Vor wenigen Wochen hat die EVG mit der Deutschen Bahn einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen – ohne Streiks oder Arbeitskämpfe. Diese Herangehensweise sorgt für Wut bei den DB-Kolleg:innen. Wir haben mit dem DB-Angestellten Kilian Vetter gesprochen.
Kannst du erklären, was bei den Verhandlungen zwischen EVG und der Deutschen Bahn ausgehandelt wurde?
Die EVG hat einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen, der eine Laufzeit von 33 Monaten hat. Insgesamt sieht er eine Lohnerhöhung von 4,5 Prozent vor und EVG-Mitglieder erhalten eine jährliche Einmalzahlung zum Ende der Laufzeit. Das ist eine freiwillige Einmalzahlung seitens des Arbeitgebers. Da dieser jedoch nicht wissen darf, wer Gewerkschaftsmitglied ist und wer nicht, wird diese pauschal in allen EVG-geführten Betrieben der Deutschen Bahn ausgezahlt.
Zudem wurden noch einige Zuschläge und eine Beschäftigungssicherung vereinbart.
DB-Tarifabschluss: EVG verhandelt Reallohnverluste, ohne Streiks zu führen
Was halten du und deine Kolleg:innen von dem Ergebnis?
Der Abschluss der EVG wird als das zweitschlechtestes Ergebnis aller Zeiten angesehen. Erst recht in diesen unsicheren Zeiten – und während Europa auf Kriegskurs ist, grenzt das an Wahnwitz.
Die Lohnsteigerung von gerade mal 4,5 Prozent und dem EVG-Zusatzgeld ist einfach nur ein Witz. Dies deckt gerade mal die angenommene Inflation. Die Beschäftigungssicherung ist entweder unnötig oder blanker Hohn: de facto wird Mitarbeitenden irgendein Job angeboten, den sie entweder annehmen können, oder sie müssen sich selbst in die Arbeitslosigkeit katapultieren. Im Falle einer Insolvenz ist es sinnlos, da der Arbeitgeber eh keinen Lohn mehr auszahlen darf, sondern es Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur gibt. Dies sind etwa 70 Prozent des letzten Gehalts.
„Vor allem in der Instandhaltung sind die Leute frustriert.“
Weiterhin beraubt sich die EVG selbst ihres einzigen Druckmittels – dem Arbeitskampf – bis Ende 2027. Sollte sich in diesem Zeitraum etwas ändern, steht sie machtlos da – inklusive aller in ihr organisierten Kolleg:innen.
Die Stimmung bei den Kolleg:innen ist gemischt: Zwischen Resignation, Mut und Ernüchterung ist so ziemlich alles dabei. Vor allem fühlen sich die Kolleg:innen aber verarscht. Besonders in der Instandhaltung sind die Leute frustriert, da sie feststellen mussten, dass die DB sie nicht als Schichtarbeiter betrachtet und sie deshalb keine Lohnerhöhung ab Dezember 2026 erhalten.
Was denkst du, inwiefern sich die Lage bei der DB weiter entwickeln wird?
Das hängt von der jeweiligen Sparte bzw. dem jeweiligem Betrieb ab. Bei der DB Cargo wurden bei der Umstrukturierung schon massiv Stellen gestrichen. Der Trend geht weiter und wird vor allem durch die Zerstückelung in verschiedene Geschäftsbereiche befeuert. Obwohl der sogenannte „Wasserkopf“ (d.h. Stellen in der Verwaltung) verkleinert werden sollte, wurde vor allem im operativen Bereich (d.h. die Basis am Gleis) gekürzt. Im Fernverkehr lässt sich durch den Rückgang von Leistungen ähnliches beobachten.
Die Bahn ist von einem ehemals sicheren Arbeitgeber, zu einem Konzern mutiert wo man nicht weiß was morgen kommt.
Die DB AG hat massiven Personalmangel im operativen Bereich. Neue Mitarbeiter:innen werden sich mit diesen unsicheren Arbeitsplätzen schwer finden. Ohne Mitarbeiter:innen fahren auch keine Züge. So können Stellwerke nicht besetzt werden oder Züge müssen ausfallen, weil kein Personal da ist. Auch die Infrastruktur des Schienennetzes ist über seiner Grenze.
„Wenn wir eine funktionierende Bahn haben wollen, muss sich grundlegend was ändern.“
Marode Brücken, Schäden am Oberbau, kaputte Züge – all das führt zu Verspätungen und Zugausfällen. Das ist weder für die Fahrgäste schön, noch für die Mitarbeitenden, die dafür gerade stehen müssen.
Das Schienennetz ist mittlerweile so marode, dass auch die gut gemeinten Investitionen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Zudem sorgen auch die Baustellen für Störungen im Betriebsablauf. Wenn wir eine funktionierende Bahn haben wollen, muss sich grundlegend was ändern.
Was denkst du was notwendig ist, um die Interessen der Kolleg:innen tatsächlich durchzusetzen?
Die Kolleg:innen müssen sich organisieren und über ihre Probleme reden. Zudem müssen sie den Finger in die Wunde legen und brauchen einen Arbeitgeber, der ergebnisoffen zuhört. Das können sie allerdings nicht nur alleine tun. Sie brauchen dazu auch die Unterstützung aus Gesellschaft und Politik.
„Die Frage eines funktionierende Schienennetzes ist […] eine Klassenfrage.“
Es benötigt einen kompletten Rückbau der Privatisierung und eine Verstaatlichung der Eisenbahn. Wenn wir uns in Europa umschauen, wo Eisenbahn funktioniert, dann dort, wo es staatliche Eisenbahnen sind. Dort, wo massivst privatisiert wurde, gibt es kaum noch funktionierende Verbindungen.
Die Frage eines funktionierende Schienennetzes ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine gesellschaftliche: Wenn man sieht, dass die Köpfe der Deutschen Bahn selber nicht mit der Bahn, sondern mit fetten Dienstwagen fahren, während die alleinerziehende Mutter sich das Zugticket nicht leisten kann, könnte man auch sagen: es ist eine Klassenfrage. Wenn Politik und Arbeitgeber nicht willens oder fähig sind, müssen wir unsere Probleme selbst in die Hand nehmen.
„Wir brauchen eine klassenkämpferische Organisierung in den Betrieben!“
Gibt es noch irgendwelche Dinge, die du zu dem Tarifvertrag und seinen Auswirkungen auf dich oder deine Kolleg:innen sagen möchtest?
Grundsätzlich ist der Tarifvertrag eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht aller hart arbeitenden Kolleg:innen. Chefetage und Gewerkschaftsbünde hauen sich die Taschen voll und zahlen Boni aus, während sie die Mitarbeitenden immer weiter auspressen und das komplette Bahnsystem weiter verfallen lassen. An der Basis müssen wir sehen, ob das Geld reicht und ob wir in einem halben Jahr überhaupt noch einen Arbeitsplatz haben. Da helfen keine Riedbahn oder eine automatische Kuppelung für Güterzüge.
Diejenigen, die wissen wie Eisenbahn funktioniert, werden zunehmend vergrault. Diejenigen, die wichtige Entscheidungen treffen sollen, denken, dass das ein Spiel auf einer großen Eisenbahnplatte ist. Für keinen, der auf die Bahn angewiesen ist, ist das gut. Daher wünsche ich mir zum einen mehr Solidarität unter den Kolleg:innen und zum anderem mehr Solidarität unter den Fahrgästen. Verantwortlich für eine funktionierende Eisenbahn sind wir alle – die bekommen wir aber nicht geschenkt, deshalb müssen wir zusammenstehen und kämpfen.