Nach der Festnahme von Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu am Mittwoch hat ein Gericht nun Untersuchungshaft verhängt. Das Innenministerium verkündete außerdem, dass er abgesetzt werde. Gegen die anhaltenden Proteste geht die Polizei mit massiver Gewalt vor.
Der Vorwurf gegen den Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu lautet Korruption. Am Mittwoch wurden er und 87 ihm nahestehende Politiker:innen, Journalist:innen und Unternehmer:innen, zusammen mit weiteren Personen in einer konzertierten Repressionsaktion verhaftet. Insgesamt sind über 100 Personen betroffen. Noch am selben Tag war es zu landesweiten Protesten gekommen, die seitdem nicht abgeklungen sind.
Im hoch bewachten Çağlayan-Justizpalast in Istanbul wurden er und über 90 weitere Festgenommene dem Gericht vorgeführt, Aussagen wurden getätigt und über Untersuchungshaft verhandelt. Der Vorgang begann am Samstag und ging bis in die Morgenstunden. Am Sonntag wurde bekannt, dass das Gericht die Untersuchungshaft anordnet hat und İmamoğlu somit in Haft bleibt.
Der Vorwurf der Terrorunterstützung – wegen der Zusammenarbeit seiner Partei CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, deutsch: Republikanische Volkspartei) mit der pro-kurdischen DEM-Parti bei den Kommunalwahlen – wurde vom Gericht vorerst abgelehnt. Diesen hatte die Staatsanwaltschaft zusätzlich von Beginn an erhoben.
Haft statt Präsidentschaftskandidatur?
Am Sonntag wurde außerdem Ekrem İmamoğlus vorläufige Absetzung als Bürgermeister durch das Innenministerium verkündet. Diese erfolgte zusammen mit der vorläufigen Absetzung der ebenfalls verhafteten Bezirksbürgermeister Resul Emrah Şahan und Mehmet Murat Çalik aus den Istanbuler Provinzen Şişli und Beylikdüzü. Beide sind ebenfalls Mitglieder der nationalistischen CHP, die aktuell die größte Oppositionspartei zur aktuellen Regierung Erdoğans stellt.
Für den gleichen Tag hatte die CHP die Wahl İmamoğlus als ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen geplant. Daran hält die CHP trotz der Verhaftung fest.
Doch nicht nur die zeitliche Überschneidung mit seiner Wahl zum Präsidentschaftskandidaten spricht für eine politische Verfolgung İmamoğlus und der anderen Verhafteten. Erdoğans AKP hatte bei den Kommunalwahlen größere Stimmverluste hinnehmen müssen und hat seitdem den schon bestehenden Verfolgungskurs gegen oppositionelle Politiker:innen weiter verschärft.
Während der Verlust des Istanbuler Bürgermeisteramts ein herber Verlust für die AKP ist – auch Erdoğan selbst hatte das Amt inne – bekämpft Erdoğan auch kurdische und sozialistische Parteien und Organisationen besonders hart. Politische Spannungen, verstärkt durch die Wirtschaftskrise und steigende Inflation, führen zur unüberhörbaren Protesten, die vom türkischen Staat unterdrückt werden.
Hunderttausende auf der Straße trotz Versammlungsverbot
Die Proteste gegen die jüngsten Verhaftungen halten auch am fünften Tag an – trotz der Versuche, sie zu unterdrücken. An den landesweiten Aktionen in über 80 Kommunen, zu denen unter anderem die CHP aufgerufen hatte, beteiligten sich auch sozialistische und kommunistische Organisationen wie PARTIZAN, ESP, SGDF, MLKP und auch die pro-kurdische DEM-Parti.
Die Polizei begegnete ihnen teils mit massiver Polizeigewalt und setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. In Istanbul wurden zudem am Mittwoch Versammlungsverbote verhängt. Diese Maßnahme erreichte jedoch nicht ihr Ziel. Die Proteste ließen sich trotz des Verbots und der Polizeigewalt unter massivem Einsatz von Tränengas nicht stoppen.
Nun sollen die Maßnahmen verlängert und verschärft werden: Neben dem Versammlungsverbot wurde ein Verbot für das Aufhängen von Plakaten, das Verteilen von Flyern und das Abhalten von Gedenkveranstaltungen verhängt. Zusätzlich soll versucht werden, Istanbul von Demonstrant:innen außerhalb der Stadt abzuriegeln. Die Maßnahmen sollen vorerst bis Mittwoch um Mitternacht gelten. Einzelnen Personen, die angeblich eine Gefahr darstellen, soll untersagt werden, die Stadtbezirke zu wechseln.