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Deutsche Großmachtsphantasien im Rüstungwettlauf

Das renommierte Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI hat Zahlen zu den weltweiten Rüstungsausgaben im Jahr 2024 veröffentlicht. Deutschland hat mit einem enormen Sprung seinen Großmachtsanspruch unterstrichen. – Ein Kommentar von Paul Gerber.

Wie das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut (SIPRI) berichtet, hat es Deutschland „endlich“ geschafft, in die Top 5 der Welt in Sachen Rüstungswettlauf aufzusteigen. Mit einer saftigen Erhöhung des eigenen Militärbudgets auf ca. 88,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 hat Deutschland nun das viertmeiste Geld auf der Welt für Panzer, Kampfjets, Artillerie und anderes Mordwerkzeug ausgegeben.

Im letzten Jahr hatte die selbsternannte europäische Führungsmacht noch auf einem „peinlichen“ siebten Platz gelegen. Doch in welche Gesellschaft ist Deutschland damit eigentlich gelangt? Platz 1 belegen wie seit Jahrzehnten mit großem Abstand die USA (997 Milliarden), danach folgen China (314 Milliarden), Russland (149 Milliarden) und hinter Deutschland noch auf dem fünften Platz Indien (ca. 86 Milliarden).

Deutschland will zu den ganz Großen gehören

Auf den ersten Blick fällt auf, dass Deutschland hier heraussticht. Die anderen Top-Wettrüster sind allesamt riesige Länder, deren Territorium jeweils 10- bis fast 60-fach so groß ist wie das deutsche. Auch ihre Bevölkerung beträgt mit Ausnahme von Russland jeweils ein Vielfaches der deutschen.

Rückt man die Militärausgaben dieser Anti-Helden-Topliste der Menschheit also ins Verhältnis, erhält man ganz interessante Ergebnisse: Dann gibt Deutschland nämlich pro Quadratkilometer eigenen Territoriums mit etwa 248.000 Dollar mit Abstand am meisten für die Aufrüstung aus. Selbst der Militärriese USA kommt dann „nur“ auf 105.000 Dollar pro Quadratkilometer.

Und auch dann, wenn man die Militärausgaben pro Einwohner:in betrachtet, kommt Deutschland auf gut 1.000 Dollar Militärausgaben pro Einwohner:in im Jahr 2024 – damit liegt das Land zwar noch hinter den USA, aber deutlich vor China und Indien und sogar knapp vor Russland – einem Land, das sich wohlgemerkt seit über drei Jahren in einem heißen Krieg mit der Ukraine befindet.

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Aufrüstung im Rekordtempo

An diesen Zahlen lassen sich verschiedene Aspekte aufzeigen: Einerseits lässt sich das anhaltende Klagen von aktiven und pensionierten Bundeswehrgenerälen, Politiker:innen und Kommentator:innen des politischen Geschehens, dass die Aufrüstung in Deutschland nicht schnell genug vorangehe, so noch deutlicher und schlagender entkräften.

Die Aufrüstung geht im Gegenteil so enorm schnell voran, dass SIPRI Deutschland eine Rüstungswachstumsrate von 28 Prozent im Jahr 2024 attestiert. In einem vergleichbaren Tempo haben in Europa lediglich Polen (31 Prozent), Schweden (34 Prozent) und die Niederlande aufgerüstet. Und auch weltweit wird die deutsche Aufrüstungsoffensive nur von Russland (38 Prozent) und Israel (65 Prozent) in den Schatten gestellt.

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248.000 Dollar pro Quadratkilometer?!

Vor allem aber stellen diese Zahlen doch sehr deutlich in Frage, ob es bei den Kriegsvorbereitungen – wie alle naslang von deutschen Spitzenpolitiker:innen beteuert wird – tatsächlich um die Landesverteidigung geht. Das Verhältnis von Waffeneinkäufen zu Bevölkerung und hypothetisch zu verteidigender Fläche sprechen da eine deutlich andere Sprache.

Das Märchen „von der Kriegsvorbereitung, aber nur im Verteidigungsfall!“ ist natürlich denkbar alt, und selbst das brutale Nazi-Regime war sich 1939 nicht zu blöd, vorsätzlich ein deutsches Kommando – getarnt mit in polnischen Uniformen – einen eigenen Militärposten angreifen zu lassen, damit man sich offiziell als Verteidiger inszenieren konnte.

Wobei es im Kapitalismus bei Kriegen vielmehr tatsächlich geht, ist etwas ganz Anderes: Es geht um die Neuaufteilung der Welt unter den Großmächten. Und mickrige Landesfläche und alternde Bevölkerung hin oder her – da will Deutschland eben ganz vorne mitspielen! Bei der deutschen Aufrüstungskampagne geht es im Kern darum, dass dieses Land in die Lage kommt, die wirtschaftlichen Interessen seiner Großkonzerne – die nämlich tatsächlich zu den größten und reichsten der Welt gehören – auch militärisch durchzusetzen.

Der Vergleich zum ärmsten Kontinent der Welt macht das sehr deutlich: Auch in Afrika wird mehr als genug gemordet und gestorben in zahlreichen Kriegen, Bürgerkriegen und vor allem auch Stellvertreterkonflikten, bei denen es um die Rohstoffe des Kontinents geht. Jedoch geschieht es dort offenbar mit billigeren Mitteln. Der ganze Kontinent hat 2024 im Durchschnitt 1.333 Dollar pro Quadratkilometer für Rüstung ausgegeben (Deutschland 186 x mehr), und „nur“ 29 Dollar pro Einwohner:in (Deutschland 36 x mehr).

Paul Gerber
Paul Gerber
Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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