Nach dem 8. März zeigen Videos in den sozialen Medien, wie junge Frauen in Berlin von Polizisten geschlagen, entblößt und über die Straße gezogen wurden. Betroffene und die Veranstalterinnen der Demonstration sprechen von sexualisierter Gewalt der Polizei. Wir haben mit zwei Demonstrant:innen über die Übergriffe und ihre Hintergründe gesprochen.
Vina F.*: „Als sozialistische kurdische und queere Frau ist es für mich eine unaufgebbare Pflicht, am Frauenkampftag auf die Straßen zu gehen, für das Leben zu kämpfen und entschlossenen Widerstand gegen das patriarchale und kapitalistische System zu leisten. „Jin, Jiyan, Azadi“ ist heute mehr denn je der Ausdruck unseres kollektiven Kampfes als Frauen. Jeden zweiten Tag prangen Schlagzeilen wie „Frau von ihrem Partner, Bruder oder einem Mann in der U-Bahn ermordet“ auf den Titelseiten. Sexualisierte Gewalt ist ein täglicher Bestandteil unseres Lebens. Ob auf der Arbeit, beim Arztbesuch, in der U-Bahn, auf dem Heimweg oder zuhause.“
Maia S.*: „Auch für mich ist der 8. März als sozialistische und lesbische Frau ein sehr wichtiger Tag. Jeden 8. März gehen Frauen, egal in welchem Teil der Welt, auf die Straße, um gegen Patriarchat und Kapitalismus zu kämpfen. Das ist ein Tag, an dem wir Frauen in Deutschland uns gegen die Gewalt, die wir täglich erfahren, zur Wehr setzen. Für mich ist es wichtig, sich die Straßen zu nehmen – in einer historischen Phase, in der rechte Kräfte an der Macht sind und uns in bestimmte Geschlechterrollen drängen möchten und die Schuld an patriarchaler Gewalt auf Migrant:innen schieben wollen.“
Vina: „Mit der sozialistischen Jugendorganisation Young Struggle haben wir uns dieses Jahr in Berlin an der Frauenkampftag-Demonstration gegen Gewalt und Abschiebung von ZORA, Frauenkollektiv und Gabriela beteiligt. Meine Genoss:innen und ich wussten, dass wir auf den unterschiedlichen Protesten mit Polizeigewalt rechnen mussten, weil das auf Demonstrationen, die sich solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf zeigen, schon lange nichts Neues mehr ist. Als wir hörten, dass die Demonstration von der Alliance of Internationalist Feminists von der Polizei angegriffen wurde, fuhren wir gemeinsam dorthin. Wir stellten uns gemeinsam mit den Teilnehmer:innen in Ketten, um uns und die Demo zu schützen und zu verteidigen. Die Polizei griff wahllos Frauen an, entblößte sie, griff an ihre Brüste und prügelte auf ihre Köpfe. Es ist kein Wunder, dass eine staatliche Institution, die sich durch rassistische und patriarchale Gewalt aufrecht erhält, solche Gewalt am Frauenkampftag ausführt.“
Maia: „Die Bullen sind mit brutaler Gewalt in die Demo reingegangen; sie haben uns geschlagen und getreten. Am Kopf, am Bauch – man kann sehr viele Videos davon sehen. Die Brüste von verschiedenen Demonstrant:innen wurden von den Polizisten angefasst, Röcke wurden hochgerissen, und in einem Video kann man deutlich sehen, wie ein Bulle das Gesicht einer Demonstrantin in seinen Schritt drückt, obwohl sie bewusstlos war! Ich habe sehr viel am Schädel abbekommen. Als ich festgenommen wurde, haben sie mich weiter geschlagen. Danach musste ich ins Krankenhaus. Ich hatte eine Verletzung an der Stirn, die zum Glück nicht genäht werden musste. In meinem Auge sind Adern geplatzt, und ich habe eine Prellung am Ellbogen.“
Vina: „Als wir versuchten, einander zu schützen, wurde auch gegen uns mit harter Gewalt vorgegangen. Mehrere Polizisten schlugen mit ihren Handschuhen auf meinen Kopf, bis mir schwindelig wurde. Als ich versuchte, mich einzeln zu entfernen, schlugen erneut Polizisten auf mich ein und schubsten mich wieder in die Menge der Gewalt. Als eine Genossin festgenommen wurde und wir ihr nachgingen, wurden wir ständig angegriffen und geschubst. Auf unsere Rufe „Hört auf, ihr tut ihr weh!“ kamen Antworten wie „Halt die Schnauze!“. Ich lief unmittelbar hinter ihr, als mich mehrere Polizisten von hinten angriffen und auch mich verhafteten. Einer würgte mich mit seinem Arm, während der andere mir so stark auf die Nase schlug, dass sie blutete. Sie verdrehten mir die Arme, und als ich sagte: „Sie tun mir weh!“, antworteten sie erneut: „Halt deine Schnauze!“ und „Stimmt nicht!“. Meine Genossin und ich saßen im selben Wagen. Ich werde nie vergessen, wie wir uns ansahen, während sie im Gesicht blutete. Auch im Bullenwagen ging die psychische Erniedrigung weiter. Sie gaben meiner Genossin kein Wasser und mir lange kein Tuch für meine blutende Nase, bis ein Sanitäter mich hörte und mir eins reichte.“
Maia: „Dazu hat sich die Feuerwache am Görlitzer Park mitschuldig an diesen Angriffen und Misshandlungen gemacht: Sie haben das Tor der Wache auf Anfrage der Polizei aufgemacht, und die Polizei hat die Festgenommenen da rein geschleppt, und die Feuerwehr hat dann das Tor wieder zugemacht. Da haben anscheinend die Demonstrantinnen weitere Gewalt und Misshandlungen erfahren.“
Vina: „Natürlich haben wir in den letzten 1 ½ Jahren sehr viel Polizeigewalt erlebt, vor allem, wenn wir für Palästina auf der Straße waren, und vor allem die Migrant:innen. Aber dass am 8. März die Berliner Polizei so ein Maß an Polizeigewalt anwendet, wo jahrelang unsere Regierung doch selbst noch von „feministischer Politik“ gesprochen hat, zeigt eine neue Situation für uns Frauen in Deutschland: Die allgemeine Repression gegen fortschrittliche Kräfte nimmt mit der Rechtsentwicklung der Politik und den aufflammenden Bewegungen der Jugendlichen und Migrant:innen zu; gleichzeitig erstarkt ein Frauenbild, in dem wir kochen und uns kümmern, aber auf keinen Fall kämpfen sollen. Die sexistische Gewalt, die wir hier erlebt haben, richtet sich also speziell an Frauen, um sie als Frauen anzugreifen und ihren Widerstand zu brechen. Dahinter steht das Patriarchat selbst, das kapitalistische Staaten und die Polizei nutzt, um sich selbst zu erhalten.“
Maia: „Natürlich ist die rassistische und sexualisierte Polizeigewalt ein Mittel, um uns einzuschüchtern, um uns Angst zu machen, damit wir nicht mehr auf die Straße gehen. Sie versuchen, uns damit zu brechen und klein zu kriegen, aber ich merke, wie unser Kampfgeist nur noch mehr aufflammt. Ich sehe Genoss:innen, die unzählige Anzeigen bekommen haben, unzählige Male festgenommen wurden und Polizeigewalt erfahren haben, aber ich sehe sie immer wieder auf der Straße, entschiedener und mutiger als davor.“
Vina: „In den großen Zeitungen wurde mehr über die Polizeigewalt berichtet als sonst. Aber dabei zeigten die Medien, dass sie auf der Seite der Polizei, der Männerherrschaft stehen. Denn sie zitierten die Polizeisprecher, nicht die Verletzten. Laut der Berliner Zeitung sprach ein Bereitschaftspolizist von einem „Hexenkessel“, um die „gezielten Faustschläge“ zu rechtfertigen. Schon im Mittelalter wurden Frauen als Hexen bezeichnet, um Gewalt gegen sie zu rechtfertigen, wenn sie ungemütlich und laut wurden. Wenn Frauen heute in Berlin gegen den Imperialismus auf die Straße gehen, wird diese Tradition wieder aufgenommen.“
Maia: „Die Antwort auf diese Gewalt muss klar und entschlossen sein: Diese patriarchale Gewalt muss mit noch mehr Widerstand beantwortet werden, und wir müssen die Kraft aus unserer Wut schöpfen. Es ist kein Zufall, dass die Polizei gerade am Frauenkampftag mit so viel Motivation und gezielt auf Frauen einschlägt und einige sexuell missbraucht – und das vor laufender Kamera. Sie wollen uns demoralisieren und uns in Angst versetzen. Diese Gewalt gehört zum Alltag vieler Frauen, aber sie ist nicht normal, und wir dürfen sie nicht als solche hinnehmen. Heute ist es unsere Aufgabe diese Gewalt wirklich zurückzudrängen.“
Vina: „Ich bin mit den heldenhaften Kämpfen der kurdischen Frauenbewegung aufgewachsen, die gegen patriarchale Unterdrückung und die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse kämpfen. Auf der ganzen Welt haben Frauen am 8.März Widerstand geleistet, auch gegen die Polizei: in Amed (tr. Diyarbakir), in Istanbul, in Basel, in Stuttgart und auf den Philippinen. Frauen auf der ganzen Welt und in der Geschichte zeigen uns: Die staatlich-patriarchale Gewalt hat uns nie davon abgehalten, im Kampf weiterzumachen, die Straßen zu erobern und für unsere Rechte einzutreten. Ich möchte deshalb allen Frauen die Bedeutung des gemeinsamen Organisierens ans Herz legen. Überwindet die Angst, schließt euch zusammen und lasst uns praktischen Widerstand gegen das Patriarchat leisten. Der deutsche Staat schützt uns nicht, meine Schwestern schützen mich! Gemeinsam werden wir stärker, und gemeinsam werden wir für unsere Freiheit und unsere Rechte kämpfen.“
*Die Namen der Demonstrant:innen wurden für diesen Artikel anonymisiert.