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„Group of Five“ – Temporärer Frieden, temporäres Bündnis

Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Polen positionieren sich als europäische Führungskraft in der Ukraine-Frage. Kann der Frieden, den sie anstreben halten? Und welche Ziele verfolgen die Akteure mit dem Bündnis? – Eine Einordnung von Mohannad Lamees.

Zum wiederholten Male trafen sich im März die Verteidigungsminister Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens, Italiens und Polens in Paris, um über ihre Aufrüstungsprojekte und ihre Unterstützung der Ukraine zu beraten. In einer gemeinsamen Abschlusserklärung betonten sie in mittlerweile altbekannter Manier, dass Frieden in der Ukraine und die Verteidigung Europas von höchster Priorität seien und dass die Verteidigungsfähigkeiten der europäischen Staaten untrennbar miteinander verbunden sind. Als die fünf europäischen Staaten mit den größten Militärausgaben sieht sich die „Group of Five” in der Rolle, bei der gesamteuropäischen Aufrüstung voranzugehen.

Zu den angestrebten Maßnahmen gehören eine beschleunigte Rüstungsbeschaffung, die Förderung gemeinsamer militärischer Produktions- und Ausbildungsprojekte sowie eine verstärkte finanzielle Unterstützung der nationalen Kriegsindustrien. Die Minister forderten außerdem eine Vereinfachung rechtlicher und finanzieller Rahmenbedingungen, um militärische Investitionen und gemeinsame europäische Beschaffungen effizienter zu gestalten. Abschließend riefen sie weitere europäische Staaten dazu auf, sich der eigenständigen europäischen Aufrüstung anzuschließen. Mittlerweile beschlossen beispielsweise auch alle EU-Regierungschefs ein größeres Aufrüstungspaket.

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Frieden auf Zeit, Vorbereitung auf den nächsten Krieg

Ein zentraler Punkt des Treffens war die angestrebte enge Zusammenarbeit der Group of Five mit NATO und EU und insbesondere den USA. Tatsächlich sind die Anstrengungen der europäischen Group of Five eine unmittelbare Reaktion auf den angekündigten teilweisen Rückzug der USA aus Europa. Während die USA zu einem immer unberechenbareren Bündnispartner werden, machen sich Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Polen daran, sich gegenseitig zu unterstützen und eigene militärische Stärke aufzubauen.

Die Erklärungen der Group of Five und auch die Rüstungsprojekte der Europäer:innen spiegeln dabei aber noch den widersprüchlichen Status Quo wider: Einerseits sind die Europäer gezwungen, ihre Kriegsindustrie und Armeen nun aus eigener Kraft aufzubauen, andererseits sind sie, zumindest vorerst, weiterhin auf die militärische Stärke der USA angewiesen, ohne die zum jetzigen Zeitpunkt ein Krieg gegen Russland wohl nicht zu gewinnen wäre.

Die Berichte von den Plänen der Verteidigungsminister zur weiteren militärischen Unterstützung der Ukraine stehen dabei nur auf den ersten Blick in einem Gegensatz zu den Verhandlungen um eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine, auf die derzeit Trump und seine Unterhändler:innen hinarbeiten. Tatsächlich deuten die aktuellen Aufrüstungsbemühungen der europäischen Staaten vielmehr darauf hin, dass auch in Zukunft mit Krieg gerechnet wird – ein Krieg also zwischen Russland und europäischen Staaten, auch weit über die Ukraine und Osteuropa hinaus, wird ab 2029 oder 2030 für realistisch gehalten.

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Friedenstruppen in der Ukraine!?

Die Vorbereitung für eine solche Auseinandersetzung begann zwar nicht erst mit dem Kurswechsel in der US-Außenpolitik und der erneuten europäischen Aufrüstungswelle. Jedoch hat das Taktieren der Kriegsparteien nun mit möglichen Friedensverhandlungen eine neue Dimension angenommen. Das zeichnet sich vor allem bei der Frage einer Entsendung europäischer Friedenstruppen in die Ukraine ab.

Während sich der deutsche Staat hier noch nicht festlegen will, waren es bisher vor allem Großbritannien und Frankreich, welche die Entsendung von Friedenstruppen vorantreiben. Beide wollen im Rahmen einer „Koalition der Willigen“ bis zu 30.000 Soldat:innen in die Ukraine schicken. Daran sollen sich über 20 Staaten beteiligen, entscheidend aber eben nicht die USA. Inzwischen werden auch ganz konkrete Pläne geschmiedet, wie dies aussehen könnte.

Es ist ein Vorhaben, mit dem die US-Regierung allem Anschein nach zufrieden ist. Die USA sehen die Verantwortung der Friedenssicherung bei den EU-Staaten und wollen sich lieber auf den Konflikt mit China konzentrieren. Zuletzt gab Präsident Trump Ende Februar an, dass auch Putin die Entsendung von Friedenstruppen akzeptieren würde. Ob sich dies allerdings bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten. Schließlich liegt es in Russlands direktem Interesse, die Westukraine nach Friedensschließung vorerst als Puffer gegenüber dem europäischen Block zu bewahren.

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Vorerst verbündet

So wie ein Frieden nur auf Zeit existieren wird, so ist auch die gegenwärtige Einigkeit der Europäer:innen keineswegs in Stein gemeißelt. Die Interessen der einzelnen Staaten sind letztlich zu unterschiedlich, um über eine taktische Zusammenarbeit hinaus Stabilität herstellen zu können.

So wird Deutschland in dem Bündnis vor allem versuchen, Zeit für die eigene massive Aufrüstung zu gewinnen, um mit den geplanten hunderten Milliarden die eigene Kriegswirtschaft flott zu machen und derweil die anderen europäischen Staaten durch wirtschaftliche Stärke in die Schranken weisen zu können. Deutschlands Strategie dürfte in diesem Zusammenhang wohl kaum auf eine großangelegte europäische Kooperation hinauslaufen, sondern vielmehr auf den Ausbau der eigenen Hegemonie, womöglich also auf einen deutschen Verteidigungsschirm für Osteuropa, das Baltikum und womöglich Südosteuropa. Mit dem Erwerb des Raketenabwehrsystems Arrow 3 von der israelischen Armee, das dieses Jahr in Sachsen-Anhalt in Betrieb gehen wird, machte Deutschland bereits Schritte in diese Richtung.

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Frankreich hingegen hofft weiterhin darauf, den deutschen Konkurrenten durch die Einbindung in gemeinsame militärische Projekte, wie z.B. in das französische Traumprojekt einer gemeinsamen europäischen Armee, zu binden und im Zaum halten zu können. Angesichts der massiven deutschen Aufrüstungsoffensive stellt eine solche Kooperation wohl aber kein realistisches Szenario dar.

Während sich Polen vor allem eine unmittelbare Verteidigung gegen etwaige russische Angriffe erhofft und den eigenen Einfluss in Osteuropa stärken möchte, zielen Großbritannien und Italien ihrerseits auf eine Verbesserung ihrer Stellungen im europäischen Gefüge dar. Vor allem Großbritannien, traditionell noch stärker mit den USA verbündet als andere europäische Staaten, steht nun vor dem Scherbenhaufen dieses Bündnisses und einer immer schwächer werdenden NATO-Koalition. Das Land muss sich deswegen wieder vermehrt in die europäische Politik einmischen und Verbindungen zu den ungeliebten Kontintentalstaaten suchen.

Bereits heute sind also in den verschiedenen Interessen der Europäer:innen die Spaltungs- und Konfliktlinien für spätere Brüche vorgezeichnet. Auch wenn die Staaten momentan ihre Kraft einsetzen, um gemeinsam voranzukommen – im imperialistischen Wettrennen um Einfluss und Macht wird es früher oder später dazu kommen, dass sich Staaten aus dem Hauptfeld lösen und vornweg als Spitzenreiter Europas davonziehen wollen.

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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