2024 gab es einen leichten Anstieg der Reallöhne und ein Schrumpfen des unbereinigten Gender Pay Gap. Tricksereien bei den Berechnungen führen jedoch zu einem verzerrten Bild. Denn dass wir alle ärmer werden, ist keine Einbildung.
Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) sind die Nominallöhne 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 5,4 Prozent gestiegen, die Steigerung der Reallöhne lag im vergangenen Jahr bei 3,1 Prozent. Dies ist der stärkste Reallohnanstieg seit 2008.
Der Reallohn gibt die tatsächliche Lohnsteigerung an und ergibt sich aus der Differenz zwischen der absoluten Lohnsteigerung und der Inflationsrate. Die Inflationsrate von Verbrauchsgütern und Dienstleistungen wie Nahrung, Energie, Versicherungen oder Mieten lag 2024 bei +2,2 Prozent.
Unterschiede in den Branchen
Die stärksten Steigerungen des Nominallohns wurden dabei in den Wirtschaftsbranchen „Information und Kommunikation“ (+6,9%, real +4,7%), „Gesundheits- und Sozialwesen“ (+6,5%, real +4,3%) und „Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen“ (+6,5%, real +4,3%) erzielt.
Vergleichsweise gering schnitten die Branchen „Grundstücks- und Wohnungswesen“ (+4,1%, real +1,9%), „Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen“ (+4,1%, real +1,9%), „Land-und Forstwirtschaft, Fischerei“ (+4,6%, real +2,4%) und „Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“ (+4,6%, real +2,4%) ab.
Grund für die Unterschiede sind unter anderem unterschiedliche Laufzeiten der Tarifverträge in den verschiedenen Branchen, sodass zu unterschiedlichen Zeitpunkten über Lohnerhöhungen verhandelt wird. Hinzu kommt, dass die Löhne in bestimmten Branchen wie im Gesundheitssektor besonders niedrig sind. Forderungen in den Tarifverhandlungen, die neben prozentualen Steigerungen auch einen Erhöhung um einen absoluten Mindestbetrag beinhalteten, konnten teilweise zu prozentual höheren Anstiegen führen.
Geringere Löhne wachsen prozentual am stärksten
Die Löhne von Geringverdienenden (+7,8%, real +5,6%) wurden zudem von der Inflationsprämie geprägt. Diese steuerfreien Einmalzahlungen von bis zu 3.000 Euro sind zu Beginn des Jahres 2025 ausgelaufen. Die Inflationsprämie hatte somit dafür gesorgt, dass kleinere Löhne prozentual stärker angewachsen sind.
Dies liegt daran, dass sich die Lohnsteigerung um einen absoluten Wert bei einem geringerem Lohn prozentual stärker auswirkt. Die Inflationsprämie war eben dieser gleiche Wert, der steuerfrei auf die Löhne ausgezahlt wurde. Dieser Effekt ist durch den Wegfall der Prämie im Jahr 2025 nicht mehr zu erwarten.
Schere zwischen Arm und Reich wird größer
Auch wenn die Reallöhne 2024 angestiegen sind, vergrößert sich der Abstand zwischen der Arbeiter:innenklasse und den Kapitalist:innen weiter: Im Zeitraum von 2015-2024 sind laut einer Studie der Schweizer Bank USB die Vermögen von Milliardären global um 121 Prozent gestiegen – von $6,3 Billionen auf $14 Billionen.
Den größten Anstieg gab es bei den Milliardären jedoch zwischen 2020 und 2024. In diesem Zeitraum sind die Reallöhne in Deutschland – selbst mit den 3,1 Prozent Reallohnsteigerung aus 2024 – um 2 Prozent gesunken. Dies ist Ausdruck dessen, dass die Schere zwischen Arm und Reich erst recht seit 2020 immer weiter auseinander geht und die Krisen zu Lasten der Arbeiter:innenklasse gehen. Doch diese Zahlen zeigen immer noch nicht die ganze Wahrheit.
Die Krux des Verbraucherpreisindex
Das Statistische Bundesamt hatte 2023 eine Neuberechnung der Basis für den Verbraucherpreisindex vorgenommen, was wiederum Auswirkungen auf die Ermittlung der Inflationsrate hat. Diese Anpassung erfolgt regulär alle fünf Jahre, um den „typischen Warenkorb“ an aktuelle Konsumgewohnheiten anzupassen – früher enthielt er beispielsweise einen Walkman, heute ein Smartphone.
Neu war seit 2023 jedoch, dass die Inflationsberechnung nun nicht mehr auf einer Stichprobenuntersuchung unter Verbraucher:innen basiert, sondern an die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung angepasst wurde. Dadurch fließen auch die Ausgaben wohlhabender Haushalte stärker in die Berechnung ein, was laut Hans-Böckler-Institut dazu führt, dass die Inflation weniger die Realität eines durchschnittlichen Arbeiter:innen-Haushalts widerspiegelt.
Preissteigerungen: Lebensmittelkonzerne steigern ihre Gewinne
Hinzu kommt, dass immer nur mit durchschnittlichen Werten gerechnet wird, wodurch die hohe Belastung für Menschen mit niedrigerem Einkommen kaum sichtbar wird. Das liegt unter anderem daran, dass bei niedrigerem Einkommen das gesamte Geld für die Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen und Heizen ausgegeben muss. Und besonders in diesen Bereichen zeigen sich die Preisexplosionen am stärksten.
Fehlende Jahresvergleiche und höhere Arbeitslosigkeit
Im Vergleich zum Jahr 2020 beträgt der Preisanstieg von Lebensmitteln sogar 32,8 Prozent. Auch die Strompreise sind um fast 30 Prozent gestiegen – 2022 lagen die Preise zeitweise sogar um 50 Prozent höher als noch 2020. Hier mussten die Verbraucher:innen also zeitweise überdurchschnittlich tief in die Tasche greifen – ohne entsprechende Lohnerhöhungen.
Denn hier zeigt sich ein weiteres Problem in der Berechnung: Im vergangenen Jahr wurden in den meisten Branchen vergleichsweise hohe Tarifabschlüsse von etwa 5-10 Prozent erzielt. Diese sollten zum Teil die Inflation der vergangenen Jahre ausgleichen. Jedoch kommen diese Lohnerhöhungen viel zu spät, nachdem die Arbeiter:innen bereits über Jahre mit einem deutlich niedrigeren realen Einkommen bei explodierenden Preisen auskommen mussten.
Ein weiterer Aspekt, der unbeobachtet bleibt, ist, dass die Zahl von erwerbslosen Menschen stark angestiegen ist. Seit 2022 ist der Anteil an Arbeitslosen von 5,3 Prozent auf 6,4 Prozent gestiegen. In vielen Branchen steht in den kommenden Jahren zudem ein starker Stellenabbau noch bevor. Auch dieser Anteil an Menschen, die nun kein eigenes Einkommen mehr haben, fließt nicht in die Statistik der Reallohnentwicklung des Statistischen Bundesamts mit ein.
Schleichender Stellenabbau: Das deutsche Modell der Massenentlassung
„Unbereinigter” Gender PayGap ist gesunken
Das Statistische Bundesamt hat zudem Berechnungen zum Gender Pay Gap (dt. geschlechtsspezifischer Einkommensunterschied) für 2024 veröffentlicht: Dieser liegt bei 16 Prozent und ist damit um 2 Prozentpunkte niedriger als im Vorjahr – der stärkste Rückgang seit Beginn der Berechnungen im Jahr 2006. Die Grundlage für diese Absenkung liegt an dem Anstieg der Nominallöhne von Frauen in 2024 (+5,8%, real +3,6%), der im Durchschnitt stärker war als bei Männern (+5,3%, real +3,1%).
Dennoch verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt weiterhin 4,10 Euro pro Stunde weniger als Männer. Der „unbereinigte” Gender Pay Gap vergleicht die durchschnittlichen Bruttoverdienste aller Männer und Frauen in Deutschland, ohne Unterschiede in Beruf, Qualifikation oder Arbeitszeit zu berücksichtigen. Er zeigt also die allgemeine Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, sagt aber nichts darüber aus, wie viel Frauen im Vergleich zu Männern mit derselben Tätigkeit verdienen.
Beim „bereinigten” Gender Pay Gap, der Löhne innerhalb vergleichbarer Berufe und Positionen betrachtet, hat sich im Vergleich zum Vorjahr nichts verändert: Der Unterschied liegt weiterhin bei rund 6 Prozent. Das deutet darauf hin, dass im Jahr 2024 zwar mehr Frauen in besser bezahlten Positionen arbeiteten, sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Bezahlung jedoch nicht grundlegend verändert haben.