Vor wenigen Tagen hat die indische CPI (Maoist) den indischen faschistischen Staat zum Waffenstillstand aufgerufen. Dieser Aufruf folgt auf die seit Monaten andauernden brutalen Angriffe des indischen Faschismus auf die Kommunist:innen und nationale Minderheiten. Die Bedeutung dieser Entwicklungen reicht weit über die Grenzen Indiens hinaus. – Eine Einordnung von Yara Silan.
Seit 16 Jahren führt die indische Regierung in mehreren Bundesstaaten eine militärische Aktion namens „Green Hunt“ gegen die Communist Party of India, CPI (Maoist). Die Aktion hat das Ziel, den bewaffneten Widerstand mithilfe der US-Geheimdienste zu zerschlagen.
Die Kommunist:innen kosten den indischen Staat jährlich beachtliche Summen. Denn ihre Kämpfe verhindern immer wieder, dass das Regime Sonderwirtschaftszonen für internationale Monopole bereitstellen kann. Für diese Zonen müssen riesige Flächen an Land zerstört und die dort ansässige Bevölkerung vertrieben werden. Um ein attraktiver und sicherer Industriestandort für diese internationalen Monopole zu werden, muss die Zentralregierung dafür sorgen, dass die gepachteten Produktionsstätten nicht durch den kommunistischen Widerstand in Gefahr sind.
In der maoistischen Guerilla sieht die Regierung also nicht nur eine allgemeine politische Bedrohung, sondern auch konkrete Hindernisse für den ökonomischen Aufstieg zu einem Big Player der internationalen Produktion.
Operation Kahaar
Die „Operation Kahaar“, die der indische faschistische Ministerpräsident Modi (Bharatiya Janata Party, BJP) nun seit Januar 2024 gegen die CPI (Maoist) führt, ist eine in ihrer Brutalität um einiges gesteigerte Weiterführung der Operation „Green Hunt“. Das Ziel dabei ist die vollkommene Vernichtung der Guerilla und ihrer Stützpunkte in den Wäldern Indiens.
Diese als „Aufstands- und Terrorismusbekämpfung“ bezeichneten Militäreinsätze waren im Frühjahr letzten Jahres ein Teil des politischen Wahlkampfes der BJP und beinhalten bis heute auch Massaker an der Zivilbevölkerung. Hauptfeind der Regierung bleibt die CPI (Maoist). Jede:r Tote wird dabei als Guerilla und Terrorist:in bezeichnet.
Geschichte der CPI (Maoist)
Die CPI (Maoist) entstand 2004 aus dem Zusammenschluss der CPI(ML) People’s War Group – gegründet um 1980 mit Schwerpunkt in Adivasi-Gebieten von Andhra Pradesh – und dem Maoist Communist Centre of India, das vor allem im Süden Bihars und in Jharkhand aktiv war. Die Partei verfolgt eine klassische maoistische Guerillataktik, die sie als „Volkskrieg“ bezeichnet, und kombiniert diese mit dem Aufbau sogenannter Vorfeldorganisationen. Sie pflegt enge Verbindungen zur Communist Party of Nepal (Maoist).
Friedensgespräche mit der indischen Regierung im Jahr 2004 scheiterten. Ihr steht das All India People’s Resistance Forum nahe, ein breites Bündnis aus Bäuer:innen-, Menschenrechts- und Frauenorganisationen, Gewerkschaften sowie NGOs.
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CPI (Maoist) im Kampf gegen Unterdrückung in Indien
Indien ist neben Türkei-Kurdistan, Philippinen, Kolumbien und Palästina eines der fünf Beispiele, in denen es bewaffneten Widerstand von Kommunist:innen gibt. Die CPI (Maoist) in Indien hat es dabei geschafft, ganze Landstriche in Ost- und Zentralindien aus der Kontrolle der faschistischen Regierung zu befreien und die dort lebende Bevölkerung zu Verbündeten zu machen. Die ländlichen Teile Indiens sind geprägt von Hunger, Armut und Landraub – ein Zustand, der den Widerstand der Bäuer:innen unumgänglich macht.
Die sogenannten Naxaliten – häufig maoistisch geprägte Parteien, Bewegungen und Aktivist:innen – kämpfen gemeinsam mit Teilen der lokalen Bevölkerung gegen die indische Regierung. Ihren Ursprung haben sie in den späten 1960er Jahren. Benannt sind sie nach dem Dorf Naxalbari im Distrikt Darjeeling im Bundesstaat Westbengalen.
Dort kam es 1967 zu einem Bäuer:innenaufstand unter der Führung von Mitgliedern des linken Flügels der Communist Party of India (Marxist) – CPI(M). Dieser wurde jedoch brutal von der Polizei niedergeschlagen. Zeitgleich ereigneten sich auch in anderen Regionen Bäuer:innenrevolten, darunter ein besonders bedeutender in Srikakulam, Andhra Pradesh.
Auslöser für die Unruhen waren vor allem die ungleiche Landverteilung – ein Erbe der britischen Kolonialzeit –, sowie die soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung nicht-hinduistischer indigener Bevölkerungsgruppen (Adivasis) durch die hinduistisch dominierte Gesellschaft und ihr Kastensystem. Zudem wehrten sich viele lokale Gemeinschaften gegen Zwangsumsiedlungen im Zuge großangelegter Infrastrukturprojekte.
Seit etwa 2007 sind die Einsätze der indischen Sicherheitskräfte gegen die Naxaliten deutlich intensiver geworden. Dennoch behalten diese Gruppierungen in den Bundesstaaten Chhattisgarh, Jharkhand und weiteren Teilen Zentral- und Ostindiens weiterhin großen Einfluss.
Aufruf zum Waffenstillstand
Das Zentralkomitee der CPI (Maoist) veröffentlichte am 2. April eine Erklärung, in der es darauf hinwies, dass in den letzten 15 Monaten mehr als 400 Menschen durch die Operation Kahaar massakriert wurden, weshalb es einen Waffenstillstand mit dem indischen Staat vorschlug. Von Seiten der Kommunist:innen wird dieser Waffenstillstand ausgerufen, sollten ihre Bedingungen an den Staat akzeptiert werden.
Es handelt sich bei diesen Bedingungen um die Einstellung der Massaker an der Zivilbevölkerung und revolutionären Organisationen für den Aufbau eines monistischen Staates – also kurz gesagt, die Einstellung der Operation Kahaar. Dazu gehöre auch ein Ende der Einrichtung neuer Lager durch die indische Armee. In der Erklärung heißt es:
„Das hindutva-faschistische BJP-geführte Regime im Zentrum hat im Namen der Operation Kahaar eine Militäroffensive gegen seine eigene Bevölkerung gestartet. Dieser Angriff wird unter völliger Missachtung der verfassungsmäßigen Rechte und des Lebens der einheimischen Bevölkerung durchgeführt. Ziel dieses brutalen Angriffs ist es, die revolutionäre Bewegung zu unterdrücken, die Rechte der Adivasi auf jal, jangal, zameen (Wasser, Wald und Land) zu beseitigen, den Weg für die Plünderung der natürlichen Ressourcen zu ebnen, das föderale System des Landes zu zerstören und einen autoritären monistischen Staat zu errichten. Im Rahmen der Operation Kahaar wurden viele Führer:innen und Kader:innen unserer Partei, Kommandant:innen und Mitglieder der Volksbefreiungs-Guerilla-Armee (PLGA) und einfache Adivasi, vor allem in Chhattisgarh, massakriert, insgesamt mehr als 400 Menschen. Ein Drittel der Getöteten sind Adivasi.“
Was ist ein Waffenstillstand?
Es handelt sich hierbei um ein vorläufiges Niederlegen der Waffen im Krieg und wird meistens als Vorstufe zum Frieden geplant. Im Gegensatz zur Waffenruhe, einer kurzfristigen Einstellung von Kampfhandlungen zu einem bestimmten Zweck (z. B. Bergung von Verwundeten), ist ein Waffenstillstand auf längere bestimmte Zeit angelegt, wobei oft genaue Bedingungen festgelegt werden.
Ziel ist es in der Regel für beide Seiten, in einer festgefahrenen Kriegssituation aufatmen und die Kräfte neu sortieren zu können. Gleichzeitig zeigt der Aufruf eindeutig: Die Aggression geht vom Staat aus, die Guerrilla will die Bevölkerung schützen und weitere Massaker verhindern.
Waffenstillstand ist nicht gleich Waffenstillstand
Indien ist nicht das einzige Land, in dem gerade über einen Waffenstillstand verhandelt wird. In Gaza hat die Hamas vorgeschlagen, die Regierung des Streifens an eine andere palästinensische Organisation abzugeben. Der zuvor mehrere Wochen anhaltende Waffenstillstand war durch das zionistische Israel beendet worden. Israel führt wieder brutale Angriffe durch und hat angekündigt, bis zur Erreichung sämtlicher Kriegsziele (vollständige Zerstörung der Hamas und Kontrolle des Gaza-Streifens) weiter seinen Vernichtungskrieg zu führen. Es ist offensichtlich, dass Israel weder an einem dauerhaften Waffenstillstand noch am Ende des Krieges interessiert ist.
In der Türkei und Kurdistan dauern Gespräche zwischen dem türkischen Faschismus und der kurdischen Arbeiter:innenpartei PKK an. Im Unterschied zur CPI (Maoist) hat jedoch der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, einen einseitigen Waffenstillstand schon ausgerufen, bevor der türkische Staat Forderungen angenommen hätte. Darüber hinaus hat er nicht nur zu einem taktischen Waffenstillstand, sondern zur Niederlegung aller Waffen und zur Selbstauflösung der PKK aufgerufen. Das ist sehr viel weitreichender als der taktische Aufruf der CPI (Maoist).
Offensichtlich ist: Überall auf der Welt gehen reaktionäre und faschistische Regime mit äußersten Mitteln gegen revolutionäre Widerstandsbewegungen vor und führen Vernichtungskriege gegen revolutionäre Organisationen. Inmitten eines allgemeinen weltweiten Aufschwungs von Faschismus und Reaktion stellen diese Angriffe gegen die revolutionäre Vorhut die Spitze der Angriffe auf die Arbeiter:innen und Unterdrückten dar. Die Verteidigung dieser revolutionären Zentren ist deshalb nicht nur eine Aufgabe dieser Organisationen selbst, sondern eine Aufgabe der internationalen revolutionären Bewegung.
Das Finanzkapital in Indien
Mit dem seit 2014 amtierenden Premierminister Modi, einem hindu-faschistischen Politiker der Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP), hat das Land einen wirtschaftspolitischen Wandel erlebt. Immerhin kam letzte Woche Markus Söder (CSU) persönlich nach Delhi, um über wirtschaftliche Deals zu sprechen.
Modi kommt politisch aus dem RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh), einer paramilitärisch organisierten, hindu-nationalistischen Organisation, die sich ideologisch an faschistischen Vorbildern des 20. Jahrhunderts orientierte (teilweise beeinflusst von Mussolini und Hitler in ihren Anfängen). Der RSS vertritt eine Vision Indiens als Hindu Rashtra – eine ethnisch und religiös homogene Nation.
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Modis Kurs für Indien
Modi wurde als Chief Minister von Gujarat bekannt – vor allem wegen seiner Rolle beim antimuslimischen Pogrom 2002, bei dem über 1.000 Menschen getötet wurden. Seit seiner Wahl zum Premierminister 2014 (und Wiederwahl 2019) hat Modi die Exekutive stark zentralisiert, die Pressefreiheit eingeschränkt, die Justiz politisiert, kritische NGOs verfolgt und Aktivist:innen kriminalisiert.
Modi verfolgt eine klassisch konservative und wirtschaftsliberale Politik. So wurde die in Indien traditionell verbreitete Bürokratie dereguliert und eine Steuerreform durchgeführt, um die heimische Wirtschaft zu stärken und ausländische Investoren anzulocken. Unter den Slogans “Make in India“ und „Digital India“ wurde die Modernisierung vorangetrieben.
Seine Nähe zu indischen Großunternehmern wie Gautam Adani (Adani Group) oder Mukesh Ambani (Reliance Industries) ist berüchtigt. Diese Konzerne haben massiv von Privatisierungen, Landzuteilungen und politischen Deals profitiert – teilweise mit dubioser Finanzierung aus dem Ausland. Die Verbindung zu diesen Monopolen schafft auch Überschneidungen mit dem globalen Finanzkapital.
Indiens Wert für internationale Investoren
Für viele internationale Investoren ist die „starke Hand“ Modis attraktiv: Arbeitsrechte werden geschwächt, Umweltauflagen abgebaut, Gewerkschaften marginalisiert. Die politische Stabilität, auch wenn autoritär, wird von Kapitalmärkten oft bevorzugt.
Trotz seiner antimuslimischen Politik und Repressionen gegen Minderheiten wird Modi von westlichen Staaten hofiert – unter anderem wegen wirtschaftlicher Interessen, Geo-Strategie (Gegenpol zu China), und einem großen Markt.
Auch der Besuch von Markus Söder (CSU) ist in diesem Kontext zu sehen: Bayern pflegt Wirtschaftsbeziehungen mit Indien, vor allem im IT- und Automobilbereich. Genau diese Sektoren sind besonders relevant für die deutsche Wirtschaft. Dass nun der deutsche Politiker noch kurz vor der Verabschiedung des Koalitionsvertrages für die neue Regierungsperiode dem neuen Industriestandort einen Besuch abstattet, dürfte also kein Zufall sein.
Dass Indien den Kampf gegen die Volksarmee intensiviert, kann man in diesem internationalen Zusammenhang sehen. Der Druck auf die indische Regierung, für internationale Investoren aus Europa weiterhin ein attraktiver Standpunkt zu bleiben, steigt. Die Konkurrenz zwischen den Imperialisten entlädt sich auch in Repressionskampagnen gegen diejenigen, die die „innere Souveränität“ und wirtschaftliche Stabilität in Frag stellen oder gar gefährden. Die Operation Kahaar ist ein besonders gewaltvolles Beispiel hierfür.
Das deutsche Kapital zu bekämpfen, bedeutet also auch, diejenigen zu unterstützen, die diesem Kapital die Produktionsstandorte nehmen wollen. Den europäischen Imperialismus zu bekämpfen, bedeutet auch, die Kollaborateure, wie hier den indischen Staat und seine Massaker, zu entlarven. Internationale Solidarität bedeutet, die Kämpfe und deren Bedeutung anderer Unterdrückten zu kennen und ihre Forderungen zu verstehen und dementsprechend zu unterstützen. Ein Ende der Massaker an der CPI (Maoist) in Indien muss also auch deutschen Internationalist:innen ein Anliegen sein.