Vier junge Menschen aus Berlin sollen bis zum 21. April das Land verlassen. Ihnen wird vorgeworfen, an palästina-solidarischen Protesten teilgenommen zu haben, verurteilt wurden sie aber nicht. Begründet wird der Fall mit einer juristisch fraglichen Gehirnakrobatik. – Ein Kommentar von Marceline Horn.
Cooper Longbottom aus den USA, Kasia Wlaszczyk aus Polen sowie Shane O’Brien und Roberta Murray aus Irland – trotz vieler Unterschiede haben die vier jungen Leute genauso viel gemein. Sie wohnen in Berlin, haben dort ihr eigenes Leben aufgebaut und protestieren seit Monaten gegen den anhaltenden Genozid in Palästina. Für Berliner Verhältnisse erstmal normal. Doch: noch bis zum 21. April sollen sie aus Deutschland abgeschoben werden, berichtet nun die Zeitschrift The Intercept – und das, obwohl keine:r der Betroffenen für irgendeine Tat verurteilt wurden.
Vorgeworfen werden ihnen unterschiedliche Dinge, darunter ein Sit-in am Berliner Hauptbahnhof, eine Straßenblockade, Beamt:innenbeleidigung, bei der ein Polizist „Faschist“ genannt worden sein soll, Beteiligung an Demonstrationen mit Rufen von verbotenen Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ sowie viele weitere unkonkrete Straftatbestände. Darunter zählt auch eine Teilnahme an der Besetzung eines Teilgebäudes der Freien Universität (FU) Berlins im Oktober 2024. Letzteres ist der einzige gemeinsame Fall, bei dem ihnen vorgeworfen wird, dass dies eine koordinierte Aktion gewesen sei. Obwohl ihnen jeweils keine einzige konkrete Tat nachgewiesen werden kann, werden sie mitverantwortlich für Sachbeschädigung und Farbschmiererei gemacht.
Unschuldig! Und trotzdem abgeschoben
Allen wird unterstellt, die als Terrororganisation klassifizierte Hamas zu unterstützen – ohne Beweise, denn vor Gericht wurde nur O’Brien zitiert, weil er einen Polizisten „Faschist“ genannt haben soll – er wurde freigesprochen. In Deutschland ist es prinzipiell dennoch möglich, Menschen auch ohne Verurteilung durch ein Gericht abzuschieben, was nur schwieriger zu rechtfertigen ist. Als Grund wird daher genannt, dass sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung seien, was mit ihrer angeblichen Unterstützung der Hamas legitimiert wird.
Noch absurder wird es, wenn man bedenkt, dass drei der Betroffenen legale EU-Bürger:innen sind und sich damit eigentlich frei bewegen dürften. Ohne überhaupt verurteilt zu werden, soll ihnen also auch dieses Recht genommen werden, was sich aber genauso gut mit Terrorunterstützung begründen lässt.
Der Schutz von trans Personen scheint zweitrangig
Als transgeschlechtliche Personen würde die Ausweisung mit zunehmender Gewalt gegen LGBTI+ Menschen wie Cooper und Kasia auch eine erhöhte Gefahr für ihre Existenz darstellen. In einem Interview sagte Cooper gegenüber The Intercept: „Ich habe nichts für einen Neustart. Als trans Person fühlt sich der Gedanke, jetzt in die USA zurückzugehen, erschreckend an.“
Seit Trumps Antritt zum Präsidenten der USA verschärfen sich die Angriffe auf trans Menschen. So dürfen sie nicht mehr zum Militär, ihnen werden Pässe nicht ausgestellt, Namensänderungen rückgängig gemacht (der Staat erkennt nur noch zwei Geschlechter an), ihr Zugang zu medizinischer Versorgung wird eingeschränkt und teilweise sollen kurze Haare bei „Frauen“ – zu denen die neue Regierung auch trans Männer und viele nicht-binäre Personen zählt – unter Strafe gestellt werden. Auch für den 35-jährigen Kasia Wlaszczyk würde es sein ganzes Leben umwerfen, denn er lebt seit 25 Jahren nicht mehr in Polen.
Transfeindlichkeit in den USA: Die bunte Maske der bürgerlichen Demokratie fällt
Nun sollen also die Betroffenen auf Anweisung der Senatsverwaltung für Inneres Berlin in den nächsten drei Wochen das Land verlassen – jeglicher interner Widerspruch durch das Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) wird dabei zunichtegemacht. Die Auffassung, dass beim Entzug der Freizügigkeit bei EU-Bürger:innen nur bisher ungelöschte Verurteilungen berücksichtigt werden dürften, teilt die Innenverwaltung nicht und fordert die Fortführung des Verfahrens. Nebenbei wird in den Vorwürfen auch auf die „deutsche Staatsräson” verwiesen, bei der das Existenzrecht Israels als Kern der Begründung des Staats und seiner Sicherheit genannt wird. Die sei jedoch „ein nicht rechtlicher Begriff, der in einem rechtlichen Bescheid einfach nichts zu suchen hat“ – so Rechtsanwalt Alexander Gorski, den die Aufnahme dieses Begriffs in diesem Fall besonders stört.
Die Maske von Demokratie und Rechtsstaat fällt
Innerhalb kürzester Zeit sollen also vier junge Menschen abgeschoben werden, wobei jegliche juristische Intervention ausgebremst bzw. gestoppt werden soll, bis die Ausweisungen bereits erfolgt sind. Mal wieder fällt die Maske der vermeintlichen „Demokratie für alle“, und der deutsche Staat zeigt sein wahres Gesicht. Das Ganze erinnert etwas an die Nacht-und-Nebel-Aktion, in der die nicht-binäre Person Maja 2024 an die ungarischen Behörden ausgeliefert wurde. Das wurde zwar als rechtswidrig erklärt, Maja wird aber weiterhin in Ungarn unter schlimmsten Bedingungen festgehalten.
Außerdem fallen auch besonders viele Gemeinsamkeiten mit einem jüngeren Fall von staatlicher Repression gegen Palästina-Solidarität in den USA auf: Mahmoud Kahlil wurde erst vor wenigen Wochen trotz unbefristeter Aufenthaltserlaubnis beim Betreten seiner Wohnung von Beamt:innen in Zivilkleidung festgenommen und soll nun abgeschoben werden. Dies ist noch nicht der einzige Fall, denn vor wenigen Tagen wurde außerdem eine Studentin der Tufts-Universität für ihren Aktivismus ebenfalls von in Zivil gekleideten Beamt:innen der ICE (Immigration and Customs Enforcement) auf offener Straße festgenommen. Auch ihr droht eine Abschiebung trotz valider Visa, was dadurch begründet wird, dass sie sich im Namen der Hamas organisiere.
Während die USA und der deutsche Staat also stark gegen Protest wegen des Völkermords in Gaza vorgehen, scheinen ihnen israelische Kriegsverbrecher völlig egal zu sein: So verweigern derzeit deutsche Behörden die von der Hind Rajab Foundation geforderte Ermittlung gegen den Deutsch-Israeli Barel Kriel, der in der 188. Panzerbrigade der israelischen Armee diente. Von ihm existieren Videoaufnahmen, die er selbst aufgenommen und geteilt hat, auf denen zu sehen sein soll, dass er willkürlich gegen zivile Infrastruktur und Nachbarschaften im Gazastreifen geschossen habe.
Die Rolle der palästina-solidarischen Studierendenbewegung
Die palästina-solidarische Bewegung ist heute zu einem großen Teil sehr studentisch geprägt. Besonders in den USA, wo Universitäten besonders oft auch mit israelischen (Rüstungs-)Konzernen und Hochschulen verstrickt sind und damit sowohl die ideologische Unterstützung des Genozids als auch die nötige Forschung für Waffen vorantreiben. So hat dort die schon im Jahr 2005 ins Leben gerufene BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) in den letzten Jahren einen großen Aufschwung erlebt. Aber auch an deutschen Universitäten finden sich solche Verbindungen, und so ist die studentische Bewegung auch in Deutschland größer geworden.
Diese Bewegung, die aktiv die Machenschaften des deutschen und israelischen Kapitals stört, ist dem deutschen Staat ein Dorn im Auge und wird daher brutal von der Polizei niedergeschlagen. Unter dem Vorwand, dass all diese Studierenden Hamas-Unterstützer:innen seien, legitimiert der Staat in der Folge den Ausbau genau dieser Repressionsbehörden: mehr Überwachung mit neuer Software, mehr Streifen auf der Straße, Einschränkungen des Versammlungsrechts, mehr Gelder für Bundeswehr und Polizei, einfachere Abschiebungen von migrantischen Demonstrant:innen, die Legitimation von massiver Gewalt durch die Polizei im Namen der „Sicherheit“, Berufsverbote usw.
Besonders an der Freien Universität (FU) in Berlin fanden in den vergangenen Jahren viele palästina-solidarische Aktionen statt, die anschließend mit großer Repression niedergeschlagen wurden. Bei Demonstrationen in Berlin wird heute regelmäßig verboten, andere Sprachen wie z.B. Arabisch zu sprechen. Im Februar wurde eine Demonstration von Pride Rebellion zur Bundestagswahl verboten – inoffiziell, weil Kurd:innen und Palästinenser:innen hätten teilnehmen können und oder sich angesprochen fühlen könnten.
Warum fordern Studierende einen akademischen Boykott israelischer Universitäten?
Palästina-Solidarität als Testplatz für kommende Repression
Während die Mieten in die Höhe schießen, Löhne sinken, Preise steigen, westliche Staaten auf den Krieg vorbereiten, faschistische Angriffe zunehmen und die AfD wöchentlich neue Rekorde in den Umfragen bricht, regt sich aber auch Widerstand. Die Wut bei den Arbeiter:innen steigt, auch Teile der revolutionären Bewegung werden stärker.
Die palästina-solidarische Bewegung stellt sowohl einen Motor für die Politisierung und Radikalisierung vieler junger Menschen dar, als auch den Test- und Trainingsplatz für neue Repression gegen eine stärker werdende Arbeiter:innenbewegung. Ganz offen trainiert die Bundeswehr zusammen mit der Polizei laut Aussage des stellvertretenden Abteilungsleiters Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz im Bundesinnenministerium, Christoph Hübner: „Die Polizeien werden im Spannungsfall schon alle Hände voll zu tun haben, weil nicht sicher ist, dass die Bevölkerung friedlich bleibt. Es kann zu Ausschreitungen kommen. Dementsprechend wird bei Übungen regelmäßig auch das Vorgehen gegen streikende Arbeiter und Demonstranten trainiert – auch in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden.“
Während uns beim neuen Sondervermögen in der Öffentlichkeit verklickert wird, dass wir uns „vorm bösen Russen“ schützen müssten und deshalb hunderte Milliarden an Rüstungskonzerne schenken müssen, geht es dem Staat mit der neuen „Heimatschutzdivision“ doch wohl eher um eine „Kapitalschutz”-Division, die sich den Arbeiter:innen entgegenstellt. Was wir hier sehen, ist eine bereits mit vollem Schwung laufende Militarisierung nach innen, mit einer noch recht schwachen antimilitaristischen Bewegung, die es noch auszubauen gilt. Selbst unter Mitgliedern der Partei der Linken ist etwas mehr als die Hälfte dazu bereit, mehr Geld in die Bundeswehr zu stecken und dafür höhere Schulden aufzunehmen. Nicht zuletzt waren es auch Mitglieder der Linkspartei in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, die im Bundesrat für die neuen Kriegskredite gestimmt haben.
Linkspartei auf Kriegskurs? – Für einen echten Antimilitarismus