Ahmed al-Scharaa hat ein neues Regierungskabinett benannt. Mitglieder einiger ethno-religiöser Minderheiten sowie erstmals auch eine Frau sind darin repräsentiert. Während Deutschland um die schnelle Akzeptanz der Regierung bemüht ist, erkennt die kurdische Selbstverwaltung in Nord- und Ost-Syrien diese nicht an.
Der syrische Präsident, Ahmed al-Scharaa, hat am 29. März eine neues Regierungskabinett ernannt. Dieses wird die erste Übergangsregierung ablösen. Die islamisch-fundamentalistische HTS (Hayat Tahrir al-Sham, Komitee zur Befreiung Syriens/der Levante), die aus einem Ableger der Terrororganisation al-Qaida entstanden war, hatte Anfang Dezember 2024 den vorherigen Machthaber Baschar al-Assad gestürzt.
Bereits während der Kämpfe zwischen den verschiedenen Rebellengruppen und den Regierungstruppen hatte die HTS in der Provinz Idlib eine lokale Regierung errichtet. Diese finanzierte sich und die Kämpfer der HTS unter anderem durch Steuerabgaben von Idlibs Einwohner:innen und anderen Syrer:innen, die nach Idlib flüchten mussten.
Ende Januar wurde Ahmed al-Scharaa zum Präsidenten Syriens ernannt, die bisher geltende Verfassung ausgesetzt und eine erste Übergangsregierung ernannt. Diese wurde jedoch vor allem aus HTS-nahen Beamten gebildet, die bereits an der lokalen Regierung in Idlib beteiligt waren. Mit der neuen Übergangsregierung versprach al-Sharaa Vertretungen für alle größeren ethno-religiösen Gruppen Syriens. Ist dies nun passiert?
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Erstmals Frau ins Kabinett berufen
Das neue Regierungskabinett umfasst 23 Minister:innen. Die Schlüsselrollen sind weiterhin von ehemaligen „Rebellen“ besetzt. So wurde Assaad al-Schaibani zum Außenminister, und Murhaf Abu Kasra zum Verteidigungsminister ernannt. Beide gehörten bereits der ersten Übergangsregierung an. Das Amt des Innenministers wird von dem ehemaligen Geheimdienstchef, Anas Chattab, der ebenfalls ein Vertrauter des Präsidenten ist, bekleidet.
Dennoch finden sich auch Vertrer:innen der syrischen Minderheiten in der neuen Regierung. So wurde Jarub Badr, der als Alawit der gleichen ethno-religiösen Gruppe wie der ehemalige Präsident al-Assad angehört, zum Verkehrsminister ernannt. Das Landwirtschaftsministerium wird von Amgad Badr, einem Mitglied der drusischen Gemeinschaft geleitet. Auch wurde mit Hind Kabawat erstmals eine Frau in die Regierung berufen. Kabawat ist Christin und langjährige Gegnerin al-Assads.
Die Berufung einer Frau ins Kabinett dürfte als Signal an westliche Regierungen verstanden werden, von denen sich al-Scharaa Unterstützung und weitere Aufhebungen der Sanktionen gegen Syrien und die ehemaligen Mitglieder der mittlerweile aufgelösten HTS erhofft. So hatte die Bundesaußenministerin Annalena Baerbok (Grüne) bei ihrem zweiten Besuch in Syrien in Gesprächen mit Vertretern „gerade auch die Teilhabe von Frauen“ als Gradmesser der Freiheit unterstrichen.
Massaker an Alawit:innen durch fundamentalistische Milizen
Baerbocks Besuch in Syrien waren Massaker vorausgegangen, denen größtenteils Alawit:innen zum Opfer fielen. Menschenrechtsorganisationen zufolge wurden hierbei mindestens 1383 Zivilist:innen getötet. Als Auslöser galten Angriffe von Assad-Loyalist:innen auf Streitkräfte der Übergangsregierung Anfang März. Im Zuge dessen war es zu Gewaltexzessen gegen alawitische Zivilist:innen gekommen.
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Verübt wurden diese wohl von islamisch-fundamentalistischen Milizen, von denen einige auch am Sturz al-Assads beteiligt gewesen sein dürften. Der neue Präsident al-Scharaa hatte die Massaker zwar verurteilt und juristische Aufarbeitung angekündigt, gleichzeitig aber auch als Einzelfälle runtergespielt.
Auch Baerbock geriet nach ihrem zweiten Syrienbesuch in Kritik. So traf sich Baerbock nicht mit hochrangingen Vertreter:innen der Kurd:innen, Drus:innen und Alawit:innen. Ein Treffen mit Mazlum Abdi, dem Vorsitzenden der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die bislang die stark kurdisch geprägte Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien verteidigte, fand nicht statt. Ebenfalls gab es Kritik von alawitischer Seite, dass die alawitische Journalistin Nada Mashriqi, mit der Baerbock sich traf, mittlerweile auf einer politischen Linie mit al-Scharaa sei.
Westliche Staaten bemüht um schnelle Akzeptanz der Übergangsregierung
Während al-Scharaa sehr bemüht scheint, sich selbst und seine neue Regierung gegenüber westlichen Regierungen als hinreichend tolerant und gemäßigt zu präsentieren, so scheinen Vertreter:innen ebendieser Regierung ebenso gewillt, diesen Anschein zu akzeptieren. Dies zeigt sich nicht nur an Baerbocks Fokus auf Gespräche mit der neuen Regierung anstelle von Kontakten zu diversen Minderheiten.
Dies wurde auch daran deutlich, dass ehemalige HTS-Mitglieder von der EU-Terrorliste gestrichen wurden, um nach Brüssel einreisen zu können. Dazu gehörte auch der Außenminister al-Schibani, der sich für die teilweise Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien, sowie EU-Hilfsmittel an Syrien in der Höhe von knapp 2,5 Milliarden Euro bedankte.
Ein möglicher motivierender Faktor für die schnelle Akzeptanz der Übergangsregierung könnten die Bestrebungen vieler europäischer Regierungen wie auch der Bundesregierung sein, wieder Abschiebungen nach Syrien durchzuführen. In SPD und Union gibt es bereits eine Einigung, auch bald Syrer:innen ohne Vorstrafe abschieben zu wollen.
Und auch wenn die derzeitige Innenministerin Nancy Faeser wegen der Gefahr eines terroristischen Anschlags selbst ihre Syrien-Reise abbrechen musste, ist es für diese Pläne wichtig, das Bild eines stabilen Syriens mit einer toleranten und demokratischen Regierung zu zeichnen.
Kurdische Selbstverwaltung erkennt Verfassung und Übergangsregierung nicht an
Die Übergangsverfassung, die von al-Scharaa am 13. März unterzeichnet wurde, beinhaltet durchaus Artikel, die Frauen Schutz, politische Rechte und das Recht auf Bildung und Arbeit zusagen. Auch Bekundungen zur Glaubens- und Meinungsfreiheit finden sich in der Verfassung. Gleichzeitig ist in der Verfassung jedoch auch verankert, dass der Präsident Syriens aus der islamischen Religionsgemeinschaft kommen muss und das islamische Recht die Grundlage für die Justiz in Syrien bilden wird.
Auch ein Premierminister wird in der Verfassung nicht vorgesehen. Ein Großteil der exekutiven Macht wird daher weiterhin bei al-Scharaa liegen. Al-Scharaa zufolge würde die Übergangsregierung bis zu fünf Jahre an der Macht bleiben, bis freie Wahlen stattfinden könnten.
Nicht anerkannt wurde die neue Regierung jedoch von der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, in der viele Kurd:innen leben. In einem Statement gaben sie an, dass „eine Regierung, die nicht die Diversität und Pluralität unserer Landes reflektiert Syrien nicht richtig regieren kann“ und die Selbstverwaltung sich daher nicht an die von dieser Regierung gefällten Entscheidungen gebunden sieht. Zwar ist unter den 23 Abgeordneten der Übergangsregierung auch ein Kurde, jedoch stammt dieser nicht aus der Region der Selbstverwaltung.
Auch die übergangsmäßig beschlossene Verfassung wird von der Selbstverwaltung nicht anerkannt. Die Verfassung bestärke die zentralisierte Macht über ein Land mit einer singulären nationalen Identität, anstatt Syriens „Realität als multi-ethnischer und multi-religiöser Staat“ gerecht zu werden.