Ver.di ruft diese Woche wieder zu Streiks in ganz Deutschland auf. Ob wir selbst streiken oder nicht – die Arbeitskämpfe brauchen unsere Unterstützung. Und eine klassenkämpferische Perspektive. – Ein Kommentar von Marius Fiori.
„Damit die Streikwirkung auch wirklich gespürt wird“ – so ein Hamburger Gewerkschaftssprecher – wurde am Sonntagmorgen mit einem unangekündigten Streik der Flughafen Hamburg lahmgelegt. Über 40.000 Passagiere saßen fest und konnten ihre Reisen nicht antreten.
Katja Bromm, Leiterin der Kommunikation am Hamburg Airport, sprach von einem „rücksichtslosen Vorgehen“ der Gewerkschaft, da diese damit „vor allem den Menschen schaden würde“. Damit meinte sie unter anderem Familien, die zu Beginn der Hamburger Frühjahrsferien in Urlaub fliegen wollten. Doch was sie als Rücksichtslosigkeit bezeichnet ist in Wahrheit ein notwendiger Schritt im Kampf gegen ein System, das die Interessen der Unternehmenschef:innen über die der Arbeiter:innen stellt.
Das sind die Forderungen
Seit Anfang des Jahres legen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst immer wieder ihre Arbeit nieder. Die Streiks finden bundesweit statt und haben in mehreren Bundesländern, darunter Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Berlin, bereits zu erheblichen Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr sowie in Kliniken, Stadtverwaltungen und anderen öffentlichen Einrichtungen gesorgt. Besonders betroffen waren Städte wie Köln, Freiburg und das Ruhrgebiet, wo Busse und Bahnen mehrmals stillstanden. In Berlin streikten auch die Beschäftigten der Kliniken Vivantes und Charité sowie der Stadtreinigung (BSR).
Kampf um den TVöD: „Die Politik hat uns im Stich gelassen“
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) fordert höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und mehr Wertschätzung. Konkret beinhalten die Forderungen eine Lohnsteigerung um 8 Prozent, mindestens jedoch 350 Euro mehr pro Monat, höhere Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten, eine Erhöhung der Ausbildungsvergütungen und Praktikumsentgelte um 200 Euro monatlich sowie drei zusätzliche freie Tage für alle Beschäftigten, für Gewerkschaftsmitglieder sogar vier.
Diese Forderungen sind eine direkte Antwort auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten und die zunehmende Arbeitsbelastung, die durch den Fachkräftemangel weiter verschärft wird. Doch die Unternehmensseite reagiert mit Ablehnung. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) bezeichnete die Forderungen als „nicht tragbar“ und „geradezu realitätsfern“. Nach ihren Berechnungen würde das Gewerkschaftspaket Mehrkosten von rund 15 Milliarden Euro verursachen.
Doch selbst die von den DGB-Gewerkschaften gestellten Forderungen reichen nicht aus, um die Probleme zu lösen. Aufgrund der hohen Inflation wäre selbst eine Gehaltserhöhung von 8 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten eine leichte Reallohnsenkung. Hinzu kommt, dass vergangene Tarifverhandlungen gezeigt haben, dass ein finaler Kompromiss meist eine noch geringere Entgelterhöhung bei einer deutlich längeren Laufzeit bedeutet. Gleichzeitig sind die Arbeitsbedingungen für viele Beschäftigte durch Personalengpässe bereits an der Belastungsgrenze, sodass sich der Druck immer weiter erhöht.
Streik! Bundesweiter Ausstand in Kliniken und Pflegeeinrichtungen
Unternehmen legen kein Angebot vor
Die dritte Verhandlungsrunde zwischen Gewerkschaften und Kapitalseite beginnt am Freitag in Potsdam. Bislang hat die Unternehmensseite jedoch kein eigenes Angebot vorgelegt. Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke kritisiert die Blockadehaltung: „Die Arbeitgeber mauern komplett. Bislang gab es keinerlei Annäherung und keinerlei positives Signal.“
Auch in der Frage der Laufzeit des neuen Tarifvertrags gibt es keine Einigung. Während die Gewerkschaften einen Abschluss für zwölf Monate anstreben, wollen die Unternehmen den Vertrag über drei Jahre laufen lassen. Verdi-Chef Werneke wirft der Kapitalseite vor, in dieser Zeit „mehr oder weniger nichts bezahlen“ zu wollen.
Sollte in der kommenden Verhandlungsrunde keine Einigung erzielt werden, kann jede Tarifpartei die Schlichtung anrufen. Erst wenn auch diese scheitert, wären unbefristete, flächendeckende Streiks möglich – ein Szenario, das zuletzt im Jahr 2006 eintrat.
Keine faulen Kompromisse zulassen
Die aktuelle Streikwelle ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines Systems, das die Interessen der Unternehmen über die der Arbeiter:innen stellt. Die Inflation hat die Lebenshaltungskosten in die Höhe getrieben, während die Löhne stagnierten. Gleichzeitig verschärft der Fachkräftemangel die Arbeitsbelastung in vielen Branchen des öffentlichen Dienstes.
Doch statt Lösungen anzubieten, reagieren Politik und die Kapitalvertreter:innen mit leeren Versprechungen. Mit Entlastungen ist nicht zu rechnen, denn unser Steuergeld wird in Billionenöhe in die Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen gesteckt. Die Rechte der Arbeiter:innen werden unter dem Deckmantel der Flexibilität aufgeweicht und Rentner:innen sollen – noch vermeintlich freiwillig – dazu gebracht werden nach dem Renteneintrittsalter weiterzuarbeiten.
Doch eines ist klar: Ohne Streiks gibt es keinen Fortschritt. Die Beschäftigten haben verstanden, dass sie nur durch kollektiven Widerstand Verbesserungen erreichen können. Und solange die Bundesregierung und Unternehmen nicht handeln, werden die Streiks weitergehen – denn ohne Kampf gibt es keine Gerechtigkeit.
Die vergangenen Jahre haben aber auch bewiesen: Ein entschlossener Kampf für bessere Bedingungen bleibt auch von Seiten der DGB-Gewerkschaften aus und es wird ein fauler Kompromiss nach dem anderen ausgehandelt. Weder der Staat noch die etablierten Gewerkschaften werden unsere Einkommen und Arbeitsverhältnisse in notwendigem Maße verbessern. Deshalb liegt es an uns, als Kolleg:innen in dieser Tarifrunde klarzumachen, dass halbherzige Zugeständnisse nicht genug sind.
Und egal ob wir selbst unter dem TVöD arbeiten oder nicht – wir sollten uns den Streiks anschließen und sie unterstützen. Denn auch wenn die Unternehmen immer wieder – wie zuletzt die Sprecherin des Hamburger Flughafens – versuchen uns zu spalten und zu erklären, dass die Streikenden „den Menschen schaden“ würden, müssen wir immer wieder klar machen, dass wir alle in einem Boot sitzen.
Hier wird diese Woche gestreikt
Kurz vor der dritten Verhandlungsrunde, die vom 14. bis 16. März stattfindet, sind nun eine Reihe weiterer Streiks angekündigt. Gestreikt wird vor allem im Nahverkehr, in Kliniken, Kitas, in der Entsorgungswirtschaft und weiteren Bereichen des öffentlichen Dienstes. In zahlreichen Städten gibt es zentrale Streikkundgebungen und Demonstrationen.
Augsburg
- Mittwoch, 12.3.: Streik in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes (auch in München, Rosenheim, Nürnberg, Augsburg und Bamberg).
- Donnerstag, 13.3.: Bayernweiter Streikhöhepunkt mit Kundgebungen in Augsburg, München und Nürnberg.
Berlin
- Mittwoch, 12.3. bis Freitag: Streik bei der Stadtreinigung (BSR), den Krankenhäusern (Vivantes, Charité), der Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala), Jobcenter-Stellen und den Berliner Wasserbetrieben
- Donnerstag, 13.3., 10 -12:30 Uhr: Streikdemonstration (Beginn: Washingtonplatz)
Dortmund
- Dienstag, 12.3., 10:30 – 12:30 Uhr: Kundgebung auf dem Friedensplatz mit ca. 5.000 Streikenden aus Dortmund, Hamm, Unna, Hochsauerland und Hellwegregion. Betroffen: Kommunalverwaltungen, Sparkassen, ÖPNV, Krankenhäuser, Abfallwirtschaft.
Düsseldorf
- Dienstag, 12.3., 10:00 Uhr: Demonstrationszug vom DGB-Haus (Friedrich-Ebert-Straße 34) zum Burgplatz. 11:00 Uhr: Kundgebung mit ca. 4.000 Streikenden aus Düsseldorf, Kreis Mettmann, Wuppertal, Solingen, Remscheid und Umgebung.
Essen
- Dienstag, 12.3., 9:00 Uhr: Kundgebung auf dem Hirschlandplatz, vorab Sternmarsch verschiedener Betriebe.
Duisburg
- Dienstag, 12.3., 10:00 Uhr: Kundgebung auf dem König-Heinrich-Platz, im Vorfeld drei Demozüge (Start: HBF, WBD, DVG Betriebshof Unkelstein). Erwartet werden rund 3.000 Streikende.
Mülheim
- Dienstag, 12.3., 9:30 Uhr: Kundgebung auf dem Rathausmarkt, danach Demonstrationszug.
Oberhausen
- Dienstag, 12.3., 8:30 Uhr: Demozug vom Altmarkt zum Friedensplatz, dort um 9:30 Uhr Kundgebung.
Gelsenkirchen
- Dienstag, 12.3., 9:00 Uhr: Demo am Musiktheater im Revier. 10:00 Uhr: Kundgebung auf dem Heinrich-König-Platz. Erwartet werden ca. 5.000 Streikende aus Bochum, Gelsenkirchen, Herne, Bottrop und Kreis Recklinghausen.
Frankfurt
- Dienstag, 11.3. & Mittwoch, 12.3.: Zwei Demonstrationszüge (Startpunkte: 10:30 Uhr Straßenbahn-Depot VGF, 11:00 Uhr Kaisersack), 12:00 Uhr Kundgebung auf dem Römerberg.
- Eintägige Streiks: Städtische Bühnen Frankfurt (11.3.), Kasseler Verkehrsgesellschaft KVG (12.3.), Mainova Frankfurt (11.3.).
- Mehrtägige Streiks: ESWE Verkehr, OVG, VGF (11.3. – 13.3.), Bad Homburg Bauhof (10.3. – 15.3.), Technische Verwaltung Hanau (10.3. – 15.3.), Entsorgungsbetriebe in Wiesbaden, Darmstadt, Frankfurt (ELW, EAD, FES).
- Kliniken: Klinikum Höchst (10.3. OP + Anästhesie, 11.3. & 12.3. alle Abteilungen), Klinikum Hanau (10.3. & 11.3.), Klinikum Kassel (11.3. & 12.3.).
Freiburg
- Donnerstag, 13.3.: Zentraler Streiktag in allen Bereichen inkl. Nahverkehr. 11:00 Uhr: Kundgebung am Platz der Alten Synagoge, anschließend Demonstration.
Hagen
- 9:30 Uhr Sammeln auf dem Friedrich-Ebert-Platz, 1.500 Streikende.
Halle (Saale)
- 10.3., 5:00 Uhr – 11.3., 7:00 Uhr: Streik der Bodenverkehrsdienste am Flughafen Leipzig/Halle.
Hamburg
- Montag, 10.3., 9:30 Uhr: Kundgebung auf der Reesendammbrücke/Ballindamm. 11:00 Uhr: Demonstrationszug durch die Innenstadt zum Gewerkschaftshaus.
Köln
- Dienstag, 12.3., 10:00 Uhr: Start der Demonstrationszüge vom Hans-Böckler-Platz & Ottoplatz. 11:00 Uhr: Kundgebung auf dem Heumarkt mit ca. 5.000 Teilnehmenden.
Konstanz
-
11.3. Zentraler Streiktag in Konstanz & Südschwarzwald inkl. Nahverkehr
Leipzig
- 10.3., 5:00 Uhr – 11.3., 7:00 Uhr: Streik der Bodenverkehrsdienste am Flughafen Leipzig/Halle.
Nürnberg
- Mittwoch, 12.3.: Streik in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes.
- Donnerstag, 13.3.: Bayernweiter Streikhöhepunkt mit Kundgebungen in Nürnberg, München und Augsburg.
Offenburg
- 12.3. Ortenau Klinikum in Offenburg (14:00 Uhr Kundgebung am Ebertplatz).
Potsdam
- Freitag, 14.3., 9-11:30 Uhr: Großdemonstration in Potsdam zur dritten Verhandlung des TVöD
Siegen
- 10:15 Uhr Kundgebung nach Demozug zur Siegerlandhalle, 350 Teilnehmende. Aufgerufen sind Kommunalverwaltungen, Entsorgung, Müllverbrennung, Stadtwerke, Jobcenter, Arbeitsverwaltung, Verkehrsbetriebe, Wirtschaftsbetrieb, Theater Hagen, Klinikum Siegen.
Stuttgart
- Donnerstag, 13.3.: Regionaler Streiktag mit Stadt Stuttgart und Landkreisen Böblingen, Rems-Murr, Ludwigsburg. 11:00 Uhr: Demonstration, 11:45 Uhr: Kundgebung auf dem Schlossplatz.
- Freitag, 14.3.: Warnstreik bei Stadt Stuttgart, Klinikum Stuttgart, Rems-Murr-Kliniken, Regionalkliniken Holding.