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US-Signal-Leak: Der Gegner macht Fehler

Ein Journalist konnte in einer Signal-Gruppe vertrauliche Chats aus den höchsten Kreisen der US-Regierung mitlesen. Was in den Chats steht, und wieso das Bild der unüberwindbaren Regierung dadurch Risse bekommt – Ein Kommentar von Lukas Mainzer.

Im ersten Moment klingt es zu absurd, um wahr zu sein. Die US-Regierung hat den Journalisten Jeffrey Goldberg in eine Signal-Chatgruppe hinzugefügt, in der US-amerikanische Luftangriffe auf Stellungen der Huthi im Jemen diskutiert wurden – vor erfolgter Bombardierung.

Die Chatgruppe eröffnet habe wohl Michael Waltz, Trumps nationaler Sicherheitsberater. Ranghohe Mitglieder im Chat waren unter anderem der Vize-Präsident JD Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth, Außenminister Marco Rubio und CIA-Direktor John Ratcliffe.

Der allem Anschein nach versehentlich in die Gruppe hinzugefügte Jeffrey Goldberg ist seit 2016 Chefredakteur der liberalen Zeitschrift The Atlantic. Am Montag berichtete er in einem Artikel über seine Mitgliedschaft in der Gruppe und teilte erste Screenshots von Chatverläufen.

Nach anfänglicher Skepsis, Freude über Sterben im Jemen

Wie Goldberg darlegte, wurde er am 13. März 2025 ohne vorherige Absprachen von Präsident Trumps Nationalem Sicherheitsberater, Michael Waltz, in die Gruppe „Houthi PC small group“ hinzugefügt. Anschließend wurde dort über die Bombardierung der Huthis im Jemen debattiert.

Seit Oktober 2023 attackiert die Miliz im Westen Jemens Schiffe in der Meerenge zum Roten Meer. Dabei wurden sogar zwei Schiffe komplett versenkt. Als Reaktion auf den Genozid in Gaza blockieren die Huthis Containerschiffe, falls diese keinen Wegzoll an sie abtreten. Und sie attackieren alle Schiffe, die auf dem Weg nach Israel sind oder in irgendeiner Verbindung zu Israel stehen.

Der israelische Hafen am Roten Meer in Eilat ist als Folge aus dem eingebrochenen Schiffsverkehr seit Juli 2024 insolvent. Viele Schiffe, insbesondere mit dem Ziel Europa, müssen seitdem den erheblichen Umweg über die Südspitze Afrikas nehmen.

Von der Krise im Roten Meer sind in erster Linie die Lieferketten Europas betroffen. US-Vizepräsident Vance sprach sich im Chat z.B. offen gegen die US-Angriffe aus und kritisierte das Vorgehen des US-Präsidenten. Nur drei Prozent des US-Außenhandels passiert das Rote Meer. Zu einem viel größeren Teil leidet die europäische Schifffahrt unter den Attacken der Huthis. Vance schrieb im Chat, er „hasse es, Europa zu retten“.

Verteidigungsminister Hegseth bestätigt die antieuropäische Haltung der US-Regierung mit den Worten „Ich teile deinen Abscheu gegenüber europäischen Trittbrettfahrern. Es ist PATHETISCH“. Dennoch entschied sich die US-Regierung, Jemen zu bombardieren. Laut JD Vance mit „minimalem Risiko für saudi-arabische Ölanlagen“. Auch Details über Kampfjets und Luftschläge wurden geteilt.

Im Chat wird unter anderem durch den US-amerikanischen Außenminister gefeiert, dass der angebliche „Raketenspezialist“ der Huthis das Wohngebäude seiner Freundin betrat und in diesem Gebäude bombardiert wurde. 53 Menschen wurden durch die Bombardierungen vom 15. März insgesamt ermordet, darunter fünf Kinder und zwei Frauen.

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Auf die Meldung der erfolgreichen US-Angriffe wird mit Emojis reagiert, die von Bizeps, über Faust und Flammen bis USA-Flaggen reichen. Das erinnert an die Veröffentlichung der rechten Chatgruppen innerhalb deutscher Polizeibehörden oder der Bundeswehr.

Anzeichen von Inkompetenz häufen sich

Die Veröffentlichung des Artikels hat medial und politisch große Wellen geschlagen. Einerseits ist es ungewöhnlich, dass solch vertrauliche Informationen der US-Regierung über frei zugängliche Chat-Plattformen wie Signal geteilt werden. US-Beamte verfügen ab einem bestimmten Sicherheitslevel über eigene besser geschützte Kanäle.

Goldberg argumentiert in einem Interview, dass diese wohl zum einen aus „Bequemlichkeit“ gehandelt hätten. Auch die Unerfahrenheit im Umgang mit Informationen auf höchster Sicherheitsebene könnte eine Rolle gespielt haben. Die Personen sind erst seit ca. zwei Monaten im Amt. Hinzu kommt die unprofessionelle Arbeitsweise der Regierung Trumps.

Einen weiteren Grund sieht Goldberg im Motiv der Verantwortlichen, eine private Konversation führen zu können, die nicht als offiziell amtlich eingestuft und somit archiviert wird. Goldberg zufolge existiert ein Gesetz, wonach amtliche Korrespondenz kopiert und im Zentralarchiv der US-Behörden archiviert wird.

Zudem ist das erste Mal und ein extremer Zufall, dass ein Journalist eines eher regierungskritischen Magazins ungewollt in diese geheime Gruppe zur Planung von Luftschlägen hinzugefügt wird. Ausgehend von der schlampigen Arbeitsweise der US-Regierungsbeteiligten liegt jedoch die Möglichkeit nahe, dass Goldberg tatsächlich aus Versehen der Gruppe hinzugefügt wurde. Denkbar ist auch eine Verwechslung (der Name ist aufgrund der vielen jüdischen Auswanderer:innen, die zu Zeiten des Faschismus aus Deutschland in die USA emigrierten, nicht selten).

Geständnis und Gegenattacke

Inzwischen hat die US-Regierung den Vorfall bestätigt. Sicherheitsberater Michael Waltz räumte ein, Goldberg zur Gruppe hinzugefügt zu haben und „übernehme die volle Verantwortung“. Nachdem die US-Regierung anfangs noch bestritt, direkte Kriegspläne übermittelt zu haben, veröffentliche The Atlantic in einem weiteren Artikel am Mittwoch Screenshots der fast vollständigen Chatverläufe.

Die US-Regierung geht währenddessen in die Offensive. Präsident Trump bezeichnete das Teilen der Informationen lapidar als „Ausrutscher“ und attackierte gleichzeitig den Journalisten Goldberg. Verteidigungsminister Hegseth bezeichnete Goldberg als „hinterlistigen und höchst verrufenen, sogenannten Journalisten“.

Erwartbar, dilettantisch, menschenverachtend

Im Grunde genommen passen die Chatverläufe inhaltlich zur Linie der neuen US-Regierung. Wie schon bei der Münchener Sicherheitskonferenz oder der Demütigung Selenskyis im Weißen Haus zu Beginn des Jahres zeigt die US-Regierung ihre Distanzierung vom transatlantischen Bündnis und die Ablehnung der Interessen Europas. Dass die Angriffe trotzdem durchgeführt wurden, begründen die Politiker im Zeigen von Stärke. Die USA wollen also weiterhin bei den großen imperialistischen Mächten mitmischen, auch wenn sich die Bündnisse verschieben.

Auch stilistisch geben die Nachrichten in etwa das wieder, was von einer chauvinistischen Trump-Regierung zu erwarten ist. Dass der ehemalige Fox News Kommentator Michael Waltz mit der Kombination aus Faust, US-Flagge und Flammen-Emoji auf die erfolgreiche Bombardierung eines Wohnhauses reagiert, sollte niemanden überraschen.

Gesamte Häuserblocks, die zerstört werden, um einzelne Personen darin zu töten, gab es auch schon unter Joe Biden in Gaza. Recherchen zeigen, dass Zielpersonen explizit dann automatisiert bombardiert werden, wenn sie abends in ihre Wohnhäuser kommen. Hunderte Menschen, die in diesen Wohnhäusern begraben werden, werden in Kauf genommen. Die neue US-Regierung führt Kriegsverbrechen zur Durchsetzung ihrer Interessen fort, drückt ihre Freude und Unterstützung darüber nur offener und ehrlicher aus.

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Regierung zeigt sich verwundbar

Trotz des Herunterredens nach außen und der Attacken gegen Goldberg ist das Vorgehen der US-Regierung ein öffentlicher Skandal. Selbst dem republikanischen Propaganda-Sender Fox News musste Michael Waltz viele kritische Fragen beantworten. Es ist nicht auszuschließen, dass in nächster Zeit Mitglieder der US-Regierung zurücktreten.

Die Fahrlässigkeit im Umgang mit sensiblen Daten kann für Trumps Kabinett zur Gefahr werden. Berichte häufen sich, dass sich nicht nur in Signal-Gruppen, sondern auch bei Handynummern, E-Mail-Adressen und Passwörtern Mitglieder der Trump-Regierung amateurhaft verhalten. Journalist:innen vom Spiegel konnten etwa über öffentlich zugängliche Internetseiten private Kontaktdaten des US-Außenministers bekommen.

Die Veröffentlichungen zeigen: Durch ihre Überheblichkeit ist die aktuelle US-Regierung verwundbar. Der Skandal könnte der aktuellen Regierung unter patriotischen Amerikaner:innen einiges an Rückhalt und Unterstützung kosten. Außerdem drohen rechtliche Konsequenzen durch das Brechen von US-Spionagegesetze. Unter Verbündeten kann das Vorgehen für Vertrauensverlust sorgen. Politische Gegner der USA, allen voran ausländische Geheimdienste, werden die aktuellen Aufdeckungen genau beobachten und potenziell auch für sich nutzen können.

Der Fall zeigt, dass auch scheinbar übermächtige Staaten und Regierungen Fehler machen und nicht unverwundbar sind. Das dürfte auch revolutionären Bestrebungen Mut machen, insbesondere solchen, die aus Angst vor der vermeintlich technologischen Übermacht des Gegners zurückschrecken. Es sind auch nur Menschen. Und zunehmend nicht die politisch Geschicktesten.

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