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Auf den Lippen der Jusos – Die ewige Debatte über den Koalitionsvertrag

Die Jusos eröffnen traditionell die Debatte über die Sozialverträglichkeit der SPD-Koalitionen. Doch! In der SPD ist sehr wohl noch Platz für Soziales: Auf den Lippen der Jusos. – Ein Kommentar von Vinzent Kassel.

Vergangene Woche einigten sich die designierten Koalitionspartner CDU/CSU und SPD auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag. Während die Union den Vertrag auf einem kleinen Parteitag absegnen lassen wird und bei der CSU der Segen des Vorstands ausreichte, sind bei den Sozialdemokrat:innen nun bis zum 29. April die über 358.000 Mitglieder aufgerufen, über die zukunftsweisenden Vereinbarungen abzustimmen.

Bereits öffentlich dagegen positionierte sich die Jugendorganisation der SPD. Die Jusos bemängeln die fehlenden Ambitionen zu einem wirklichen Politikwandel. Zudem widerspreche das Papier in grundlegenden Bereichen wie Migration, Arbeit und Soziales den Grundwerten der Jusos.

Der Koalitionsvertrag ist fertig – Was steht drin?

Zentrale Punkte des Koalitionsvertrages

Beim Blick auf den Inhalt des Koalitionsvertrages lässt sich nicht wirklich erahnen, dass eine Partei, die sich einst Sozialismus auf die Fahne geschrieben hatte, an diesem Pamphlet beteiligt gewesen sein soll. Die Wirtschafts- und Rentenpolitik steht ganz im Zeichen des Neoliberalismus. Die Besteuerung für Unternehmen soll schrittweise sinken, Ausrüstungsinvestitionen werden steuerlich begünstigt und die Verantwortung der Unternehmen, dafür Sorge zu tragen, dass auch ihre Zulieferer die Menschenrechte einhalten, wird durch die Abschaffung des erst ein Jahr alten Lieferkettengesetz beseitigt.

Zukünftige Engpässe im Rentensystem sollen durch das im Kindesalter kontinuierliche Anlegen von 10 Euro monatlich in ein privates Altersvorsorgedepot ausgeglichen werden. Das sind keine sozialverträglichen Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit.

Weitere Punkte, welche wenig bis nichts mit sozialer Politik gemein haben, sind beispielsweise die Ablösung des Bürgergelds durch ein deutlich restriktiveres Programm. Aber auch der Einklang in Sachen Aufrüstung und Verhinderung von Migration der beiden Parteien lässt die Frage aufkommen, ob die SPD überhaupt noch irgendwelche Werte ihrer Gründer:innen in sich trägt.

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Was bemängeln die Jusos?

Dass der Koalitionsvertrag nicht gänzlich kritiklos durchgenickt wird, liegt an der eigenen Parteijugend. Von den genannten Punkten kritisieren sie vor allem die „Verschlechterung der Arbeitnehmergesetze“ durch die Abschaffung des Bürgergeldes und die Lockerung des Arbeitszeitenschutzgesetzes. Die Arbeiter:innen können noch mehr ausgebeutet werden, und wenn sie nicht mehr können, erhalten sie weniger Schutz.

Noch weniger Schutz erhalten nur Migrant:innen, die gar nicht erst in das Land gelassen werden. Dass dies nichts mit Sozialdemokratie zu tun hat, das erkennen die Jusos immerhin. Gleichzeitig werden Reiche durch die neue Regierung nicht in die Verantwortung genommen; weder Erbschafts- noch Vermögenssteuer finden Einlass in die Koalitionsvereinbarung.

Auch bei weiteren Kernthemen der Jusos werden sie von den Verhandlungen ihrer Mutterpartei enttäuscht. Mehr sozialer Wohnraum ist seit Jahren auf der Wunschliste der SPD-Jugendorganisation, doch die Versprechen dieses Problem anzugehen, stagnieren seit Längerem.

Bisherige Maßnahmen der SPD führten eher zu Jubelstürmen bei den Wohnbauriesen, wie Deutsche Wohnen oder Vonovia als bei den Mieter:innen. Dagegen wird bei den Schwächsten der Gesellschaft gespart: Soziale Hilfsangebote für Familien und Kinder werden weniger unterstützt und auch Gewaltschutzprogramme und Frauenhäuser sind vor Kürzungen nicht gefeit. Zum Thema Frauenrechte wird es auch in der nächsten Legislaturperiode keine Abschaffung des Paragrafen 218 geben, der Schwangerschaftsabbrüche immer noch unter Strafe stellt.

Dass die angeblichen Werte der ehemals sozialistischen Partei momentan mit Füßen getreten werden, lächelt Chefverhandler Lars Klingbeil schön weg. Er appelliert an die SPD-Basis die alternativlose „Koalition der Mitte“ zu ermöglichen. Diese solle Deutschland wieder Stabilität bringen. Dass er mit „Deutschland“ die Marktwirtschaft und das Militär und nicht zuallererst die Arbeiter:innen in diesem Land meint, ist allerdings unübersehbar.

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Die Funktion der Jusos für die SPD

Bei all diesen unsozialen Vorhaben könnte doch eine entschlossene Parteijugend etwas bewirken? Doch ob die Jusos mit ihrem verbalen Angriff etwas erreichen, ist fraglich. Zu häufig wurde schon großspurig kritisiert, nur um letztlich doch „unter Protest“ die Parteilinie zu akzeptieren. Die Ablehnung des Koalitionspapiers schreit mehr nach einem Statement für das eigene Gewissen.

Was es braucht, sind nun Taten statt Worte. Ein Beispiel hierfür wäre das Androhen von Parteiaustritten aus der SPD bzw. den Jusos. Als Vorbild könnte hier – und das sage ich so zum ersten Mal – die Grüne Jugend dienen. Nachdem es absehbar war, dass die Ampelregierung ihre Vorsätze nicht ansatzweise umsetzten konnte und die Politik immer mehr nach rechts abdriftete, kündigten die beiden Vorsitzenden der Jugendorganisation Svenja Appuhn und Katharina Stolla an, nicht nur den Grüne Jugend-Vorstand zu verlassen, sondern auch aus der Partei auszutreten.

Dies wäre mal ein deutliches Ausrufezeichen, mit welcher der Juso-Vorstand eine wirkliche Diskussion über die zukünftige Parteiausrichtung lostreten würde. Stattdessen wird eine Grenzüberschreitung nach der anderen geschluckt, während der Politdiskurs auch hier schon lange nach rechts gedriftet ist.

Die aktuelle Debatte wird als Zeichen einer innerparteilichen Demokratie ausgelegt, die sie nicht ist. Die Jusos dienen vielmehr als junges, modernes, linkes Feigenblatt für das bürgerliche Mitte-rechts Lager der heutigen SPD. Hinter dieser Scheindebatte wird inhaltlich Politik für die Reichen gemacht, ob mit Munition oder Rotstift.

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Vinzent Kassel
Vinzent Kassel
Perspektive Autor seit 2024. Schwäbischer Student mit einem Faible für Geographie und Sport. In der Freizeit hauptsächlich in der Kurve anzutreffen, aber auch immer wieder mal auf der Straße bei Demos aktiv.

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