Zeitung für Solidarität und Widerstand

Generalstreik gegen Rentenreform in Belgien

Am Montag legten Arbeiter:innen in ganz Belgien die Arbeit nieder, um gegen eine geplante Rentenreform der neuen Regierung zu protestieren. Diese sieht verschiedene Angriffe auf das belgische Sozialsystem vor.

Der harte Sparkurs der Ende Januar 2025 angetretenen belgischen „Arizona”-Koalition als neue Regierung aus rechten, konservativen und liberalen Parteien sorgt in dem Land schon seit vielen Wochen für großen Unmut. Die aktuell durch den neuen Premierminister Bart de Wever, Vorsitzender der rechtsnationalistischen Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA), geplanten Sozialkürzungen haben das Fass jedoch zum Überlaufen gebracht.

Nachdem die Bevölkerung Belgiens bereits in den vergangenen Monaten gegen geplante Kürzungen im Haushalt auf den Straßen protestierte, riefen nun der Allgemeine Arbeitsverband von Belgien (ABVV) sowie die Konföderation christlicher Gewerkschaften (ACV) am 31. März zum landesweiten Streik auf. Auslöser waren Vorschläge der Regierung zur Erneuerung des Rentensystems. Der Generalstreik folgte auf einen Bahnstreik und ist Teil einer breiten Protestbewegung gegen die geplanten Kürzungen der Bundesregierung.

Bus, Bahn, Zug, Flugzeug: Alles steht still

Während die liberale Gewerkschaft, der Allgemeine Bund Liberaler Gewerkschaften Belgiens (ACLVB), die Beteiligung am Streik unterlässt und weiter auf sozialpartnerschaftliche Verhandlungen mit den Konzernen und der Regierung setzt, legen Arbeiter:innen mittlerweile ganze Flughäfen und Bahnhöfe lahm.

Am Streiktag wurden alle abgehenden Passagierflüge und über die Hälfte der ankommenden Flüge gestrichen, auch der Frachtflughafen Brucargo in der Hauptstadt Brüssel war geschlossen. Der Schiffsverkehr auf der Nordsee wurde stark beeinträchtigt, dutzende Frachtschiffe konnten weder ein- noch auslaufen, und auch der Großteil der belgischen Schleusen funktionierte an dem Tag nicht.

Zudem legten circa ein Fünftel der Lehrkräfte ihre Arbeit nieder. Und auch Studierende an Universitäten und Hochschulen zeigten sich solidarisch mit den Streikenden und betonen, dass die Rentenreform mit ihrer Zukunft spiele.

Was beinhaltet die Rentenreform?

Die neue Rentenreform umfasst folgende Maßnahmen:

  • Das Renteneintrittsalter wird von 65 auf 66 Jahre erhöht. Ab 2030 soll es dann auf 67 Jahre ansteigen.
  • Der Zugang zur Mindestrente soll erschwert und ihre Höhe herunter geschraubt werden. Für den Zugang zur Mindestrente ist eine Arbeitslaufbahn von mindestens 20 Jahren vorzuweisen. Besonders Frauen werden davon hart getroffen sein, da sie öfter Brüche und längere Phasen der Erwerbslosigkeit haben aufgrund von Schwangerschaften und der Pflege von Angehörigen oder der Erziehung von Kindern.
  • Die Vorzugsregelung für Beamt:innen, die einen früheren Einstieg in die Rente ermöglicht, soll angepasst werden. Dadurch müssten Beschäftige bei der Feuerwehr, der Polizei, im Militär und Öffentlichen Dienst länger arbeiten, um die gleiche Rente zu bekommen.
  • Zudem sollen Änderungen am sogenannten „Kaufkraftausgleich“ vorgenommen werden. Dieser fungierte bisher als finanzielle Abfederung der Inflation für belgische Arbeiter:innen.

Kürzungen zugunsten der Militärausgaben und Wirtschaft

Während die anderen Gewerkschaften in der neuen Rentenreform eine „Kriegserklärung gegen die Arbeitswelt“ sehen und der Regierung einen „Mangel an Respekt gegenüber den Arbeitnehmern“ vorwerfen, klagen Regierung und Unternehmen über zu wenig Geld für die belgische Wirtschaft und das Militär. Denn auch Belgien kann die internationalen Entwicklungen nicht stillschweigend beobachten. Die Kriegsvorbereitungen gewinnen auch in Belgien an Boden: So behauptete der neue Premierminister Belgiens, der flämische Nationalist Bart De Wever, man sei „zu Reformen gezwungen, denn wir müssen verstärkt in unsere Sicherheit investieren.“

Belgien gehört zusammen mit Luxemburg, Spanien und Slowenien zu den NATO-Staaten mit den geringsten Verteidigungsausgaben. Premierminister Wever setzt sich mit der neuen Regierung nun das Ziel, die Rüstungsausgaben Belgiens bis 2029 auf das NATO-Ziel von 2 Prozent des BIPs anzuheben. Auch Verteidigungsminister Theo Francken sprach in einer Rede von einer „Zeit des Wiederaufbaus der belgischen Verteidigung“ und dem „Ende einer Phase nationaler Schande“. Hans Maertens, Chef des flämischen Arbeitgeberverbandes Voka, bezeichnet Streiks sogar als „völlig verantwortungslos“. Laut ihm seien Reformen absolut notwendig für die Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Wirtschaft.

Grünes Licht für deutsche Kriegskredite: Die Milliardenaufrüstung kommt

Auch der neue belgische Finanzminister Jan Jambon hat einen harten Sparkurs angekündigt, in dessen Rahmen der Haushalt „aufgeräumt“ werden müsse.
Die Rentenreform reiht sich also ein in eine Politik des Sozialkahlschlags, der sich in vielen Ländern Bahn bricht. Erst letztes Jahr protestierten Millionen in Frankreich gegen Emanuel Macrons Rentenreform.
Unterm Strich sollen Arbeiter:innen also mehr arbeiten gehen und weniger Geld bekommen, um die Investitionen der Regierungen ins Militär und die Wirtschaft zu finanzieren.

Die Generalsekretärin des Christlichen Gewerkschaftsbunds (CSC), Marie-Hélène Ska, kommentierte dazu auf einem Protest: „Es gibt viele Möglichkeiten Geld zu sparen und Einnahmen in die Staatskasse zu bringen, ohne immer die gleichen Leute zu treffen, die Arbeitnehmer.“
Ob und wie die Streiks in Belgien eine langfristige Veränderung bringen werden, wird sich zeigen.

Perspektive Online
Perspektive Onlinehttp://www.perspektive-online.net
Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!