Über 15.000 Menschen fordern sichere Räume für Frauen und andere marginalisierte Personen in Berlins Nahverkehr – doch reicht ein spezielles Abteil gegen alltägliche Belästigung und Gewalt? – Ein Kommentar von Alexandra Baer.
Innerhalb weniger Tage haben mehr als 15.000 Menschen eine Petition für die Einrichtung spezieller Abteile für Flinta-Personen (Frauen, Lesben, Intersex, Nonbinär, Trans und Agender) in den öffentlichen Verkehrsmitteln Berlins unterzeichnet. Ziel der Petition, die Mitte April gestartet wurde, ist es, einen zusätzlichen Schutz vor männlichen Übergriffen in U-Bahnen, Trams und Bussen zu schaffen. Vorgeschlagen werden eigene Bereiche, die sich vorzugsweise in den hinteren Teilen der Fahrzeuge befinden sollen, da dort laut Petition häufig übergriffige Männer sitzen. Als visuelle Kennzeichnung dieser Schutzräume könnten beispielsweise lilafarbene Sitze dienen.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) reagierten auf die Petition zurückhaltend und verweisen auf bereits bestehende Sicherheitskonzepte. Demnach stehen den Fahrgästen aktuell bereits Notruf- und Informationssäulen zur Verfügung, über die zu jeder Tages- und Nachtzeit direkter Kontakt zur BVG-Sicherheitsleitstelle oder dem Fahrpersonal aufgenommen werden kann. Außerdem seien alle Fahrzeuge mit entsprechenden Alarm- und Notrufeinrichtungen ausgestattet, die unmittelbaren Kontakt zu den Fahrer:innen ermöglichen.
Sexuelle Belästigung und Gewalt im Nahverkehr – kein Einzelfall, sondern Alltag
Sexuelle Belästigung – egal, ob ein „Kompliment“, das einem zugerufen wird, eine Berührung oder sogar sexualisierte Gewalt – ist im öffentlichen Nahverkehr Alltag. Der Berliner Kriminalstatistik zufolge fanden im vergangenen Jahr 447 Sexualdelikte im öffentlichen Nahverkehr in Berlin statt. Von sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung – eine Erhöhung von 10 Prozent im Vergleich zu 2021 (bei einer Steigerung der Fahrgastzahlen um 26 Prozent). Und das sind nur die offiziellen Zahlen – anzügliche Kommentare, Blicke oder der Typ, der sich unbedingt neben dich setzen muss, kommen darin höchstwahrscheinlich kaum vor.
Ein TikTok-Trend zeigt, wie junge Frauen aus New York ihre sogenannten „Subway-Shirts“ anziehen, weite T-Shirts, um in den U-Bahnen weniger aufzufallen. Medienberichten zufolge ist das auch eine Taktik von Frauen in Berlin.
Aber nicht nur Frauen sind davon betroffen: vor allem auch nicht-binäre oder trans Personen erleben immer häufiger Anfeindungen und Gewalt. Egal ob von Faschos, Fußballfans oder bei Junggesellenabschieden. Egal, ob im ICE, in der S-Bahn oder im Bus. Egal, ob nachts um 3 Uhr oder um 8 Uhr morgens auf dem Weg zur Arbeit – für einen großen Teil unserer Gesellschaft bedeutet Nahverkehr Stress, Angst und Gewalt.
Und was macht die Justiz? Der oberste Strafgerichtshof, der BGH, hat im Jahr 2017 noch entschieden, dass ein 65-jähriger Mann, der ein elfjähriges Mädchen aufgefordert hatte, ihm zu folgen, um sie anfassen zu können, strafrechtlich nicht belangt werden könne. Wenn das schon nicht durchgeht, warum sollte dann jemand von uns zur Polizei gehen, weil ein besoffener Fußballfan uns zum x-ten Mal nach unserer Telefonnummer gefragt und uns erst in Ruhe gelassen hat, als wir unseren ausgedachten Freund erwähnt haben?
Ein Abteil reicht uns nicht!
Dass 15.000 Personen die Petition unterschrieben haben zeigt: Viele fühlen sich nicht sicher, haben Angst und leiden unter ständiger Belästigung. Würde ein „FLINTA-Abteil“ dagegen helfen? Wahrscheinlich. In anderen Ländern gibt es solche Abteile schon. Aber reicht das? Auf keinen Fall!
Das Problem ist nicht, dass Frauen und andere marginalisierte Personen kein eigenes Abteil in der S-Bahn haben. Das Problem ist, dass sich Männer immer noch trauen, uns zu belästigen. Dass sie keine Angst vor uns haben, wir aber vor ihnen. Dass nicht nur Frauen, sondern auch Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sich dreimal überlegen müssen, ob sie nicht besser mit dem Fahrrad fahren.
Dass sich Femizide häufen, dass jede dritte Frau mindestens einmal im Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt (und das sind nur die offiziellen Zahlen). Dass wir alle Frauen mit posttraumatischen Belastungsstörungen kennen, aber niemand die Täter. –
Ein S-Bahn-Abteil ohne Männer – das wäre natürlich ein Traum!
Aber was wäre besser? Eine Welt ohne Belästigungen, ohne sexualisierte Gewalt und ohne Patriarchat.