Burkhard Garweg, ehemaliges RAF-Mitglied, blickt aus dem Untergrund auf die Geschichte der Roten Armee Fraktion zurück. Er analysiert ihre Fehler, kritisiert die Militarisierung der Organisation und zieht Lehren für heutige Kämpfe. Sein Brief ist eine Abrechnung – und ein Aufruf zum Widerstand. – Ein Kommentar von Leon Wandel.
Die Rote Armee Fraktion (RAF) hat sich nach 28 Jahren ihres Bestehens im Jahre 1998 selbst aufgelöst. Mittels der Strategie der Großstadt-Guerilla lehrte die RAF Kapitalist:innen und Staatsbeamt:innen das Fürchten – und auch ein Teil der Arbeiter:innenklasse zeigte sich solidarisch mit den Revolutionär:innen. In den 70er-Jahren erklärte laut Umfragen ein Fünftel der Deutschen, bereit zu sein, einem RAF-Mitglied Schutz vor der Verhaftung zu bieten.
Doch ihre laut Garweg militaristische Praxis mit einer fehlenden Massenarbeit hatten zur Folge, dass es ihnen nicht gelang, sich langfristig in der Masse zu verankern und breite Teile der Arbeiter:innenklasse zu mobilisieren.
„Grüße aus der Illegalität“: Brief von Burkhard Garweg veröffentlicht
Die RAF ist mittlerweile schon lange inaktiv. Doch trotzdem wurde es in den vergangenen Jahren nicht still um ehemalige Mitglieder der RAF. Daniela Klette wurde vor etwa einem Jahr von der Polizei gefasst, nachdem sie jahrzehntelang ein Leben im Untergrund führte und dem deutschen Staat erfolgreich entkam. Am 25. März beginnt ihr Verfahren vor dem Landgericht Verden.
Burkhard Garweg (56) hat sich nun zum zweiten Mal mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Der erste Brief wurde im Dezember 2024 in der taz veröffentlicht. Garweg ist ehemaliges Mitglied der RAF und befindet sich weiterhin im Untergrund. Ursprünglich kommt er aus der autonomen Hausbesetzer:innenszene. In den Jahren 1989/90 schloss er sich der RAF an.
Heute zieht er in einem öffentlichen Brief, der auf nd-aktuell veröffentlicht wurde, Bilanz über die Strategie und Taktik der RAF und kritisiert die von einem inneren Militarismus geprägte Vorgehensweise – mit dem Ziel, aus der Vergangenheit Schlüsse für die Kämpfe von heute zu ziehen. Jahr für Jahr analysiert er die RAF und die politischen Bedingungen, die diese Entwicklungen prägten.
Bürgerliche Geschichtsschreibung verschleiert die Tatsachen
Garweg erklärt, dass er die RAF nicht glorifizieren, sondern die Schwächen der Bewegung analysieren und Rückschlüsse für zukünftige Kämpfe ziehen möchte. Er stellt sich dabei klar gegen die bürgerliche Geschichtsschreibung, die militanten Widerstand ausschließlich auf die Gewalt, die er ausübt, reduziert – mit dem Ziel, die politischen Inhalte und Klassenkonflikte zu verschleiern.
Burkhard Garweg erklärt die Gründung und Legitimität der RAF als eine notwendige Reaktion auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der BRD nach 1945. Er stellt sie in den Kontext des weltweiten revolutionären Widerstands gegen Kapitalismus, Imperialismus und staatliche Gewalt und betont, dass ihre Entstehung historisch bedingt und gerechtfertigt war.
Dabei hebt er die von alten Nazis durchsetzte BRD als einen wichtigen Grund hervor. Zudem nennt er als prägende Ereignisse für ihre Entstehung den Vietnamkrieg, die Morde an linken Aktivisten wie Benno Ohnesorg durch die Polizei und die Notstandsgesetze von 1968, die als repressiver Angriff auf linke Bewegungen gesehen wurden.
In der Entwicklung der RAF sieht er einen entscheidenden Punkt Anfang der 70er-Jahre. Nach den Verhaftungen der RAF-Mitglieder 1972 wurde die RAF laut Garweg in erster Linie eine Organisation von Gefangenen und deren Unterstützer:innen. Später bezieht er sich auch auf das Ende der Sowjetunion und der DDR und die damit einhergehende Stimmung, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gäbe. Dies führte auch die RAF in eine gewisse Sinnkrise.
Burkhard Garweg sieht in der Geschichte der RAF allerdings auch Entschlossenheit und Mut, und er schreibt, dass es diese brauche, um die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden. Außerdem schildert er eindrücklich die massiven Repressionen des deutschen Staats, der den Tod von politischen Gefangenen billigend in Kauf nähme – so zum Beispiel den von Holger Meins im Jahr 1974.
Militaristische Praxis und Attentatspolitik
Garweg setzt sich in seinem Brief kritisch mit der Strategie der RAF auseinander: Die RAF entwickelte sich von einer sozialrevolutionären Bewegung hin zu einer isolierten, militaristischen Organisation. Nach den Verhaftungen 1972 rückte die Befreiung der Gefangenen in den Fokus, was 1975 in der gewaltsamen Geiselnahme des Kommandos Volker Meins in der deutschen Botschaft von Stockholm mündete, es gab 2 Todesopfer. Mit der „Offensive 77“ brach sie endgültig mit gesellschaftlichen Bewegungen und setzte zunehmend auf militärische Aktionen.
Die Mai-Strategie von 1982 verstärkte diese Entwicklung, indem sie den Klassenkampf zugunsten eines abstrakten Antiimperialismus aufgab. Ziellose Attentate in den späten 80er und frühen 90er Jahren zeigten die fehlende strategische Perspektive. Der letzte Versuch einer Neuausrichtung 1993 mit der Sprengung des Gefängnisses in Weiterstadt kam zu spät – 1998 löste sich die RAF endgültig auf.
Die RAF-Festnahme und der revolutionäre Kampf gegen den deutschen Staat
Er beschreibt eine „militaristische Verselbstständigung“ der RAF, mit der für ihn ein Zweikampf gegen den deutschen Staat eröffnet wurde, den sie nur verlieren konnte. „Die militärische Dynamik führte“, so Garweg, „gegen eine politische Analyse“. In diesem Kontext rechnet Garweg mit der „Attentatspolitik“, ab, derer sich die RAF oft bediente. Er nennt sie eine „zum Dogma erhobene Form der Praxis“, mit der man keine revolutionäre Politik und Praxis erwirken könne.
Damit kritisiert er die Tendenz, den bewaffneten Kampf als Selbstzweck zu betreiben, anstatt ihn als strategisches Mittel im Rahmen einer revolutionären Bewegung zu verstehen. Er beschreibt diese Praxis als eine, bei der nur wenige mit eingebunden werden können und diejenigen Menschen, die man eigentlich erreichen möchte, Zuschauer:innen bleiben. Doch ebenso stellt er klar:
„Solange wir in einem System leben, das auf Gewalt basiert und Menschen, die sich dagegen wehren, in Gefängnisse weggesperrt, ist vielfältiger Widerstand gerechtfertigt und notwendig.“
Eine Leseempfehlung!
Der wirklich lesenswerte Brief von Garweg fasst die Geschichte der RAF zusammen und analysiert die Schwächen der Bewegung. Allerdings macht er an unzähligen Stellen die Notwendigkeit eines Kampfes für ein besseres System deutlich.
Dabei beschreibt er zwar sehr ausführlich das Elend, das eine kapitalistische Wirtschaftsweise mit sich bringt, bezieht sich dabei allerdings kaum auf den Sozialismus als erstrebenswerte Alternative. Und auch bei der Frage, in welchem Maße die Arbeiter:innenklasse sich organisieren sollte, um sich selbst zu befreien, erfahren wir in seinem Brief nichts Handfestes. Ebenso bleibt die Frage nach einer konkreten Strategie offen.
Doch auch wenn er uns diese Fragen nicht beantwortet, können wir unsere eigenen Schlüsse ziehen. Denn letztendlich sind wir es selbst, die unsere revolutionäre Strategie und Taktik entwickeln und vor allem in der Praxis umsetzen müssen. Die zentralen Schlussfolgerungen aus dem Brief können uns trotzdem dabei helfen. Denn drei Punkte macht er deutlich:
- Das kapitalistische System befindet sich in einer Krise, wodurch Krieg, Armut und autoritärer Staatsumbau an Schwung aufnehmen.
- Vielfältiger und auch militanter Widerstand gegen dieses System ist legitim und notwendig.
- Wir dürfen niemals aufhören zu kämpfen, auch wenn wir mit unserer Arbeit mal in eine Sackgasse laufen.
Neben seiner klaren Forderung für die Freilassung von Daniela Klette vermittelt er den Leser:innen also sehr gut, welche Schlüsse wir aus der Geschichte der RAF für die Kämpfe von heute ziehen können. Denn der wichtigste Schluss bleibt: „Das Vermächtnis revolutionärer Geschichte ist der Kampf um Befreiung im Heute und in der Zukunft bis zur Überwindung jeder Herrschaft, und bis alle frei sind.“