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Serbien: Rücktritt der Regierung bestätigt, Proteste gehen weiter

In Serbien haben Massenproteste nach dem Einsturz des Bahnhofvordachs in Novi Sad die Regierung des Premiers Vučević zu Fall gebracht. Deren Rücktritt wurde nun durch das Parlament bestätigt. Doch Präsident Vučić klammert an seiner Macht.

Am 1. November 2024 war das Vordach der frisch renovierten Bahnhofshalle in Novi Sad im Norden Serbiens eingestürzt. Dabei kamen 15 Menschen ums Leben. Seitdem halten Massenproteste im Land an, die Präsident Aleksandar Vučić und seine Regierung für das Unglück verantwortlich machen. Bereits im Januar hatte deshalb Premierminister Miloš Vučević seinen Rücktritt erklärt. Dieser wurde am vergangenen Donnerstag vom Parlament in Belgrad bestätigt. Nun bleiben 30 Tage, eine neue Regierung zu bilden.

Serbiens Premierminister tritt zurück – Studierendenproteste gehen weiter

Dass sich die kämpfenden Massen in Serbien damit zufrieden geben werden, scheint jedoch unwahrscheinlich. Schließlich ist die Macht im Land im Wesentlichen beim Präsidenten Aleksandar Vučić konzentriert, der sich weiterhin an sie klammert. Da die Proteste sich gegen die Korruption im Allgemeinen richten, steht auch die Forderung nach einem Rücktritt Vučićs auf der Tagesordnung. Gegen ihn und die herrschende Politik in Serbien hatte es in den letzten Jahren immer wieder Protest gegeben, insbesondere im Zusammenhang mit Vorhaben, das serbische Lithiumvorkommen durch Konzerne aus Großbritannien, Deutschland oder anderen Großmächten fördern zu lassen. So wurde unter anderem der der globale Bergbaukonzern RioTinto massiv bekämpft und gestoppt, während Deutschland, das im Balkan immer mehr als Kolonialherr auftritt, sich jüngst Abbaurechte gesichert hat.

Proteste erreichen neuen Höhepunkt

Die Proteste haben erst kürzlich einen neuen Höhepunkt erreicht – trotz intensiver Gegenmaßnahmen der Regierung. Am 15. März waren zum Aktionstag „15 für 15“ über 300.000 Protestierende in der Hauptstadt Belgrad auf der Straße. Zuvor hatte die Regierung den Zugfernverkehr aus „Sicherheitsbedenken“ lahmgelegt, und der Geheimdienst hatte Transportunternehmen mit Strafen gedroht, sollten sie heimlich Menschen zu den Protesten fahren. Auf der Aktion selbst soll dann während der 15-minütigen Schweigeminute eine Schallwaffe eingesetzt worden sein.

Bereits in vorherigen Wochen waren Teilnehmer:innen der Proteste von Anhänger:innen der Regierungspartei angegangen worden – Polizeigewalt stand außerdem auf der Tagesordnung. In Novi-Beorgrad war Ende Januar gar ein Auto in die Proteste gefahren. Die Behörden machen keine Anstalten, hier konsequente Ermittlungen einzuleiten.

Serbien: Hunderttausende protestieren gegen Regierung – Polizei nutzt Schallwaffen

Revolutionäre Perspektive der Proteste?

Das Teilnehmer:innenfeld der Protestaktionen in Serbien ist breit aufgestellt: An führender Stelle stehen dabei die Studierenden, insbesondere aus Belgrad. Seit November halten sie Teile ihrer Universität besetzt. Die Proteste haben unterdessen aber auch breitere Schichten der arbeitenden Bevölkerung zusammengebracht und zudem alte Gräben zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen in der Gesellschaft geschlossen.

Die politischen Kräfte, die in der Bewegung und ihren Vollversammlungen aktiv sind, sind dabei durchaus divers aufgestellt. Auch faschistische und nationalistische sowie religiöse Kräfte sind hier aktiv, wie man einer Auswertung der kommunistischen Organisation Rote Aktion / Rote Initiative Serbien/Kroatien (CA/CI) zu den Protesten am 15. März entnehmen kann. So zählen Plakate, die eine erneute Annektion des Kosovo durch Serbien fordern ebenso zum Panorama, wie geäußerte christlich-religiöse Symbolik. „Wir haben die Toleranz gegenüber dem extremen Rechtsextremismus kritisiert und hoffen, dass dieser […] in die Schranken gewiesen wird“, heißt es in der Erklärung.

Trotz Ansagen der Organisator:innen, die zu einem Verzicht auf Organisationssymbolik aufriefen, hatten sich auch die Kommunist:innen von CA/CI zum Zeigen der eigenen Fahnen entschieden. Dabei versuchen sie nach eigener Aussage vor allem, die „fortschrittlichen Kräfte“ in den Protesten zu stärken und eine Perspektive – jenseits eines Wechsels der Regierung – hin zur Überwindung der kapitalistischen Ausplünderung des Balkans aufzumachen:

Unser Kampf geht über den Wechsel einer Regierung innerhalb derselben Rechts- und Politikordnung hinaus. Er geht über die Politik in nur einem Land hinaus. Er bezieht sich auf all jene, die in Serbien, Kroatien, Griechenland, Mazedonien und überall auf der Welt täglich Opfer dieser Gewalt werden und deren Wurzeln in den Widersprüchen des Kapitalismus liegen.“

Damit beziehen sie sich auch auf den kürzlichen Brand eines Nachtclubs in der nordmazedonischen Stadt Kočani Mitte März, bei dem 59 Menschen starben. Auch hier rückten Kommunist:innen den Kampf gegen das kapitalistische System, das diese Tragödien immer wieder hervorbringe, in den Vordergrund: „In fast jeder Stadt werden verlassene Gebäude in Nachtclubs, Kabaretts und Diskotheken umgewandelt, die plötzlich zu regionalen Zentren für hunderte junger Leute werden. Genehmigungen für den Umbau von Gebäuden werden ohne ordnungsgemäße Berichte abgestempelt und unterschrieben, es werden fiktive Sicherheitsschulungen durchgeführt, gefälschte Genehmigungen ausgestellt und eine Geländeüberwachung durchgeführt. Im Wettlauf um Profit und schnelles Geld werden Regeln zur Umgehung und die Rechtsprechung zur Bestechung missbraucht“, heißt es in einer Erklärung der mazedonischen Organisation Socijalisticka Zora (Rote Morgendämmerung).

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