind – und sich daher kaum konsequent ausschließen lassen.
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