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Türkei: „Jahr der Familie“ als Angriff auf Rechte von LGBTI+

In der Türkei sollen im Rahmen einer Strafrechtsreform Rechte von LGBTI+-Personen beschnitten und ihre Teilnahme an der Gesellschaft faktisch verhindert werden. Auch in Deutschland äußert sich Friedrich Merz gegen die körperliche Selbstbestimmung.

Ende Februar stellte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan von der AKP seine Pläne für eine Strafrechtsreform vor. Diese sieht massive Angriffe auf die Rechte von LGBTI+-Personen vor. Zuvor hatte er das Jahr 2025 zum „Jahr der Familie“ erklärt.

So soll unter anderem das Alter, ab dem eine Geschlechtsangleichung möglich ist, von 18 auf 21 Jahre erhöht werden. Außerdem soll hierfür wieder eine Zwangssterilisation als Voraussetzung gelten, nachdem diese 2017 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als Verstoß gegen die persönliche Freiheit abgeschafft wurde. Zuletzt soll es hierfür nun die Zustimmung des Gesundheitsministeriums benötigen, ebenso bei einer Änderung des Geschlechtseintrags in Passdokumenten.

Mit diesen Maßnahmen soll sowohl eine Geschlechtsangleichung als auch „nur“ eine Änderung des Geschlechtseintrags durch weitere Hürden und Erniedrigungen massiv erschwert werden. Bislang war es noch möglich, entsprechende Operationen im Ausland durchführen zu lassen und im Anschluss dann in der Türkei anerkennen zu lassen. Diese Praxis soll damit unterbunden werden. Zukünftig soll die – dann illegale – Durchführung entsprechender Operationen ohne staatliche Zustimmung für die durchführende Person und Ärzt:in mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden können.

„Biologisches Geschlecht“ zur Wahrung von Ruhe und Ordnung

Eine weitere Verschärfung sieht vor, öffentliche Darstellungen, die dem „biologischen Geschlecht bei Geburt“ widersprechen, ebenfalls unter Strafe zu stellen. Mit dieser bewusst sehr schwammigen Formulierung wird ein juristischer Rahmen geschaffen, der die eh schon stattfindende Gewalt legitimieren soll und beliebig auf jegliche Abweichung von konservativen Vorstellungen in Kleidung, Aussehen, Sexualität oder Verhaltensweisen angewendet werden kann. Explizit werden an dieser Stelle auch – legal zwar verbotene, aber symbolisch mögliche – gleichgeschlechtliche Ehen genannt.

Mit diesen Planungen soll LGBTI+-Personen in der türkischen Gesellschaft faktisch die Möglichkeit genommen werden, Teil des öffentlichen Lebens zu sein. Gleichzeitig legitimieren und stabilisieren sie patriarchale und LGBTI+-feindliche Gewalt nur weiter.

Ebenfalls wird die Möglichkeit gemeinsamer Organisierung und Interessenvertretung faktisch illegalisiert.

Selbstbestimmungsgesetz „als falsch erwiesen“

Die Einschränkungen der Rechte von LGBTI+-Personen, erniedrigende Behördengänge, alltägliche Unterdrückungserfahrungen und Gewalt beschränken sich dabei nicht nur auf die Türkei.

Friedrich Merz, voraussichtlich kommender deutscher Bundeskanzler und Vorsitzender der CDU, sagte jüngst über das neue „Selbstbestimmungsgesetz“, das die Änderung des amtlichen Geschlechtseintrags und Namens in Deutschland erleichtert, dass sich dieses „als falsch erwiesen“ habe, und will es wieder rückgängig machen. Ebenfalls plant er, den Zugang zu Hormonbehandlungen für Minderjährige einzuschränken, denen er das Bewusstsein über das eigene Geschlecht abspricht.

Er leistet damit der Gewalt gegen LGBTI+-Personen Vorschub: Laut dem Verband Queere Vielfalt (LSVD+) stieg diese Gewalt in Deutschland von 2022 auf 2023 um rund 50 Prozent, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Eine vorläufige Spitze des Eisbergs zeigte sich bei den faschistischen Mobilisierungen gegen CSD’s im Sommer 2024.

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