Haben wir fliegende Autos im 21. Jahrhundert? Nee, dafür aber KI-generierte Haie mit Nike-Sneakers! Einblicke in den (oft problematischen) Social-Media-Kosmos von Jugendlichen. – Ein Kommentar von Konstantin Jung.
Eigentlich muss man gar nicht so viel erklären: Ein KI-generierter Hai mit drei himmelblauen Nike-Sneakers am Strand, dazu ein trashy Feuer-Explosions-Videoeffekt von CapCut und über all dem eine männliche Stimme aus dem Sprachgenerator, die auf Italienisch irgendetwas von Fortnite erzählt. Besonders einprägsam: Die Kreatur heißt „Tralalero Tralala”.
Doch Tralalero Tralala hat Freunde – aber auch Feinde. So zum Beispiel „Bombardiro Crocodilo”, eine Kreuzung aus einem alten Bombenflugzeug und einem Krokodil. In Kurzvideos auf TikTok oder Instagram mit Millionen von Likes sieht man, wie sich die beiden Wesen in einer KI-generierten Szenerie gegenseitig bekriegen. Spoiler: Bombardiro Crocodilo wirft eine Fliegerbombe auf Tralalero Tralala, und der sportliche Hai versinkt im Flammenmeer.
Erstmal relativ unspektakulär. Doch trotzdem erfreuen sich die Videos riesiger Popularität und machen die Runde. „Italian Brainrot” nennt sich das Ganze – droht uns wirklich die „Gehirnfäule”?
Man lacht … aber worüber eigentlich?
„Kennst du die Leute da auf dem Video?“, „Soll das witzig sein?“, „Und wer ist das jetzt?“ – wenn einem ältere Mitmenschen über die Schulter aufs Smartphone gucken, herrscht erst einmal oft Verwirrung. Doch im Fall von Brainrot ist wohl ebenso Teil der Wahrheit, dass es offenbar nicht einmal die Jugend selbst checkt.
Haha, ein Hai mit Sneakern. Haha, ein Kamel mit menschlichen Füßen in überdimensionaler Größe. Haha, ein rülpsendes Chicken Nugget mit Comic-Gesicht. Oder statt italienisch auch als deutscher Brainrot: „Markus, der Kaktus, sitzt in einem Bus, neben einer Nuss“. Hm.
Das Ganze kann man sich eine halbe Stunde lang geben, bevor man danach – begleitet von einem sanften Gefühl des Selbstmitleids – das Handy beiseite legt. Das Problem ist hierbei aber nicht unbedingt, dass unser Hirn vollgestopft wird mit sinnlosen Infos – den Großteil davon hat man nach dem Scroll-Exzess eh vergessen. Blöd ist eher, dass während der vermeintlichen „Pause“ am Handy eine tatsächliche Erholung der Gehirnaktivitäten gar nicht stattfindet. Und trotzdem macht man es am nächsten Tag nochmal genauso – und nochmal, und nochmal, und nochmal…
Ein Social-Media-Feed wie eine Line Kokain
Es ist zwar keine neue Erkenntnis, aber an der Stelle trotzdem wichtig zu erwähnen: Derartige Verhaltensweisen erinnern nicht ohne Grund an Symptome einer klassischen Drogensucht. Ganz egal, ob man von YouTube-Shorts, TikToks oder Instagram-Reels spricht: sie alle haben bei der Nutzung eine massive Reizüberflutung im Belohnungssystem zur Folge. Mit jedem Kurzvideo kommt ein neuer Ausschuss von Dopamin – das kann abhängig machen.
Und das – auch nichts Neues – wissen Meta, X und weitere große Social-Media-Plattformen für sich zu nutzen: Es ist nicht überraschend, dass Forscher:innen bereits im Jahr 2018 feststellten, dass Facebook und Co. Methoden zur Bindung von Nutzer:innen verwenden, die denen der Glücksspiel-Industrie täuschend ähnlich sind. Auf einen Reiz folgt eine Aktion … und darauf eine Belohnung.
Was besonders auf Jugendliche verheerende Folgen haben kann: Die Zahl der jungen Menschen mit suchtähnlichem Nutzungsverhalten der sozialen Medien steigt. Das hängt mit den verbesserten Algorithmen der jeweiligen Plattformen oder auch mit dem Fakt zusammen, dass Kinder mittlerweile zum Teil schon in einem sehr jungen Alter ein Handy bekommen. Ebenso werden die Corona-Pandemie und Isolation während der staatlich verordneten Lockdowns ihre Folgen gehabt haben.
An der Stelle ist es natürlich wichtig, nicht in klassisches Boomer-Gerede à la „die Jugend hängt ja nur noch an dieser Kiste“ zu verfallen. Fakt ist aber trotzdem, dass uns die massive Verbreitung der sozialen Medien als politisch aktive Jugendliche vor viele Herausforderungen stellt: sei es die Verbreitung von patriarchalem oder faschistischem Gedankengut, die Glorifizierung von vermeintlichen „Ideal-Körpern“ oder auch einfach die Tatsache, dass die Aufmerksamkeitsspanne (Stichwort Subway Surfers) dahinschwindet und gefühlt kein Schwein mehr Bücher liest.
Kurzvideos überall
Klar, dafür nur Tralalero Tralala oder Bombardiro Crocodilo schuldig zu machen, wäre den beiden gegenüber unfair. Schließlich ist Brainrot als besonders sinnbefreite und austauschbare Ausprägung der Meme-Kultur in dem Sinne nichts Neues: In dem Zuge sei die sogenannte „YouTube-Kacke“ oder die MLG-Meme-Ästhetik der frühen 2010er genannt. Und ganz am Ende ist sowas wie eine BRAVO-Zeitschrift ja irgendwie auch nichts anderes.
Der Unterschied ist allerdings, dass derartige kurzweilige Unterhaltung im Gegensatz zu früher viel zugänglicher ist: Egal in welcher App – überraschenderweise hat selbst die Business-Anwendung LinkedIn das Shorts-Game betreten – die Kurzvideo-Funktion springt einen überall an und wird in der Tram genutzt, auf dem Klo und sonstwo. Dazu kommt noch, dass der ganze Spaß schnell wieder vorüber ist. Italian Brainrot ist eigentlich schon wieder out, jetzt ist es vielleicht eher der neue „Minecraft”-Film, der auf TikTok Wellen schlägt. Bleibt am Ende aber trotzdem die Frage: Was tun gegen die Hirnfäule?
Organisation und Kollektivität statt Brainrot und Einsamkeit!
Letztlich braucht es besonders unter Jugendlichen einen bewussten Umgang mit der Nutzung von Social Media, da Instagram, TikTok und Co. nun mal trotz dem ganzen KI-Schleim weiterhin die Orte bleiben, wo sich junge Menschen oft vernetzen und politisieren. Gleichzeitig muss das in dem Wissen geschehen, dass sich die Chefetagen der Plattformen über unsere verschwendete Zeit und all die von uns im Netz verstreuten persönlichen Daten ziemlich freuen dürften.
Auf eine gewisse Art und Weise verhält es sich eben wie mit Drogen: Eine Jugend, die sich betäubt und einen scheinbaren Ausweg aus der Realität sucht, statt Widerstand gegen die bedrückenden Zustände zu leisten, stellt eben langfristig keine Gefahr für die Herrschenden dar – so witzig eine Instagram-Reel-Session auch mal sein mag. Ein erster Schritt wäre es doch also, mal das Handy ausgeschaltet zu lassen und sich stattdessen mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen und zu organisieren.