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Wie ergeht es den Gefangenen im Budapest-Komplex?

Derzeit sitzen mehrere Antifaschist:innen im Kontext des „Budapest-Komplex“ in Haft. Nun hat das Budapest Antifascist Solidarity Commitee Informationen veröffentlicht, wie es ihnen im Gefängnis ergeht.

Am 20. Januar stellten sich an verschiedenen Stellen Menschen den Behörden, nachdem sie zuvor über zwei Jahre lang untergetaucht waren. Ihnen werden Angriffe auf Nazis im Zuge des Budapest-Komplexes vorgeworfen.

Die Bedingungen, unter denen die Aufgetauchten sitzen, „variieren von JVA zu JVA“ so Anton Borsutzky von der Solidaritätsgruppe family and friends. Nun hat das Budapest Antifascist Solidarity Commitee (BASC) einen ersten umfassenden Bericht über die konkreten Haftbedingungen veröffentlicht.

Angehörige im Budapest-Komplex: „Aus jungen Antifaschist:innen werden Terrorist:innen gemacht“

Die ersten Tage „danach“ – Ankommen in Untersuchungshaft

Demnach dauerte es einige Tage und langwierige, sich verzögernde Termine in Karlsruhe, bis alle der sieben Gefangenen in den jeweils vorgesehenen Justizvollzugsanstalten eintrafen. Bei manchen war es ein direkter Transport vom Bundesgerichtshof (BGH) zur aktuellen Zelle, Andere wurden über Tage immer wieder von Gefängnis zu Gefängnis gebracht, bis die vorgesehene JVA erreicht wurde.

Die Taschen der Gefangenen wurden großteils bis auf Weiteres beschlagnahmt. Manche durften zeitweise ein eigenes Buch, eigene Bettwäsche und/oder eigene Kleidung entnehmen oder haben es später ausgehändigt bekommen. Stellenweise wurde diese Freiheit auch wieder von einzelnen Gefängnissen und Beamten eingeschränkt.

Zu Beginn verbrachten alle Gefangenen einige Tage in „Sitzwache“. Was laut Justiz eine Sicherheitsmaßnahme zur Vermeidung von Suiziden darstellen soll, ist tatsächlich äußerst belastend: Die Zellen sind bis auf wenige Ausnahmen 24 Stunden videoüberwacht und durchgehend hell beleuchtet. An erholsamen Schlaf oder ein minimales Gefühl von Privatsphäre ist dabei kaum zu denken.

Auch an dieser Stelle unterscheiden sich die jeweiligen Zeitspannen. Von einer Nacht bis zum Teil über eine Woche saßen die Gefangenen in solchen Überwachungskammern.

Den Haftalltag studieren

Nach Einzug in klassische Zellen ging es weiter an das Kennenlernen des Haft-Alltags: Welche Anträge sind zu Beginn relevant? Welche Möglichkeiten der Beschäftigung gibt es? Wann und wie kann man Ausbildungen beginnen?

Es ist wichtig anzumerken, dass die meisten JVAs ihre eigenen Regeln, Abläufe und Entscheidungsstränge haben. Dies sorgt aber auch dafür, dass manche der frisch inhaftierten Personen lange auf Einkaufsmöglichkeiten, eigene Kleidung und Ähnliches warten mussten und müssen. Die Zeit im Gefängnis verläuft sehr viel langsamer als außerhalb, somit erscheinen viele der relevanten Vorgänge eher zäh und mühsam.

Dennoch gibt es Entwicklungen und Prozesse, die den Gefangenen etwas Halt und Zeitvertreib bieten: Manche haben TV- und Radiogeräte auf ihren Zellen und konnten sich so die ersten Tage erträglicher gestalten, Einzelne beginnen zeitnah sogar schon eine Ausbildung in Haft. Auch die ersten Briefwechsel und Besuche von Familienangehörigen konnten nach vielen Wochen Wartezeit endlich stattfinden und weitere Besuche können geplant werden.

Dennoch sind die Besuchsoptionen grundlegend auf maximal drei bis vier Besuche à 30 – 60 Minuten im Monat begrenzt. Bis die Besuchserlaubnisse in den Briefkästen der Angehörigen landen, dauert es ebenfalls mehrere Wochen. Sämtliche Besuche von allen Gefangenen im Budapest-Komplex werden dabei von verschiedenen Staatsschutz- oder Landeskriminalbeamt:innen begleitet, bewacht und dokumentiert.

Klassische Missstände

Es lässt sich nicht stets und einfach belegen, welche der Hürden und Schikanen, mit denen sich die Gefangenen konfrontiert sehen, zum allgemeinen Tagesgeschäft gehören, und welche aus politischen Gründen erfolgen.

Eine Person der jüngst Inhaftierten im hiesigen Verfahren erlebte z.B. in den ersten zehn Tagen vier Razzien in der Zelle – eine davon mit Hund. Mehrere Zellenverlegungen der gleichen Person brachten sie in die Situation, die zuvor scheinbar bewohnten und vermüllten Zellen selbst zu säubern.

Darüber hinaus gab es Probleme bei der Essensversorgung: Wenn es nicht ausreichend Nahrung gab, mündete diese Schikane Ende Januar im Servieren von verschimmeltem Brot, weil ein eigener Einkauf erst nach drei Wochen Haftzeit (Mitte Februar) erlaubt war.

Kommunikation und Informationen absichtlich abgeschnitten

Für eine andere Gefangene ist es nicht möglich, unbewacht mit ihrer Anwältin zu telefonieren. Die JVA, in der sie sitzt, macht dies bis heute für keine der Insassen adäquat möglich. Allgemein gibt es für alle Inhaftierten ein Haftstatut mit auferlegten Beschneidungen in der Informationsmöglichkeit. Beispielsweise werden jegliche Zeitungsartikel als Anhang von Briefen einkassiert.

Dies führt uns zur generellen Postkontrolle: Vor allem sie sorgt in der Praxis
für massive Verzögerungen der Briefzustellungen bis hin zur Nicht-Zustellung von Post Angehöriger und solidarischer Menschen. Über die Überwachung der Inhalte hinaus bildet dies eine Möglichkeit, das Isolationsgefühl der Eingesperrten stark zu erhöhen und den Austausch zwischen Drinnen und Draußen nicht nur zu verlangsamen, sondern stark zu behindern.

Und obwohl die Vorgänge mit der Post vor allem über die Bundesanwaltschaft (GBA) und den BGH laufen, gibt es auch da große zeitliche Unterschiede: häufig dauert es bis zu drei Wochen, bis Briefe ankommen.

Ebenso verschieden sind die Kontaktmöglichkeiten mit anderen Gefangenen. Teilweise entstehen auch sehr widersprüchliche Situationen: Zwar haben Gefangene die Möglichkeit, zu anderen Gefangenen in deren Haftraum eingeschlossen zu werden („Umschluss”), sie dürfen aber nur alleine auf den Freihof gehen. Fast alle der Gefangenen im Budapest-Komplex waren anfangs gänzlich isoliert von anderen Gefangenen und durften zunächst ebenfalls nur allein auf den Hof.

Andere werden wie Schwerverbrecher behandelt

Anders als bei den freiwillig Aufgetauchten gingen die Repressionsbehörden bei einer weiteren beschuldigten Person im Budapest-Komplex Anfang November hart vor: Die Vorführung in Karlsruhe erfolgte standardmäßig in Hand- und Fußfesseln. Zusätzlich wurden dem Beschuldigten Johann G. während des Transports die Augen verbunden und ein Spuckschutz angelegt.

Die gesamten ersten zwei Wochen wurde er in einer Sitzwachenzelle untergebracht und 24/7 vom Gefängnispersonal durch eine Scheibe hindurch beobachtet. Danach folgte die Verlegung in einen besonders gesicherten Haftraum. Bei jedem Verlassen des Haftraums wurden ihm Hand- und Fußfesseln angelegt, und er wurde von mindestens drei Beamten begleitet.

Gleiches galt auch für den Sonderhofgang, der täglich getrennt von anderen Gefangenen stattfand. Nach sechs Wochen wurde ihm der erste Aufschluss für täglich 30 Minuten gewährt, allerdings auch dieser ohne Kontakt zu Mitgefangenen. Erst Mitte Februar wurde ihm seine Privatwäsche ausgehändigt. Inzwischen kann er den Hofgang gemeinsam mit anderen Gefangenen verbringen.

Die Besuche finden nach wie vor im Trennscheibenraum statt und werden vom LKA und der JVA überwacht. Der Beschuldigte ist auch während des Besuchs zusätzlich an Händen und Füßen gefesselt.

Doch zumindest wird Johann G. nicht nach Ungarn ausgeliefert. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Jena entschieden, wie das Gericht dem NDR bestätigte. Die Entscheidung sei gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Thüringen ergangen, sagte ein Sprecher der Behörde. Zu den Gründen sagte er, dass G. deutscher Staatsbürger sei, gegen den auch im Inland Strafverfahren laufen.

Zaid droht Auslieferung, Maja bleibt standhaft

Einer der Aufgetauchten befindet sich unter ganz anderen Bedingungen in Haft: Zaid. Gegen Zaid liegt kein deutscher, jedoch ein ungarischer Haftbefehl vor. Ebenso hat er einen syrischen und keinen deutschen Pass. Er ist nicht in klassischer Untersuchungshaft wie andere der Aufgetauchten, sondern in einer Art Auslieferungshaft.

Aktuell wird über die Auslieferung aller Aufgetauchten diskutiert. Einzelne Presseartikel verbreiteten jüngst die Fehlmeldung, dass keine Auslieferungen nach Ungarn mehr stattfinden würden. Der Bundesgerichtshof hat sich zwar klar gegen weitere Auslieferungen von den deutschen Beschuldigten ausgesprochen, und auch die Auslieferung von Maja wurde rückwirkend als rechtswidrig erklärt. Dennoch ist die Entscheidung über die juristische Zuständigkeit noch nicht bei allen abschließend geklärt, und es gilt weiterhin zu warten, bis dies eindeutig entschieden und schlussendlich rechtswirksam wird.

In Bezug auf die sechs Deutschen der sieben Aufgetauchten (alle außer Zaid) hatte der GBA mit einem Schreiben vom 31. Januar 2025 mitgeteilt, dass nach Einschätzung der Behörde die hiesigen Ermittlungen vorrangig seien: „Diese Bewertung, bei der insbesondere der Gesichtspunkt der Effektivität der Strafverfolgung zu gewichten war, ist auf der Grundlage des aktuellen Ermittlungsstands erfolgt“, teilte der GBA dem juristischen Onlinemagazin LTO mit.

Auslieferung von Maja: Gericht erklärt Rechtswidrigkeit, Repression wird fortgesetzt

Maja T. lehnte vergangene Woche in Ungarn das Angebot der Staatsanwaltschaft ab, ein Schuldgeständnis abzulegen. Damit hat sie sich für einen politischen Ausdruck entschieden und gegen zehn Jahre kürzere Haft als das Strafhöchstmaß. Das Angebot waren 14 Jahre hinter Gittern wegen Antifaschismus. Daher ist nun ein langer Prozess zu erwarten, an dessen Ende das Höchst-Strafmaß von 24 Jahren drohen könnte.

Maja kritisierte, sie stehe in einem Land vor Gericht, in dem „they” für non-binäre Personen nicht existiere, weil sie eine Antifaschistin sei. Es gehe in diesem Prozess um viel mehr, „als um mich selbst“, so Maja, und beklagte die „menschenunwürdigen Bedingungen“ in Einzelhaft, mit Schlafentzug durch stündliche Kontrollen in der Zelle sowie mangelnde hygienische Bedingungen. Zudem habe sie nur einen geringen Teil an Akten und Beweismaterial in deutscher Übersetzung erhalten.

Antifaschist:in Maja drohen 24 Jahre Haft in Ungarn

Erstes deutsches Strafverfahren im Budapest-Komplex

Gegen Hanna S. ist am 19. Februar fast parallel das erste Strafverfahren zum sogenannten Budapest-Komplex in Deutschland angelaufen. Anfang Mai 2024 wurde die inzwischen 30-jährige Hanna verhaftet, am 20. September erhob der Generalbundesanwalt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München Anklage gegen die deutsche Staatsangehörige.

Prozess gegen Antifaschistin Hanna findet in Deutschland statt

Die Tatvorwürfe lauten auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB), versuchter Mord (§ 211 Abs. 2, §§ 22, 23 StGB) sowie gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 StGB). Schon kurze Zeit später ließ das Gericht die Anklage zu. Der Strafrahmen reicht von sechs Monaten bis zu 15 Jahren. Für den Prozess sind 32 Prozesstage angesetzt, zunächst bis zum 15. September 2025.

Der erste Prozesstag ging nach drei Stunden zu Ende. Um die Vorgänge in Budapest selbst geht es – abgesehen von der Anklageverlesung – an diesem Tag nicht mehr. Rund 100 Personen hatten sich – beobachtet von einem starken Polizeiaufgebot – ab dem frühen Morgen versammelt, um ihre Solidarität auszudrücken. Auf Plakaten stand: „Wir sind alle Antifa!“. Gelegentlich skandieren die meist jungen Menschen Sätze wie: „Alle zusammen, gegen den Faschismus!“ und „Free Hanna!“.

„Lasst eure Solidarität sichtbar und spürbar werden“

Alle Menschen, die Solidarität für Gejagte des deutschen und ungarischen Staats und Solidarität für konsequenten, praktischen Antifaschismus empfinden, sollen sich eingeladen fühlen, so das BASC. „Lasst eure Solidarität sichtbar und spürbar werden: Die Auslieferungen müssen verhindert werden!“

Es gehe auch darum, unsere Mitmenschen zu sensibilisieren für die Repression, die über die Beschuldigten hinaus auch ihre Familien und Umfelder betreffen. Besonders kreative Formen, den Protest und Widerstand in verschiedensten Arten auf die Straße zu tragen, seien gefragt. Über „laute Besuche und Kundgebungen an Knästen“ könne den Gefangenen gezeigt werden, dass sie nicht allein sind. Der Appell enthält auch, sich über aktuelle Entwicklungen in den Gerichtsverfahren in Ungarn und Deutschland zu informieren. Die Parole lautet: „Wir gemeinsam gegen ihre Repression!“

Auf die Straße: Solidarität mit den Antifaschist:innen praktisch machen!

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