Laut dem Bundesverwaltungsgericht sind Abschiebungen von gesunden, alleinstehenden Geflüchteten nach Griechenland von nun an rechtmäßig. Menschenrechtsorganisationen warnen währenddessen vor Obdachlosigkeit und Ausbeutung. Doch deutsche Gerichte sehen darin keine „systemischen Mängel“.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat entschieden, dass die Rückführung von alleinstehenden, gesunden und erwerbsfähigen Flüchtlingen nach Griechenland rechtmäßig ist, sofern keine besondere Schutzbedürftigkeit vorliegt. In seinem Urteil am Mittwoch (Urt. v. 16.04.2025, Az. 1 C 18.24) vertrat das Gericht die Ansicht, dass für diese Personengruppe bei einer Rückkehr keine unmenschlichen oder erniedrigenden Lebensumstände zu erwarten seien. Asylanträge solcher Schutzsuchenden können daher in Deutschland als unzulässig abgelehnt werden.
Was ist notwendig, um sich das Grundrecht auf Asyl zu verdienen?
Gemäß der EU-Dublin-Verordnung ist der Mitgliedstaat, in dem ein Flüchtling erstmals EU-Boden betritt, für das Asylverfahren verantwortlich. Griechenland als Ankunftsland an der EU-Außengrenze übernimmt somit die Zuständigkeit – selbst wenn Betroffene später in andere Staaten wie Deutschland weiterreisen. Ein zweiter Asylantrag im weiteren EU-Ausland ist laut dem Asylgesetz nur dann zulässig, wenn im Erstland systemische Mängel vorliegen, die eine Versorgung im Einklang mit der EU-Grundrechtecharta unmöglich machen.
Auch Palästinenser aus Gaza von Abschiebungen nach Griechenland betroffen
Die aktuell entschiedenen Fälle betrafen zwei Männer: einen staatenlosen 34-jährigen Palästinenser aus dem Gazastreifen und einen 32-jährigen Somalier. Beide hatten in Griechenland internationalen Schutz erhalten und anschließend in Deutschland erneut Asyl beantragt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte die Anträge ab und ordnete die Rückführung nach Griechenland an. Die Klagen der Betroffenen scheiterten in allen Instanzen, zuletzt vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof und nun auch vor dem obersten Gericht für Verwaltungsrecht.
Auch in Freiburg droht einem Palästinenser aus Gaza die Abschiebung nach Griechenland: Die Organisation Palästina Spricht ist davon überzeugt, dass die Gerichtsentscheidung wegen Unterstützung der Palästina-Solidaritätsbewegung politisch motiviert ist. Anfang April haben laut Palästina Spricht noch vier andere Studierende irischer, polnischer und US-amerikanischer Herkunft Abschiebebescheide erhalten, weil Ermittlungen zufolge Aktivitäten der palästina-solidarischen Bewegung vorlägen. Die drohende Abschiebung von einem der vier Palästina-Aktivist:innen aus Berlin wurde jedoch vom Verwaltungsgericht vorerst gestoppt.
Abschiebungen von Palästina-Aktivist aus Berlin vorerst gestoppt
Gericht sieht keine systemischen Defizite
Das BVerwG bestätigte die Einschätzung des vorigen Gerichts, dass Griechenlands Aufnahmesystem trotz fortbestehender Defizite keine „systemischen Mängel“ aufweise, die eine extreme Gefährdung der Betroffenen begründen würden. Zwar gestalte sich der Zugang zu staatlicher Unterstützung aufgrund bürokratischer Hürden und langer Wartezeiten „schwierig“. Das Gericht betonte jedoch, dass alleinstehende, arbeitsfähige Personen ihre Grundbedürfnisse durch temporäre Unterkünfte, Notschlafstellen oder informelle Erwerbstätigkeit in der Schattenwirtschaft decken könnten. Auch eine medizinische Notfallversorgung sei gewährleistet.
Richter Robert Keller, Vorsitzender des Senats, verwies auf den strengen Maßstab, der erfüllt sein müsse: „Brot, Bett und Seife“ müssten verfügbar sein – ein Minimalstandard, der nach Ansicht des Gerichts in Griechenland erfüllt werde. In der Vergangenheit hatten andere Oberverwaltungsgerichte, wie etwa im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, Abschiebungen nach Griechenland aufgrund der prekären Lebensbedingungen untersagt.
„Bett, Brot, Seife“: Söders Offensive gegen Asylbewerber:innen in Bayern
Pro Asyl: Geflüchteten drohen Obdachlosigkeit, Armut, Angriffe und illegale Arbeit
Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren die Entscheidung scharf. Sogar die Minimalstandards von „Brot, Bett und Seife“ würden insbesondere bei international schutzberechtigten Geflüchteten nicht erfüllt. Nach ihrer Anerkennung erhalten Schutzberechtigte in Griechenland weder finanzielle Unterstützung noch Unterkunft. Viele von ihnen landen deshalb auf der Straße, wo sie regelmäßig Bedrohung und körperlichen Angriffen ausgesetzt sind, und haben nur unzureichenden Zugang zu Gesundheitsleistungen.
Zudem wurden im vergangenen Jahr alle Sozialleistungen für Geflüchtete eingestellt. Außerdem sind die Unterstützungsmöglichkeiten durch Nichtregierungsorganisationen in Griechenland in den vergangenen Jahren in Folge staatlicher Maßnahmen und gekürzter Fördermittel zurückgegangen. Dadurch wären Geflüchtete gezwungen, illegal oder in prekären Jobs zu arbeiten oder sogar kriminellen Tätigkeiten nachzugehen. Pro Asyl kritisiert, dass die Möglichkeit, in der Schattenwirtschaft tätig zu werden, als fragwürdige Legitimation für die Abschiebungen instrumentalisiert werde.
Wesentliche Änderung der Rechtsprechung
Mit seinem Urteil hat das BVerwG eine Grundsatzentscheidung getroffen, an die sich alle unteren Gerichte der Bundesrepublik halten müssen – egal, ob sie zuvor eine andere Auffassung zur Situation in Griechenland hatten oder nicht. Das bedeutet unter dem Strich eine grundlegende Änderung der Rechtsprechung mit erheblichen Auswirkungen für Geflüchtete, die über Griechenland einreisen. Zumindest alleinstehende, gesunde Männer werden erst einmal keine Chance haben, der Abschiebung nach Griechenland durch Rechtsmittel zu entgehen. Dort drohen ihnen Obdachlosigkeit, Armut, Kriminalisierung und Gewalt.