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Ukraine-Krieg: Verhandeln auf die harte Tour

Nach der öffentlichen Demütigung des ukrainischen Präsidenten durch die US-Regierung haben sich europäische Staaten in London zu einem Sondergipfel getroffen. Das Vereinigte Königreich und Frankreich wollen eine „Koalition der Willigen“ anführen, einen Plan für eine Waffenruhe in der Ukraine ausarbeiten und eigene Friedenstruppen in das Land schicken. Welche Rolle Deutschland dabei spielen wird, ist noch unklar.

Das Vereinigte Königreich und Frankreich wollen die europäische Führungsrolle in der Ukraine übernehmen. Bei einem Ukraine-Sondergipfel in London sprachen sie am Sonntag mit den Regierungschefs anderer europäischer Staaten über einen möglichen Waffenstillstandsplan und die Bildung einer „Koalition der Willigen“. Die Beratungen beider Länder über eine Konkretisierung der Pläne dauerten am Montagnachmittag noch an.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor in einem Interview mit der Tageszeitung Le Figaro einen gemeinsamen Plan für eine Waffenruhe in der Ukraine vorgestellt. Demnach solle es eine einmonatige Feuerpause „in der Luft, auf den Meeren und bei der Energieinfrastruktur“ geben. Die britische Regierung relativierte die Äußerungen Macrons kurz darauf als eine von „mehreren Optionen“. Einig war man sich in London aber wohl darüber, dass Europa die Unterstützung der USA für den Plan einholen müsse. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die Donald Trump politisch nahe steht, sprach sich für einen sofortigen Gipfel Europas und der USA aus und warnte vor einer Spaltung des Westens. Am Donnerstag wird sich ein EU-Sondergipfel mit dem Thema befassen.

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Eklat in Washington

Anlass der Beratungen ist der Eklat zwischen den USA und der Ukraine am vergangenen Freitag. Die Unterzeichnung eines Rohstoffabkommens zwischen beiden Ländern war vor laufenden Kameras mit Pauken und Trompeten gescheitert, als der ukrainische Präsident Selenskyi gegenüber US-Präsident Donald Trump und seinem Vize J.D. Vance auf Sicherheitsgarantien für sein Land pochte und äußerte, dass man Russland nicht trauen könne. Trump und Vance warfen Selenskyi daraufhin vor, mit „Millionen Toten“ und einem „Dritten Weltkrieg“ zu spielen und sich gegenüber den USA respektlos zu zeigen. Die US-Seite beendete das Treffen ohne Unterzeichnung des Abkommens und warf Selenskyi aus dem Weißen Haus. US-Präsident Trump äußerte im Anschluss auf seinem Social-Media-Kanal Truth Social, der ukrainische Präsident könne wiederkommen, wenn er zum Frieden bereit wäre.

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Der einflussreiche US-Senator Lindsey Graham, bisher ein wichtiger Vermittler zwischen den USA und der Ukraine, rief Selenskyi währenddessen vor der Presse dazu auf, sich entweder zu ändern oder zurückzutreten. Schon seit einiger Zeit wurde darüber spekuliert, dass die Trump-Regierung Selenskyi weg haben wolle, um Verhandlungen mit Russland zu erleichtern. Trump hatte ihn vor kurzem noch als „Diktator“ bezeichnet, da die turnusmäßige Präsidentenwahl in der Ukraine wegen des Kriegs bislang ausgesetzt wurde.

Rolle Deutschlands noch unklar

Die neue US-Regierung sucht eine Annäherung an Russland, wenn nötig auch zulasten der Beziehungen mit den europäischen Staaten. Dabei dürfte es vor allem darum gehen, Russland vom wichtigsten amerikanischen Konkurrenten China zu entfernen — denn beide Staaten hatten sich im Zuge des Ukraine-Kriegs und der westlichen Sanktionspolitik wirtschaftlich und politisch angenähert. Der österreichische Politikwissenschaftler Gustav Gressel sieht diese Bestrebungen der US-Regierung vor allem bei J.D. Vance, hält es aber für „eine Illusion“, dass die USA Russland auf ihre Seite ziehen könne. Bezüglich der europäischen Länder sieht Gressel die Notwendigkeit, dass diese auch ohne die USA Europa verteidigen und die Ukraine unterstützen müssten.

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Ähnlich hatte sich nach der deutschen Bundestagswahl auch der designierte nächste Kanzler Friedrich Merz (CDU) geäußert. Unter anderem brachte Merz ein europäisches nukleares Schutzschild mit dem Vereinigten Königreich und Frankreich – den beiden Atommächten in Europa – ins Spiel. Der Kanzler im Wartestand reiste vergangene Woche zudem nach Paris und traf dort Emmanuel Macron zu einem dreistündigen gespräch.

Welche Rolle Deutschland bei der englisch-französischen Koalition der Willigen spielen wird, ist derzeit aber noch unklar. Noch-Kanzler Scholz äußerte nach dem Gipfel am Sonntag lediglich, dass eine Waffenruhe die entscheidende Voraussetzung für mögliche Verhandlungen sei. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warb indes in der ARD dafür, dass Deutschland der Koalition der Willigen beitreten solle.

Dass die BRD selbst Truppen in die Ukraine entsenden wird, um einen Waffenstillstand abzusichern, dürfte wohl nicht in Frage stehen – denn anderenfalls würde das Land mit den zweitgrößten Hilfszahlungen an die Ukraine die künftige Initiative dort seinen beiden größten Konkurrenten in Europa überlassen. Wahrscheinlich ist daher, dass sich Union und SPD im Zuge ihrer Sondierungsgespräche für eine neue Bundesregierung zügig auf ein Vorgehen in der Frage verständigen werden.

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Viele offene Fragen, Initiative bei USA und Russland

Daneben stellen sich die Fragen, ob die USA sich doch noch zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine bewegen lassen und welche genaue Rolle europäische Truppen dort spielen würden, etwa im Falle eines Bruchs des Waffenstillstands.

Die Initiative in der Ukraine-Frage liegt derzeit bei den USA und Russland, während Kiew und seine europäischen Verbündeten der Entwicklung hinterher zu hecheln scheinen. Für Russland ist eine Waffenruhe bislang offenbar kein Thema, sondern nur eine langfristige Vereinbarung. Hierbei pocht Moskau auf eine neutrale, blockfreie und entmilitarisierte Ukraine.

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