Die Schlichtungskommission für den Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst hat einen Vorschlag veröffentlicht. Dieser unterscheidet sich kaum von dem der staatlichen Tarifpartei – und würde einen herben Verlust für den Lebensstandard der Arbeiter:innen bedeuten.
Nach drei Verhandlungsrunden hatten sich die Gewerkschaften und die Staatsvertreter:innen nicht einigen können. Es wurde deshalb eine Schlichtungskommission einberufen, die nun ihren Schlichtungsvorschlag veröffentlicht hat.
Gestartet hatte ver.di die Tarifverhandlungen mit der Forderung nach 8 Prozent Lohnerhöhung, aber mindestens 350 Euro mehr im Monat. Für besonders belastende Tätigkeiten sollte es höhere Zuschläge geben. Ausbildungsvergütungen und Entgelte für Praktikant:innen sollten um 200 Euro erhöht werden.
Darüber hinaus wurden drei zusätzliche freie Tage gefordert und ein weiterer für Gewerkschaftsmitglieder. Mit der Einführung eines Zeitkontos sollte den Beschäftigten die Wahloption zwischen der Auszahlung von Entgelterhöhungen, Überstunden und Zuschlägen oder von Arbeitszeitausgleich bzw. zusätzlichen freien Tagen ermöglicht werden.
Ebenfalls im Forderungspaket enthalten ist ein neuer Tarifvertrag für Altersteilzeit. Eine bezahlte Arbeitspause für Pflegekräfte und andere Beschäftigte in Krankenhäusern in Wechselschicht soll zudem eingeführt werden. Die unbefristete Übernahme nach Abschluss einer Ausbildung mit Eingruppierung in die Erfahrungsstufe 2 sollte außerdem erkämpft werden.
Am 15. März lag erstmals ein Angebot der staatlichen Tarifpartei vor. Darin enthalten war eine tabellenwirksame Erhöhung von insgesamt 5,5 Prozent über 36 Monate. Die erste Erhöhung hätte demnach erst im September 2025 stattgefunden, also nach einer 9-monatigen Nullrunde.
Lebensmittelpreise: Kosten für Butter, Kaffee und Speiseöl explodieren
Vorschlag der Schlichtungskommission
Von den geforderten 8 Prozent und der kurzen Laufzeit des neuen Tarifvertrags ist so kaum etwas übrig geblieben. Gerade im Hinblick auf die hohen Inflationsraten der letzten Jahre und die Ungewissheit über kommende Preissteigerungen ist dieses Ergebnis beileibe kein Grund zur Freude für Arbeiter:innen im öffentlichen Dienst.
Der jetzt vorliegende Einigungsvorschlag der Schlichtungsstelle soll eine Laufzeit von 27 Monaten (01.01.2025 – 31.03.2027) haben. Eine erste Entgelterhöhung soll ab dem 01.04.2025 um 3,0 % (mindestens 110 €) erfolgen, gefolgt von einer weiteren Erhöhung um 2,8 % ab dem 01.05.2026. Die Jahressonderzahlung soll ab 2026 steigen, wobei Beschäftigte in niedrigeren Entgeltgruppen stärker profitieren sollen. Zudem soll eine Option auf drei zusätzliche Urlaubstage bestehen, wenn die Jahressonderzahlung freiwillig gekürzt wird. Ab 2027 soll es außerdem für alle einen zusätzlichen Urlaubstag geben.
Weitere Regelungen sollen eine flexible Arbeitszeitoption ermöglichen, bei der die Wochenstunden freiwillig auf bis zu 42 Stunden erhöht werden können – mit entsprechendem Zuschlag. Die Schichtzulagen sollen ab Juli 2025 deutlich steigen, insbesondere für Wechselschichtarbeit (+ 200 €). Zudem soll eine Angleichung der Tarifgebiete Ost und West beim Bund erfolgen. Auszubildende, Studierende und Praktikant:innen sollen zum 01.04.2025 und zum 01.05.2026 jeweils 75 Euro mehr erhalten.
Klarer Fall: Ein Tarifvorschlag im Sinne des Kapitals
Allein in den Jahren 2020-2024 sind die Verbraucherpreise in Deutschland laut offiziellen Zahlen um 18 % angestiegen. Im selben Zeitraum gab es eine Lohnerhöhung von 14,2 %. Die Arbeiter:innen im öffentlichen Dienst mussten also bereits eine Reallohnkürzung von knapp 4 % hinnehmen. Für 2025 und 2026 wird weiterhin eine Inflation von insgesamt 4 bis 5 % prognostiziert. Um einen weiteren Reallohnverlust bei einer zweijährigen Laufzeit zu verhindern, müsste der Abschluss mindestens 9 % betragen.
Doch selbst diese Berechnungen zeichnen kein ausreichendes Bild. Das hat verschiedene Gründe: Die Neuanpassung des sogenannten Verbraucherpreisindexes seit 2023 führte dazu, dass wohlhabendere Haushalte stärker einbezogen wurden, wodurch die Inflation insgesamt niedriger erscheint. Für Menschen mit geringerem Einkommen ist die Belastung jedoch deutlich höher, da sie einen Großteil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse wie Wohnen, Energie und Lebensmittel ausgeben müssen – Bereiche, in denen die Preissteigerungen besonders stark ausfielen.
Seit 2020 sind Lebensmittel um 32,8 Prozent teurer geworden, während die Strompreise um fast 30 Prozent gestiegen sind. Zusätzlich sorgte die Inflationsprämie für eine Verzerrung des Bildes: Die steuerfreien Einmalzahlungen ließen die Löhne scheinbar stärker steigen, entfallen jedoch in diesem Jahr 2025, sodass dieser Effekt nicht nachhaltig ist.
Hinzu kommt die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung der Arbeitszeit. Was in Zeiten von Preisexplosion für viele wie eine Möglichkeit aussehen mag, mehr Geld zu verdienen, könnte sich auf lange Sicht als ein Schritt weg vom 8-Stunden-Tag entpuppen. Schließlich werden die Arbeiter:innen im öffentlichen Dienst in Zukunft vor die Frage gestellt sein, ob sie einen Reallohnverlust hinnehmen, oder „freiwillig“ jede Woche eine oder zwei Stunden mehr arbeiten.
Gerade in diesen ungewissen Zeit, die von Kriegen und Krisen geprägt sind, ist die lange Laufzeit von 27 Monaten ein herber Schlag für die Arbeiter:innenschaft und ein großer Gewinn für die staatliche Seite. Sie geht einher mit einer 2-jährigen Friedenspflicht, die rechtlich jeden Streik bis zum 01.04.2027 untersagen würde.
Staatliche Tarifpartei unzufrieden
Aus dem Lager der staatlichen Tarifpartei gibt es ebenfalls Widerspruch: So haben einzelne kommunale Verbände schon signalisiert, nicht mit dem Vorschlag der Einigungskommission zufrieden zu sein. Sie fordern einen noch arbeiter:innenfeindlicheren Abschluss. Ob sie sich damit durchsetzen können, bleibt aber ungewiss.
Die Verhandlungen seien für die staatliche Tarifpartei nicht leicht gewesen, „aber jetzt muss in den kommenden zwei Jahren niemand mehr Einschränkungen durch Arbeitskämpfe im bei Weitem größten Tarifbereich Deutschlands befürchten“, sagte der Vorsitzende der Schlichtungskommission, Roland Koch (CDU). Der frühere hessische Ministerpräsident war von der Staatsseite als Schlichter benannt worden.
An Samstag, dem 5. April werden die Tarifparteien in Potsdam wieder zusammenkommen und erneut verhandeln.
TVöD: Streiken wir für bessere Löhne und darüber hinaus!