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„Von allem zu wenig“ – Bundeswehr will immer mehr

Der jährliche Rechenschaftsbericht der Wehrbeauftragten unterstreicht den seit der „Zeitenwende“ eingeschlagenen Kriegskurs der Bundesregierung. Außerdem zeigt er auf, was uns in den nächsten Jahren erwartet: Weitere Milliarden für die Bundeswehr, dutzende Aufträge für die deutsche Kriegsindustrie und die personelle Aufstockung der Bundeswehr – zur Not auch mit Zwang.

„Die Lage ist ernst. Unsere Freiheit, unser Frieden, unsere Demokratie sind weltweit gefährdet“, so Eva Högl, Wehrbeauftragte des Bundestags, bei der Bundespressekonferenz am Dienstag. Dort stellte sie den Wehrbeauftragten-Jahresbericht 2024 vor, eine Art jährlicher Rechenschaftsbericht über die Entwicklung der deutschen Streitkräfte.

Gemäß der alten Leier führt Högl den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar 2022 als zentrale „Zäsur für die Sicherheits- und Bedrohungslage in Deutschland“ und die Notwendigkeit einer kriegsfähigen Bundeswehr an. Neben dem Ukraine-Krieg listet sie aber auch noch aktuellere Entwicklungen auf, welche die Bundesregierung und Bundeswehr beschäftigt hätten: so zum Beispiel den seit Oktober 2023 anhaltenden Krieg in Palästina sowie den neuen Kurs der USA, der auf ein schnelles Ende des Ukraine-Kriegs und ein militärisch eigenständigeres Europa setzt.

Zwar hebt der Bericht vereinzelt „positive Entwicklungen“ hervor. Der allgemeine Tenor geht aber weiterhin in die Richtung, dass die bisherigen Anstrengungen, die Kriegstüchtigkeit Deutschlands auszubauen, noch nicht ausreichten.

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Mehr Geld für Aufrüstung und ihre Vorbereitung

Trotz des 100-Milliarden-Sondervermögens, das 2022 nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine verabschiedet wurde, mangele es laut Högl und dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbands, André Wüstner, der Bundeswehr noch immer an Kriegsgerät. Deutschland müsse dringend seine „Kapazitäten in der Rüstung aufbauen“, so Wüstner. Begründet wird der Mangel vor allem damit, dass Deutschland einen großen Teil schweren Geschützes im Rahmen seiner Waffenlieferungen an die Ukraine abgegeben habe.

Die aktuellen Diskussionen über neue milliardenschwere Sondervermögen für die Bundeswehr und die Lockerung der Schuldenbremse zugunsten von Militärausgaben verfolge Högl deswegen auch mit Spannung. Auch ist sie der Meinung, dass die Bundeswehr „von allem zu wenig” habe und weiterhin „viel Geld nötig“ sei, um diesen Mangel zu beheben.

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Fehlendes Kanonenfutter

Die für die „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands zentrale Herausforderung wird laut dem Bericht die Lösung des chronischen Personalmangels der Bundeswehr sein. Die aufgefahrenen Bundeswehrkampagnen scheinen bisher nicht die Wirkung zu zeigen, die man sich erhofft hat: „Es gelinge nicht, ausreichend Menschen für die Bundeswehr zu begeistern oder sie längerfristig zu halten“, so Högl.

Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Armee dabei sogar um circa 1.000 Personen auf nun 180.976 Soldat:innen geschrumpft und seinem Ziel von 203.000 aktiven Soldat:innen bis 2031 kein Stück näher gekommen. Die Abbrecherquote liegt in den ersten sechs Monaten noch immer bei 25 Prozent und etwa ein Fünftel der unteren Dienstposten konnte im vergangenen Jahr nicht besetzt werden. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr immer älter wird: Das Durchschnittsalter von 33,1 Jahren 2021 ist mittlerweile auf 34 Jahre gestiegen.

Damit der Dienst an der Waffe wieder attraktiver für junge Menschen wird, brauche es neue Dienstzeitmodelle und bessere Entlohnung. „Es muss erklärt werden, warum es sich lohnt, die besten Jahre seines Lebens für den Dienst in der Bundeswehr bereit zu stellen“, so Wüstner.

Dafür soll auch mehr Geld in die militärische „Infrastruktur“, also zum Beispiel Kasernen gesteckt werden: „Schimmel in Stuben und Sanitärräumen, Wasserschäden, sowie von den Wänden abblätternder Putz waren allgegenwärtig“ und würden neue Freiwillige abschrecken. Zudem brauche es ohnehin eine größere Anzahl an Kasernen, um einem Zulauf an neuen Rekrut:innen überhaupt nachkommen zu können.

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Diskussionen über Wehrpflichtmodelle

Högl hält deswegen auch die Einführung eines verpflichtenden „Gesellschaftsjahrs” für Frauen und Männer für notwendig, das im Umweltschutz, bei der Bundeswehr oder im sozialen Bereich abgeleistet werden kann, um dem Personalmangel langfristig entgegenwirken zu können. Auch die Frage nach dem Wiederaufbau einer Wehrerfassung aller, die für den Dienst in Frage kommen könnten, soll nach Högl wieder an Tempo aufnehmen.

Wüstner ist bei seinen Forderungen jedoch nicht so zurückhaltend. Für ihn ist klar, dass ohne die Wiedereinführung einer Wehrpflicht der Personalmangel der Bundeswehr nicht behoben werden könne.

„Die Bundeswehr schrumpft und wird älter“ – laut Högl eine Entwicklung, die dringend gestoppt und umgekehrt werden müsse. Die Stoßrichtung für die kommenden Jahre ist also klar: mehr Aufrüstung, mehr Geld für die Bundeswehr und vor allem die Schaffung einer größeren und jüngeren Armee – ob mit Sozialpflichtdienst oder direkt mit Wiedereinführung der Wehrpflicht.

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