Immer wieder erfahren Menschen, die ihre Palästina-Solidarität öffentlich äußern, Repressionen auf der Straße und im Beruf. In NRW verlor Noah Klein* wegen der Teilnahme an einer Demonstration für ein freies Palästina die Arbeit in einer Bildungsstätte. Wir sprachen mit Noah über die Hintergründe.
Noah, du hattest im vergangenen Jahr wegen deines Palästina-Aktivismus plötzlich Probleme auf der Arbeit. Was ist da vorgefallen?
Die Vorwürfe kamen nach einer Demonstration in Solidarität mit den unterdrückten Palästinenser:innen am 19. Oktober 2024. Es hatte im Vorfeld der Demonstration bereits viel Hetze gegen einen Aktivisten gegeben. Beispielsweise hatte er ein Redeverbot von der Polizei auferlegt bekommen. Der Aktivist hat sich dann auf der Demo der Auflage widersetzt und trotzdem gesprochen.
Daraufhin hat die Polizei die Demo mit viel Gewalt aufgelöst und den Aktivisten festgenommen. Deswegen bin ich dann auch bei der Mahnwache vor dem Präsidium für die Freiheit des Betroffenen gewesen, bis dieser freigelassen wurde.
Unmittelbar nach dieser Aktion hat mich ein Vorgesetzter dann privat über Telegram angeschrieben. Man habe mich auf der Aktion gesehen und frage sich, warum ich mit „bekannten antizionistischen und antisemitischen“ Gruppen protestiere.
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Der Vorgesetzte hatte mich dann auch tatsächlich gefragt, warum ich dort dabei gewesen sei und um ein Gespräch gebeten. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte er sich überrascht gegeben, dass ich als „kritisch denkender Mensch“ auf solchen Aktionen dabei sei. Das hat mich erstaunt, weil für mich kein Widerspruch zwischen einem kritischen Menschen und Palästina-Solidarität existiert.
Was für eine Arbeitsstelle ist das, die darin einen Widerspruch sieht?
Ich habe letztes Jahr begonnen, für eine Gedenk- und Bildungsstätte in Nordrhein-Westfalen zu arbeiten. Diese leistet dem Selbstverständnis nach insbesondere Arbeit zur politischen Bildung über Rassismus und speziell Antisemitismus. Ich hatte dort einen Honorarvertrag, der auf ein Jahr befristet gewesen ist, und habe verschiedene Führungen gegeben und Thementage durchgeführt. Doch das war einmal.
Die Gedenkstätte bietet eine Dauerausstellung zur Rolle der Ordnungspolizei an. Dabei versucht sie insbesondere, die Kooperation von der Ordnungspolizei mit der Waffen-SS in den osteuropäischen Ländern offenzulegen. Außerdem beschäftigt sich die Gedenkstätte mit der Frage, wie es nach Kriegsende weiterging.
Fragen, mit denen ich mich dort beschäftigte, waren z.B. „Was beinhalteten Entnazifizierungprozesse und die dann folgende Wiedergutmachung?“, „Kann überhaupt Wiedergutmachung geleistet werden und inwiefern sind diese Prozesse gerecht abgelaufen?“. Mit diesen Fragen haben wir uns auf den Führungen beschäftigt und dabei auch immer Bezüge zur Gegenwart hergestellt.
Wie lief das Gespräch dann ab?
Also, erstmal herrschte völlige Intransparenz: Erst sollte das Gespräch bei dem Vorgesetzten daheim stattfinden und wurde als „privates“ Gespräch getarnt. Erst später ist auf Nachfrage dann herausgekommen, dass es sich um ein dienstliches Gespräch handelt. Dieses sei eine Voraussetzung dafür, dass ich weiter dort arbeiten könne.
Außerdem wurde auf ein schnelles Treffen noch am Tag nach der Demonstration gedrängt und ich habe mich sehr unter Druck gesetzt gefühlt.
Mir war von Anfang an klar, dass ich dem Gespräch nicht ausweichen werde. Ich war mir bewusst, dass ich selbst nichts falsch gemacht habe. Mein Palästina-Aktivismus hat meinem eigenen Ansatz für politische Bildungsarbeit nicht widersprochen. Im Gegenteil, ich sehe gerade in diesen Zeiten eine große Notwendigkeit, Antisemitismus-kritische Bildung mit der Gegenwart zu verbinden.
Wenn ich während meiner Arbeit mit Schulklassen höre, dass der sogenannte Nah-Ost-Konflikt nicht thematisiert wird, weil die Angst vor reproduziertem Antisemitismus zu groß sei, frage ich mich wirklich, ob den Lehrkräften und Entscheidungsträger:innen bewusst ist, was für einen fatalen Fehler sie begehen. Die Auswirkungen dessen für die Gegenwart und Zukunft der Schüler:innen ist extrem schädlich, denn sie werden eben nicht gebildet und noch dazu politisch sozusagen unterdrückt.
Diese Punkte wollte ich in einem persönlichen Gespräch deutlich machen. Zu diesem hat mich ein Kollege und Freund begleitet. Im Gespräch mit der Bildungsstätte selbst haben die Mitarbeiter:innen versucht zu delegitimieren, dass Aufklärungsarbeit zu Antisemitismus und Palästina-Arbeit zusammen gedacht werden können.
Es wurde auch meine Rolle auf der Demo diskutiert. Das alleine meine Anwesenheit auf einer angemeldeten Demonstration als Begründung gesehen wird, mich professionell in Frage zu stellen, werte ich als politischen Angriff auf mich, der mit Grundrechten schon mal gar nichts zu tun hat.
Wie ordnest du den Angriff auf dich politisch ein?
Einschüchterung. Ich bin zunächst erschüttert gewesen, dass scheinbar eine Beobachtung stattgefunden hat. Überrascht bin ich jedoch nicht gewesen, da es sich bei meinem Fall nicht um einen Einzelfall gehandelt hat. Die Demonstrationen waren angemeldet. Mein Recht auf politische Meinung wird missachtet, wenn ich nicht mehr von meinem Versammlungsrecht Gebrauch machen darf. Allgemein fügt sich der Umgang mit mir in die zunehmende Kriminalisierung Palästina-solidarischer Aktionen ein.
Das nimmt vor allem für uns in der politischen Bildungsarbeit tätigen Personen Überhand. Neben mir haben noch weitere Palästina-solidarische Stimmen einen Ausschluss aus ihren Jobs erfahren – zum Beispiel Daniel, der beim Jüdischen Museum in Frankfurt gearbeitet hat, und welchem ähnlichen Vorwürfe wie mir gemacht wurden.
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Das sind alles keine Einzelfälle, sondern hat System, um Palästina-solidarische Stimmen aus der Öffentlichkeit zu drängen. In dieses Ziel fügt sich auch die Antisemitismus-Resolution ein, die hier an der Universität beschlossen wurde, um eine größere Kriminalisierung und Diskriminierung von Palästina-Solidarität zu erreichen.
Diese Zuspitzung kann nicht nur in Deutschland beobachtet werden, sondern weltweit: Gerade beobachten wir wie mehr und mehr Studierende, die aufgrund ihres Aktivismus für Palästina in den USA deportiert oder festgenommen werden. Die Repressionswelle weltweit nimmt zu, und wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass wir nicht schweigen dürfen, sondern im Gegenteil laut werden müssen und nicht zulassen, dass versucht wird, uns einzuschüchtern und die Stimme zu nehmen. Gerade jetzt braucht es internationale Solidarität und Zusammenhalt mehr als denn je.
Mit welcher Begründung sehen sie denn deine Entlassung bzw. Kritik an deinem Engagement für ein freies Palästina gerechtfertigt?
Die Mitarbeiter haben immer wieder eine Gefahr in meiner Präsenz auf Palästina-solidarischen Demonstrationen betont. Wie sollten „Betroffene“ reagieren, die mich arbeiten sehen und dann auf der Demonstration? Das habe ich nicht nachvollziehen können, da es in meinen Augen keine universelle Betroffenengruppe gib. Zudem ist mir nicht bewusst, dass Faschismus historisch nur eine Menschengruppe verfolgt hätte – und davon geht auch jede gängige Definition von Faschismus aus.
Aus der Geschichte zu lernen, bedeutet für mich, dass wir vor allem in der Bildungsarbeit keine Trennung zwischen marginalisierten Gruppen aufrechterhalten und diese erst Recht nicht gegeneinander ausspielen dürfen.
Das Gespräch blieb ohne Ergebnis, und wir wollten uns zu einem weiteren Gespräch treffen. Ich habe dann über zwei Monate auf ein Gespräch gewartet, trotz mehrerer Nachfragen.
In Schulungen, an denen ich noch teilhaben durfte, wurde immer wieder über Multiperspektivität und kritisches Denken als Leitbild sowie den Einsatz für Menschenrechte gesprochen. Das hat für mich überhaupt nicht mehr mit dem Erlebten zusammengepasst.
Kurz bevor ich Deutschland verlassen habe, wurde mein Gespräch abgesagt und ich habe seitdem nichts mehr von der Gedenkstätte gehört. Sie sind einfach der Auseinandersetzung lange genug aus dem Weg gegangen, bis mein Vertrag nun ausgelaufen ist.
*Name ist der Redaktion bekannt.