Zeitung für Solidarität und Widerstand

Kampf um den TVöD: „Die Politik hat uns im Stich gelassen“

Die Arbeiter:innen der Berliner Krankenhäuser streiken derzeit für faire Löhne im öffentlichen Dienst. Doch einige Krankenhaus-Angestellte sind nicht einmal im TVöD! Wir haben am Freitag beim Streikposten am Urbankrankenhaus in Berlin-Kreuzberg mit Sascha Kraft vom Charité Facility Management (CFM) gesprochen.

Hallo Sascha, du als Charité-Angestellter hier beim Streikposten von Vivantes – wie kommt´s?

Ja, die CFM hat man ja sozusagen mit reingezogen in die TVöD-Runde, weil wir natürlich auch das Ziel haben, den TVöD abzuschließen und zu erkämpfen. Ich bin Beschäftigter bei der Charité Facility Management (CFM) GmbH seit 2008. Seit 2011 sind wir in einer Tarifauseinandersetzung und sind sehr stark vernetzt mit anderen Kliniken wie Vivantes und verbinden praktisch die Arbeitskämpfe miteinander. Schulter an Schulter stehen wir hier draußen und das ist wichtig, dieser solidarische Zusammenhalt.

Streik! Bundesweiter Ausstand in Kliniken und Pflegeeinrichtungen

Das heißt, ihr streikt überhaupt erst mal, um reinzukommen in den TVöD?

Wir wollen erst mal den TVöD erstreiken, richtig. Die CFM ist damals unter Rot-Rot gegründet worden. Man hat damals alle nicht-medizinischen Dienstleistungen ausgegliedert, weil ja Berlin damals „sparen musste“. Diesbezüglich wurde 2005 die CFM gegründet. Heute, 2025, sind wir 20 Jahre im Verantwortungsbereich des Landes Berlin.

2006 ist die CFM erstmalig an den Start gegangen und man hat damit damals prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen. Man hat sich private Anteilseigner reingeholt, 51 % hatte die Charité, 49 % waren die privaten Anteilseigner von Vamed, Dussmann & Hellmann Logistik. 2011 haben wir uns erstmalig den gesetzlichen Mindestlohn erstreikt, noch bevor er bundesweit gesetzlich galt, nachdem wir ca. drei Monate in den unbefristeten Streik treten mussten, um erstmal den Arbeitgeber an den Verhandlungstisch zu bekommen.

Der nächste Schritt war 2016 bis 2018. Da hatten wir den Streik wieder für einen Tarifvertrag, um die CFM zu tarifieren. Wir hatten innerhalb der CFM Lohnunterschiede bis zu 800 Euro brutto. Da rede ich noch nicht mal von den Lohnunterschieden zum Mutterkonzern. Diese Ungerechtigkeit war mir natürlich ein Anliegen, also – dies zu durchbrechen! Mein Kollege soll dasselbe verdienen wie das, was ich verdiene und ich möchte auch dasselbe, was er hat.

2016 haben wir sehr viel Öffentlichkeitsarbeit betrieben und sind auf allen politischen Veranstaltungen aufgeschlagen, wo die Politiker:innen waren. Man konnte uns dann mehr oder weniger irgendwann nicht mehr ausweichen, weil der Druck zu groß war. Dadurch haben wir erreicht, dass die privaten Anteilseigner rausgeflogen sind. 2018 wurden sie also rausgekauft vom Berliner Senat und die CFM war ab 1.1.2019 zu 100 % staatseigen.

„Den Leuchtturm der Stadt 365 Tage rund um die Uhr am Laufen halten“

Von 2019 bis 2021 lief dann der größere Tarifkampf und nach 15 Jahren konnten wir die CFM erstmals tarifieren. Das Ziel war es, in den TVöD zu kommen. Es ist damals aber nur ein Haustarifvertrag geworden.

Aber für uns war der Durchbruch wichtig, die Firma zu tarifieren. Von 2021 bis 2025 galt dann der Tarifvertrag mit einer langen Laufzeit von vier Jahren. Natürlich hat der Tarifvertrag 2021 den Beschäftigten eine sehr gute Lohnerhöhung zugespielt, aber 2022 hat die Inflation alles wieder aufgefressen! Wir waren an die lange Laufzeit gebunden und hatten jährliche Steigerungen von über 2 % Inflation.

Die Mitarbeiter:innen des CFM waren die einzigen im Verantwortungsbereich des Landes Berlin, die keinen Inflationsausgleich bekommen haben. Obwohl die Politik in der Wiederholungswahl 2023 auch davon gesprochen hat, „der Inflationsausgleich muss kommen für die Töchter.“

Aber die Politik hat uns im Stich gelassen und nach drei Koalitionsverträgen, wo die CFM immer erwähnt war durch unsere aktive Öffentlichkeitsarbeit – alle Versprechen wurden gebrochen von der Politik – müssen wir wieder alles selbst in die Hand nehmen. Wir glauben einfach nicht mehr an die Politik oder diese leeren Worthülsen, wir wollen endlich Taten sehen.

Der Lohnunterschied zwischen CFM-Beschäftigten und Charité-Beschäftigten beträgt in einigen Bereichen teilweise bis zu 1 000 Euro brutto – für die gleiche Arbeit! Die Beschäftigten der CFM haben keine vernünftige private Altersvorsorge, die Kollegen steuern alle in die Altersarmut. Nachher sind wir unterm Strich wieder auf den Staat angewiesen, wegen der geringen Löhne, die die CFM bezahlt.

Wie versucht ihr das jetzt zu ändern? Wie kann es gelingen, den TVöD zu bekommen?

Den TVöD werden wir als Schlacht auf der Straße erkämpfen, weil auf die Politik kein Verlass mehr ist. Die Geschäftsführung stellt sich hin und sagt, sie haben kein Geld. Sie seien auf das Geld angewiesen, was sie vom Vorstand der Charité bekommen. Die Charité würde irgendwie einen engen Rahmen haben, von daher sind das eigentlich alles die falschen Verhandlungspartner oder Ansprechpartner.

Eigentlich müsste der Vorstand der Charité mit an den Verhandlungstisch oder der Senat oder beide. Weil der Senat ist ja, sag ich mal, der Eigentümer.  Wir haben den konstruktiven Dialog gesucht zwischen dem Vorstand der Charité, der Geschäftsführung CFM und der Politik. Es waren aber alle drei Führungsebenen nicht bereit, sich an einen Tisch zu setzen, um für die Beschäftigten eine gemeinsame Lösung zu finden.

Wie groß ist denn eure Streikmacht?

Sagen wir mal so, die Charité ist letztlich auf den Service von uns angewiesen. Wir machen die Charité erst möglich. Die Charité, das sind nur noch Ärzt:innen und Pflegepersonal. Der gesamte Service ist ja ausgeliefert worden damals. Ohne sterilisiertes OP-Besteck können auch keine OPs stattfinden. Ohne Reinigung, wenn die OP-Säle nicht gereinigt werden, kann keine OP stattfinden. Das sind ja alles Vorgaben, die ja auch ordnungsgemäß eingehalten werden müssen. Ein Krankenhaus funktioniert nicht ohne Service.

Zur CVM gehören alle nichtmedizinischen Dienstleistungen, wie zum Beispiel die Aufbereitung von OP-Besteck, die Sterilisation, die Essensversorgung, die Reinigung, die Betriebstechnik, alle Störmeldungen, der Krankentransport, die Patientenakten gehören dazu, der Besucherservice und die Sicherheitsdienstleistungen.

Daran merkt man, dass wir doch ein wichtiges Zahnrad in diesem Betrieb sind. Man hat uns auch immer mehr oder weniger als „sehr wichtig“ bezeichnet, gerade auch in der Pandemie oder in Tarifauseinandersetzungen. Da fragen wir uns einfach: „Warum bezahlt ihr uns dann aber schlechter?“

Und man hat uns immer probiert zu erklären, auch in der Politik, dass es diese Unternehmen vorher alle gar nicht in der Charité gab. Aber wir haben in allen Dienstleistungsbereichen angestellte Kolleg:innen, die dem Mutterkonzern entliehen sind, an die Charité und an die CFM. Und demzufolge gab es ja früher diese Dienstleistungen auch in der Charité. Man hat also nur sukzessive den Personalbestand in den letzten 20 Jahren eins zu eins ausgetauscht und ersetzt.

Wie reagiert ihr auf die Erpressung „Wenn ihr nicht arbeitet, müssen am Ende Patient:innen darunter leiden?“

Wir haben von uns aus diesmal eine Notdienstvereinbarung angeboten. Aber in den letzten Tarifverhandlungen hat der Arbeitgeber grundsätzlich Notdienstvereinbarungen abgelehnt und hat es für nicht wichtig betrachtet. Diesmal haben wir aber großen Wert darauf gelegt, weil wir natürlich auch Verantwortung übernehmen und verantwortungsbewusst arbeiten und den Leuchtturm der Stadt 365 Tage rund um die Uhr am Laufen halten wollen!

Die Notdienstvereinbarung ist aber nicht zustande gekommen, weil der Arbeitgeber einen Notdienst weit über dem normalen Level gefordert hat. Das unser Streikrecht komplett untergraben hätte. Wir haben erst mal das Mindeste angeboten, was am Wochenendbedarf grundsätzlich da ist an Personal. Der Arbeitgeber aber wollte plötzlich das Maximum, was wir im normalen Betrieb schon mal gar nicht mehr an Bord haben.

Uns war es wichtig, diese Notdienstvereinbarung zu haben, damit der Arbeitgeber nicht den Arbeitsstreik möglicherweise als systemrelevant deklariert beim Arbeitsgericht und sagt, jetzt gibt es eine Einstweilige Verfügung und uns würde das Streiken verboten. Das war ja bei dem Kita-Streik auch der Fall vor ein paar Monaten, die auch streiken wollten, wegen den schlechten Bedingungen und es wurde einkassiert.

Berlin: Senat und Arbeitsgericht verbieten Kita-Streik

 

Wie können euch andere unterstützen, damit ihr Erfolg habt und unsere Gesundheitsversorgung gesichert ist?

Also die Stadtgesellschaft hier in Berlin ist sehr solidarisch. Sie haben großes Verständnis für unsere Arbeitskämpfe und sie haben Verständnis für unsere prekären Arbeitsbedingungen. Sie solidarisieren sich auch sehr stark mit uns als Belegschaft. Das haben wir in den ganzen Tarifkämpfen immer live erlebt. Sie waren auch vor Ort, sie haben gespendet und alles drum und dran.

Und man darf auch nicht vergessen, bei der CFM arbeiten ungefähr 80 Nationen, die Charité selber hat 106 Nationen beschäftigt. Gerade die Beschäftigten mit Migrationshintergrund – und wir sind 100 % für Integration, wir brauchen die Leute auf dem Arbeitsmarkt – das  Problem ist, diese Kollegen mit Migrationshintergrund kennen nicht ihre Arbeitnehmerrechte. Und wir haben da so das dumme Gefühl, dass man das so ein bisschen ausspielt gegeneinander und die Leute versucht politisch zu unterdrücken.

„Das Schwert des Streiks“

Das heißt Solidarität untereinander, kein Vertrauen in die Politik setzen am besten und auch nicht in den Vorstand und einfach sich sozusagen den Wert der eigenen Arbeit und der Macht bewusst machen und dafür konsequent auf die Straße gehen und eigentlich auch nichts unter dem TVÖD akzeptieren. Das ist unser Ziel und wie gesagt, das Einzige, was wir wirklich in den Verhandlungen grundsätzlich immer haben, ist ja das Schwert des Streiks. Das Streikrecht ist ja ein Grundrecht in Deutschland und das sollte auch jeder Beschäftigte wahrnehmen.

„Die Beschäftigten wollen einfach nicht mehr länger die Sparschweine dieses Senates sein“

Wir haben die Mitgliederzahlen locker verdoppelt, wir haben 50 % der Belegschaft in einer Gewerkschaft organisiert, sind demzufolge auch mehr oder weniger durchsetzungsstark und die Beschäftigten wollen einfach nicht mehr länger die Sparschweine dieses Senates sein. Der Senat sollte eigentlich seinen Investitionsverpflichtungen nachkommen, was er jahrelang vernachlässigt hat. Ansonsten ist irgendwann die Gesundheitsversorgung dieser Stadt gefährdet!

Wenn man sich überlegt, dass man grundsätzlich so ein Geschäftskonstrukt zulässt, dass Unternehmen oder große Landesunternehmen, Tochterunternehmen gründen können, die aber praktisch von der Umsatzsteuer befreit sind.

„Wir wollen eigentlich nur noch Taten sehen.“

Das ist ja ein Steuertrick und da müsste auch definitiv ein Riegel vorgeschoben werden, weil sowas öffnet ja Tür und Tor. Das ist ja quasi ein Grundproblem des Kapitalismus. Da geht es am Ende natürlich schon auch um Profite beziehungsweise darum, für Soziales und die Menschen an sich, die Kosten so weit wie möglich zu drücken. Und die Versprechen der Politik – da geben wir kein Wort mehr drauf. Wir wollen nur noch Taten sehen.

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