In letzter Zeit häufen sich Initiativen aus verschiedenen Richtungen, die eine neue Rolle von Atomwaffen für die Verteidigungspolitik der BRD einfordern. Dabei zeigt sich eine Parallele zu den weiteren Kriegsvorbereitungen wie der Wehrpflicht. – Ein Kommentar von Mark Marat.
Die deutsche Militarisierungskampagne unter dem Label der „Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“ läuft auf Hochtouren. Vorbereitungsmaßnahmen für die nächste militärische Konfrontation der BRD wie die Aufrüstung der Bundeswehr, die Wehrpflicht und Jugendoffiziere an den Schulen sind Schritt für Schritt normalisiert worden.
Jetzt treten in der politischen Debatte der Parteien und im Regierungshandeln die Konturen eines neuen, noch viel gefährlicheren Aufrüstungsprojektes hervor. Konkret geht es um die Ausstattung der BRD mit eigenen Atomwaffen oder zumindest mit der Verfügungsgewalt über fremde.
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Der momentane Stand
Momentan gilt für die rechtliche und tatsächliche Lage bezüglich Kernwaffen in der BRD eine Einschränkung. Denn der deutsche Staat unterliegt zwei völkerrechtlichen Verboten für eigene nukleare Kampfmittel und die Verfügungsgewalt über fremde. Das eine ergibt sich aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV), dem die BRD 1975 beigetreten ist. Das andere ergibt sich aus dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, der 1990 zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges und den damaligen beiden deutschen Staaten geschlossen wurde.
Auf dem Territorium der BRD befinden sich im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO auf dem Fliegerhorst von Büchel etwa 10-20 Atombomben vom Typ B61. Sie sind US-amerikanisches Eigentum und würden im Ernstfall von Kampfflugzeugen der Bundeswehr zum Einsatz gebracht werden. Inwieweit das mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der BRD im Einklang steht ist umstritten.
Konferenz ohne deutsche Beteiligung
Die diesjährige UN-Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) hat ohne eine Delegation der BRD stattgefunden. Denn obwohl die BRD kein Unterzeichnerstaat des Vertrags ist, wurde seitens des deutschen Staates stets eine Beobachtungsdelegation zu den Staatenkonferenzen des AVV entsandt.
Das Auswärtige Amt erklärte nun aber den AVV für obsolet: „Der Atomwaffenverbotsvertrag stammt aus einer Zeit vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Intention und Ambition des Vertrags bilden die gegenwärtige sicherheitspolitische Realität nicht mehr ab.“ Darüber hinaus, sei das Auswärtige Amt der Auffassung, dass die nukleare Abschreckung für unsere Sicherheit unverzichtbar sei.
Das Fernbleiben wurde von der mit dem Friedensnobelpreis prämierten Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (ICAN) scharf kritisiert. Das Vorstandsmitglied von ICAN Deutschland, Hubertus Sonntag, bemerkte dazu, dass der Boykott der Bundesregierung ein fatales Signal sende. Er markiere „einen dramatischen Rückschritt in Deutschlands Rolle als Befürworter der internationalen Abrüstungsdiplomatie und widerspricht dem von der Bundesregierung immer wieder genannten Ziel einer Welt ohne Atomwaffen“.
Merz will europäischen Atomschirm
Nachdem die neue Staatsführung in den USA angedeutet hatte, dass die nukleare Teilhabe nicht wie bisher gedacht gelte, forderte Friedrich Merz (CDU), dass es ein europäisches Atomwaffenprogramm auf der Grundlage der nuklearen Kapazitäten von Frankreich und Großbritannien geben soll.
Der Präsident der Französischen Republik, Emanuel Macron, erklärte sich bereits dazu bereit, „eine Diskussion über eine europäische nukleare Abschreckung zu führen“. Der Premierminister des Vereinigten Königreiches, Keir Starmer (Labour Party), bezog noch keine Stellung dazu. Die Idee einer europäischen Abschreckung wurde bereits letztes Jahr im Europawahlkampf von der Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley, erhoben.
Ex-BND-Präsident und AfD fordern deutsche Atomwaffen
In einer Fernsehsendung gab der ehemalige Präsident des BND, August Hanning, die Losung „Make Germany great again“ für die deutsch Nuklearstrategie aus. Er forderte den Bruch mit deutschen Tabus und warnte von einer unmittelbaren Bedrohung durch eine Atommacht. Für ihn ist klar, dass „wir in Deutschland auch überlegen müssen, ob wir eigene Atomwaffen anschaffen“. Dafür brachte er auch eine Revision der völkerrechtlichen Verpflichtungen der BRD, insbesondere des NVV ins Spiel.
Denn für ihn ist klar: ,,Wenn man bedroht wird gibt es nur eine Antwort, man muss sich selbst ausrüsten.“ Ob dem promovierten Juristen der Zwei-plus-Vier-Vertrag zum Zeitpunkt bekannt war, dessen Revision nur im Einvernehmen mit den Siegermächten möglich wäre, ist unklar. Aber das Völkerrecht wird in der der BRD – außer in Sonntagsreden – ohnehin sehr flexibel gehandhabt. Das ist spätestens seit dem Kosovokrieg 1999 klar als unter dem Grünen Außenminister Joschka Fischer Luftangriffe auf Serbien und Montenegro geflogen wurden.
Auch die AfD brachte sich mit einem eigenen Beitrag in die Nukleardebatte ein. Demnach müssten Atomwaffen natürlich nationalen Charakter haben – also deutsche Atomwaffen für Deutschland. Rüdiger Lucassen, der für die AfD im Verteidigungsausschuss des Bundestages sitzt, forderte: „Deutschland braucht eigene Atomwaffen“ und „Deutschland muss selbst nuklear abschreckungsfähig werden“. Der JA-Vorsitzende Hannes Gnauck, der auch Mitglied des Verteidigungsausschusses ist forderte: „Deutschland braucht einen eigenen nuklearen Schutzschirm“.
Die Diskussion um Atomwaffen wird normalisiert
Ob und wann nun tatsächlich Atomwaffen für die Bundeswehr beschafft werden ist natürlich im Moment noch nicht völlig klar. Aber die vielfältigen Vorstöße zur Überwindung der deutschen Zurückhaltung in der atomaren Rüstung weisen ganz deutlich die Kennzeichen der bisherigen Vorgehensweise auf dem Weg zur Kriegstüchtigkeit der BRD auf. Zuerst wird eine Bedrohung konstruiert, bevorzugter Weise aus dem Osten. Dann wird der Debattenraum erweitert und am Ende geht es nur noch um finanzielle und technische Details und es wird umgesetzt.