Am Mittwochnachmittag kamen die vier Wochen dauernden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD nach mehreren Verschiebungen schließlich zum Abschluss. Was erwartet uns von der neuen GroKo?
Seit dem vergangenen Freitag befanden sich die Koalitionsgespräche zwischen den kommenden Regierungsparteien CDU/CSU und SPD in der entscheidenden Phase. Die Einigung schien dabei schwieriger als zunächst gedacht. Am Dienstagabend wurden die Koalitionsverhandlungen nach rund 13 Stunden Beratung, anders als zunächst berichtet, ohne finale Einigung beendet, schließlich Mittwoch gegen Nachmittag abgeschlossen.
„Das, was jetzt vorliegt, kann man nicht nur gut vertreten, sondern ich finde, es ist eine Antwort auf die Probleme unserer Zeit.“, zeigte sich Markus Söder, Chef der CSU, zuversichtlich. Er sei „inhaltlich überzeugt“ von der Vereinbarung. Auch der zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sowie die Parteivorsitzende der SPD Saskia Esken pflichten ihm bei. Weniger überzeugt zeigen sich die Oppositionsparteien. AfD, Grüne und Linke kritisieren unterschiedliche Punkte, sind aber darin geeint, den Koalitionsvertrag als Misserfolg zu werten. Die Linkspartei nannte ihn ein „Dokument der Ignoranz“, die Grünen-Bundesvorsitzende Franziska Brantner ein „Valium für Europa“.
Koalitionsverträge und was man darüber wissen sollte
Ein Koalitionsvertrag ist ein Dokument, das nach einer Bundestagswahl von Parteien, die gemeinsam eine Regierung bilden wollen, ausgehandelt wird, aktuell also von CDU/CSU und SPD. In diesem Dokument halten die künftigen Regierungsparteien ihre wichtigsten gemeinsamen Ziele fest. Die Verträge enthalten zwar konkrete Vereinbarungen, sind aber nicht rechtlich bindend.
Daraus resultiert, dass aus den Verträgen zwar wichtige Ziele der Regierung abzulesen sind, sich darunter aber auch immer soziale Forderungen befinden, die am Ende hintenangestellt werden. Die Ampelregierung bestehend aus SPD, Grünen und FDP erfüllte laut dem Koalitionstracker des Vereins „Frag den Staat“ nur 27 Prozent ihrer Forderungen, 12 Prozent wurden teilweise umgesetzt, 36 begonnen und 25 Prozent wurden gar nicht erst begonnen oder zurückgestellt.
Zu Letzterem gehört auch das prominente Ziel, 400.000 neue Wohnungen zu bauen, auch ein großer Teil der Ziele im Bildungs- und Kulturbereich wurde nicht oder mangelhaft umgesetzt. Andere Versprechen wie eine Erhöhung des Mindestlohns wurden eingehalten, Gewerkschaften kritisieren jedoch, dass die angesetzte Zahl zu niedrig war und ist – besonders nach der anhaltenden Inflation und den Preissteigerungen.
Wirtschaftspolitik für die Konzerne & private Rentenabsicherung
Die steuerlichen Abschreibungsregelungen sollen angepasst werden sowie ab 2028 die Körperschaftsteuer jährlich sinken, und zwar fünfmal um zwei Prozent. Für die Jahre 2025, 2026 und 2027 sollen Ausrüstungsinvestitionen steuerlich besonders begünstigt werden. Das Lieferkettengesetz wird wieder abgeschafft, die Berichtspflichten entfallen damit komplett.
Union und SPD wollen das Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 gesetzlich festschreiben und die entstehenden Kosten aus Steuermitteln decken. Zudem soll 2026 eine „Frühstart-Rente“ für Kinder eingeführt werden, bei der für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einfließen.
Die Privatisierung der Altersvorsorge nimmt damit zu. Die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre sowie der abschlagsfreie Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren bleiben bestehen. Die Opposition leistet hier bereits Kritik: „Beim Thema Rente wird die junge Generation im Stich gelassen.“, äußerte sich die Grünen-Bundesvorsitzende Franziska Brantner.
Migrationspolitik: GEAS 2026 „zügig umsetzen“
Im Wahlkampf war Migrationspolitik für die meisten Parteien das Hauptthema. Während der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und CSU-Politiker Hans Eckhard Sommer die Abkehr vom individuellen Recht auf Asyl forderte, konterte die SPD ihrerseits mit einer – aus ihrer Sicht – positiven Bilanz der Asylpolitik der letzten Jahre durch die Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken schloss sich dem an und verwies vor allem auf die im Mai 2024 beschlossene Reform des Gesamteuropäischen Asylrechtssystems, kurz GEAS, die bereits ab Juni 2026 in Kraft treten soll. Bis GEAS wirksam wird, müsse man auf „verschärfte Grenzkontrollen“ setzen. Diese Haltung spiegelt sich auch im Papier wider.
Eine „Bilanz der Migrationspolitik“ – aber mit Klassenstandpunkt
Das Papier setzt das klare Ziel, die „Begrenzung“ der Migration, zusätzlich zur „Steuerung“, wieder ausdrücklich in das Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. In den Unterpunkten werden verschiedene Einschränkungen für Migrant:innen und Geflüchtete vorgeschlagen. Es wird die Einführung zentraler Bundesausreisezentren vorgeschlagen, außerdem sollen die sicheren Herkunftsstaaten auf unter anderem Algerien, Indien, Marokko und Tunesien ausgeweitet werden.
Außerdem will die GroKo noch stärker als die Ampel ohnehin schon stattfindende Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien durchführen – weiterhin in völliger Ignoranz darüber, was eine Abschiebung in die Hände von dort regierenden fundamentalistischen Kräften überhaupt für Folgen haben kann. Darüber hinaus soll der Familiennachzug für subsidiäre Schutzberechtigte für zwei Jahre ausgesetzt werden. Die vermeintlich „reguläre“ Migration nach Deutschland im Rahmen der sogenannten Westbalkan-Regelung soll auf 25.000 Personen pro Jahr begrenzt werden.
Einig in der inneren und äußeren Aufrüstung – vorerst freiwilliger Wehrdienst
In den Punkten Inneres und Sicherheit zeichnet sich im Papier Einigkeit darin ab, dass es eine „Zeitenwende der inneren Sicherheit“ benötige, also mehr Personal, bessere Ausstattung und neue digitale Befugnisse. Die automatisierte Erfassung von Kennzeichen soll im Aufzeichnungsmodus erlaubt werden und der Datenaustausch zwischen Sicherheits- und zivilen Behörden soll intensiviert werden. Außerdem fordern SPD und Union eine Stärkung des Bundeskriminalamts sowie der Bundespolizei im Rahmen eines neuen Bundespolizeigesetzes.
Des Weiteren ist eine umfassende Reform des Waffenrechts angekündigt worden, insbesondere für „Extremist:innen“ und psychisch Erkrankte. Außerdem soll die Möglichkeit eingeführt werden, Personen beim Vorwurf der „Volksverhetzung“ das passive Wahlrecht zu entziehen. Die geplanten Maßnahmen umfassen teils massive Eingriffe in die Grundrechte der Bürger:innen; in Sachen repressiver Politik kommen die Parteien im Bundestag auf einen gemeinsamen Nenner.
Dass sich die Parteien beim Thema Aufrüstung einig sind, zeigten sie bereits zu Beginn der Koalitionsgespräche, als sie kurzerhand das Aufrüstungspaket noch im alten Bundestag abstimmten. Überraschenderweise findet sich im Koalitionsvertrag nun keine Wiederbelebung der Wehrpflicht, wie sie die CDU/CSU vorher angekündigt hatte, sondern zunächst ein freiwilliger Wehrdienst nach schwedischem Vorbild.
Noch in diesem Jahr sollen die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung geschaffen werden. Eine Stärkung der Jugendoffiziere sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Bundeswehr sollen den Wehrdienst attraktiver machen. Darüber hinaus soll sich die Höhe der Verteidigungsausgaben nach den in der NATO vereinbarten „Fähigkeitszeilen“ richten, die Nennung konkreter Zahlen wird vermieden.
Planungen zu Frauen- und LGBTI+ Rechten umstritten
Unter dem Unterpunkt „Gewalt gegen Frauen“ werden verschiedene Maßnahmen geplant. Es soll ein neues Qualifikationsmerkmal bei Mordtatbeständen eingeführt werden. Daneben soll aber auch eine bundeseinheitliche Rechtsgrundlage für die Nutzung elektronischer Fußfesseln geschaffen werden, ein Vorhaben, das unter Datenschützer:innen und Frauenrechtler:innen bislang umstritten ist. Das Prostituiertenschutzgesetz soll erneut mithilfe einer unabhängigen Experten-Kommission geprüft und gegebenenfalls nachgebessert werden.
Auch in den Absätzen zu geschlechtlicher Vielfalt und dem Selbstbestimmungsgesetz zeigen sich Uneinigkeiten zwischen den Koalitionspartner:innen. Im Absatz zur geschlechtlichen Vielfalt wird lediglich festgehalten, dass es Maßnahmen geben soll, die „Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken“. Wie diese aussehen sollen, bleibt unklar. Der Absatz zum Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass dieses in Bezug auf den Geschlechtseintrag bis spätestens 31. Juli 2026 evaluiert werden soll. Die Betonung auf den Schutz von Frauen und Kindern folgt einer rechten Argumentationslogik; an dieser Stelle ist eine Einschränkung der Selbstbestimmungsrechte von trans- und intergeschlechtlichen Personen denkbar.
Bürgergeld wird abgeschafft – schnellere Sanktionen geplant
Das Wahlversprechen, das Bürgergeld wieder abzuschaffen, festigt die CDU/CSU im Koalitionsvertrag. Das Bürgergeld soll durch eine Grundsicherung für Erwerbssuchende ersetzt werden. Die Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen verschärft, der vollständige Leistungsentzug wieder ermöglicht werden.
Auch die Schonzeiten für Vermögen sollen eingeschränkt und an die Lebensleistung gekoppelt werden. Bei der Fortschreibung der Regelsätze sollen die Preis- und Lohnentwicklungen weniger berücksichtigt werden, was bedeutet, dass bei höherer Inflation oder Preisexplosionen die Existenzsicherung in Gefahr geraten könnte.
„Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh“ – aus der Opposition hagelt es Kritik
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD stößt bei anderen Parteien auf breite Kritik. Gleichzeitig ist Merz als Kanzler in Umfragen so unbeliebt wie noch nie. Die Zustimmung zur AfD innerhalb der Bevölkerung steigt derweil, in Umfragen sind die Parteien CDU und AfD das erste Mal gleichauf.
„Es ist ein Dokument der Ignoranz – gegenüber den hart arbeitenden Menschen und den großen Herausforderungen unserer Zeit.“, äußert sich die Vorsitzende der Partei Die Linke Ines Schwerdtner. „Echte Lösungen vermisst man schmerzlich.“ Die AfD und BSW werfen der Union wiederum vor, vor der SPD eingeknickt zu sein. Alice Weidel (AfD) nannte den Koalitionsvertrag eine „Kapitulationsurkunde“ von Friedrich Merz. Sahra Wagenknecht prägte den Begriff „Merzession“ und spielt damit auf die Rezession der Wirtschaft an.
Ganz abgesehen von den Kommentaren der anderen Parteien ist jetzt schon klar: Mit der neuen Großen Koalition wird die wirtschaftliche und soziale Lage in Deutschland nicht entspannter. Im Gegenteil – der Abbau von Grundrechten sowie Maßnahmen zur „Kriegstüchtigkeits“-Werdung des Landes sind mit Union und SPD im vollen Gange.