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DDR-Platte in Berlin-Mitte soll abgerissen werden: „Denen da oben sind wir egal“

Janet lebt seit 2022 wie viele andere Obdachlose in einer Besetzung in der Habersaathstraße. Nach 31 Jahren wurde sie das erste mal clean – doch nun droht die Räumung und der Abriss der DDR-Platte. Die Gentrifizierung wird die Menschen wieder auf die Straße treiben, meint Janet im Interview mit Myriam Natascha Graf von Perspektive.

Seit 2020 sind in Berlin die Hausnummern 40 bis 48 in der Habersaathstraße im Bezirk Mitte teils von ehemals wohnungslosen Menschen besetzt. Hier fanden in den folgenden Jahren rund 60 Menschen im Herzen des Gentrifizierungsdschungels ein Zuhause.

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Nur kurze Zeit später folgte ein Räumungsversuch, dann die erste Abrissgenehmigung – und voraussichtlich in diesem Jahr ist es so weit: Die ehemalige DDR Platte soll weg, genau wie die Menschen, die hier leben und seit Jahren für ihr Zuhause, aber auch gegen Leerstand und Verdrängung kämpfen.

Janet ist seit 2022 eine von ihnen. Mit ihr hat Perspektive darüber gesprochen, wie es sich so lebt zwischen den Welten – zwischen Wohnungslosigkeit und einem Zuhause, in einer Besetzung zwischen den Luxusbauten, zwischen ehemaligen Plattenbauten und wieder obdachlos.

Eigenes Bild (Emma Guglhoer)

Wie bist du zur Habersaathstraße gekommen, Janet?

Ich war seit 2020 fast durchgehend auf der Straße. Das ist hart, vor allem als Frau. Wie mit dir als obdachlose Person umgegangen wird, hängt vor allem von zwei Dingen ab: von deinem Geschlecht und deiner Sexualität. Im selben Jahr bin ich fast an einer Verletzung gestorben, weil mir einfach nicht geholfen wurde. Das realisiere ich jetzt erst, rückblickend.

Über Obdachlosigkeit und was das für Folgen für die Betroffenen hat, wird zu wenig gesprochen, und auf der Straße interessiert sich eh erst mal keiner für dich.

Ja, und dann hat mich ein Solibus eingesammelt, wir haben den Papierkram geregelt und so bin ich wie rund 60 weitere Obdachlose Teil der Besetzung geworden. Ich bin das erste Mal seit 31 Jahren clean geworden.

Eigenes Bild (Emma Guglhoer)

Würdest du also sagen, die Habersaathstraße hat dich auf eine Art und Weise gerettet?

Ja, das kann man schon so sagen. Ich hatte plötzlich eine vernünftige Aufgabe, bin Vertreterin von uns ehemaligen Obdachlosen geworden. Ich habe allen im Haus geholfen, wenn sie was gebraucht haben, und das mache ich auch immer noch so. Vor allem migrantischen Personen wird natürlich alles immer doppelt so schwer gemacht. Ich habe meine Position als Vertreterin da als Chance gesehen, agieren zu können.

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Aber ehrlich gesagt, das habe ich auch nicht nur für die Anderen gemacht, sondern auch für mich – ich wollte selbst nicht mehr auf die Straße. Ja, so ich bin ich das erste Mal seit 31 Jahren clean geworden, ich war echt glücklich und hatte eine Gemeinschaft um mich, in der ich mich wohl gefühlt habe. Und ich war verliebt. Das hätte ich mir vor dem Einzug alles niemals vorstellen können.

Du sprichst meistens in der Vergangenheit, ist das nicht mehr so?

Nein, die Kraft ist bei uns allen weg. Wir kämpfen jetzt seit Jahren um unser Zuhause, aber auch gegen die Gentrifizierung. Das Klima ist mittlerweile einfach scheiße, auch zwischen den Mietern und den Besetzern.

Das Ding ist nämlich: am Ende interessiert sich niemand für uns, auch bei den Verhandlungen geht es immer nur um die Mieter der Habersaathstraße. Die kriegen neue Wohnungen, wahrscheinlich mit Dachterrasse und haste nicht gesehen.

Und wir ehemaligen Wohnungslosen, die seit dreieinhalb Jahren genauso kämpfen wie die Anderen, werden einfach in Wohnheime gesteckt. Die sind oft so schlimm, dass die Leute früher oder später wieder genau da landen, wo sie hergekommen sind – nämlich auf der Straße. Ich bin eine der wenigen mit dem Glück, eine Wohnung gefunden zu haben. Aber für fast alle Anderen bedeutet das genau das. Und das wissen die da oben genau, aber denen sind wir halt egal.

Macht dich das traurig? Ich meine, dir die Habersaathstraße als ganz normale Yuppie-Hochburg vorzustellen?

Hm. Weißt du was mich traurig macht? Zum einen, dass immer von Rohstoffmangel die Rede ist, aber dann eine ehemalige DDR-Platte, die doch eigentlich Kulturgut ist und ohne Probleme instand gesetzt werden könnte, einfach abgerissen wird. Und, dass der Senat uns immer wieder Versprechen gemacht hat, die nie gehalten wurden.

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Aber nochmal zu deiner Frage: eigentlich nein, das macht mich nicht traurig, das macht mich sauer. Wo sollen wir hin? Wo sollen wir fucking hin? Dass ich heute so reden muss, das tut mir in der Seele weh.

Am Ende stehst du da und bist auf der Straße. Zusammen mit denen, die du davor ignoriert hast, wenn sie dich nach einem Euro gefragt haben.

Du hast ja öfter das Wort „Gentrifizierung“ erwähnt – also siehst du den Umgang mit der Habersaathstraße als Teil eines größeren Prozesses?

Natürlich. Vor der Besetzung kannte ich dieses beschissene Wort nicht mal, noch konnte ich es aussprechen, geschweige denn mir merken. Jetzt ist das anders: Berlin wird eine Stadt der Reichen. So Szene, altes Berlin, das gibt es bald nicht mehr, wenn es so weiter geht.

Und das ist ja das Krasse. Den Leuten, die heute nichts von uns wissen wollen, könnte es morgen genauso gehen wie uns.

So Eigenbedarfskündigungen, das kann jedem passieren und am Ende stehst du da und bist auf der Straße. Zusammen mit denen, die du davor ignoriert hast, wenn sie dich nach einem Euro gefragt haben.

Was hält einen da noch hoch?

Das weiß ich auch nicht. Für mich persönlich ist es das Schreiben und Zeichnen. Das ist das einzige Ventil, das mir noch bleibt. Das hält mich echt hoch, das ist meine Therapie. Und ich habe tatsächlich ein Buch in Planung, in dem ich all das verarbeite.

Eigenes Bild (Emma Guglhoer)

Am 10. Mai findet die Vernissage einer Ausstellung zu dem Thema Habersaathstraße im Regenbogencafé (Lausitzerstraße 22a) statt. Hier werden unter anderem Kunstwerke von einem Bewohner und guten Freund von Janet ausgestellt, sie selbst wird dort voraussichtlich ein paar Textausschnitte aus ihrem geplanten Buch vorlesen. Die Ausstellung wird danach einen Monat lang in den Räumen des Cafés zu besuchen sein.

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