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Kernfusion: Fortschritt oder Ablenkung?

Kernfusion – der Traum von unendlicher sauberer Energie – rückt immer wieder in den Fokus von Politik und Medien. Doch während einige sie als Schlüssel zur Lösung der Energiekrise feiern, warnen andere vor teuren Illusionen. Ein genauer Blick zeigt: Hinter dem wissenschaftlichen Fortschritt stehen auch handfeste politische Interessen. – Ein Kommentar von Rosalie West.

Kernfusion bezeichnet den Prozess, bei dem zwei leichte Atomkerne – meist Wasserstoffisotope – zu einem schwereren Kern verschmelzen. Dabei wird eine enorme Menge Energie freigesetzt, wie sie in Sternen z. B. unserer Sonne seit Milliarden Jahren erzeugt wird. Für die Menschheit wäre kontrollierte Kernfusion ein revolutionärer Schritt: nahezu unerschöpfliche Energiequellen ohne die Risiken herkömmlicher Kernkraft wie radioaktiven Abfall und GAUs bei Atomkraftwerken.

Allerdings steht die Technik noch am Anfang. Bisher ist es keinem Reaktor gelungen, mehr Energie zu erzeugen, als er verbraucht. Der Traum der Kernfusion bleibt also vorerst eine Vision, die Jahrzehnte von der Marktreife entfernt ist.

Das hält Politiker:innen aber nicht davon ab, genau mit dieser Vision Wahlkampf zu machen. Die CDU forderte Anfang des Jahres in ihrem Wahlprogramm beispielsweise, verstärkt „Forschung zu Kernenergie der vierten und fünften Generation, Small Modular Reactors und Fusionskraftwerken“ zu betreiben.

Dabei betonen sie nicht nur den Wert von Technologieoffenheit und Innovation, sondern heben auch die besondere Bedeutung der Kernenergie für die Erreichung der Klimaziele und die Gewährleistung einer stabilen Energieversorgung hervor. Die Weiterentwicklung von Fusionskraftwerken wird dabei als ein zentraler Forschungsbereich angesehen. Aber was steckt eigentlich dahinter?

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Kernfusion im gesellschaftlichen Diskurs

In den letzten Jahren wird die Kernfusion zunehmend Thema in Politik und Medien. Nicht nur CDU und CSU brachten Kernfusion im Wahlkampf offensiv als Alternative zu erneuerbaren Energien ins Spiel. Auch AfD-Politiker fordern verstärkte Investitionen in Fusionsforschung und stellen diese Technologie als Argument gegen den Ausbau von Wind- und Solarenergie dar.

Demgegenüber warnen Organisationen wie Greenpeace vor übertriebenem Optimismus. Laut dem Greenpeace-Experten Heinz Smital ist Kernfusion momentan ineffizient, extrem teuer und Jahrzehnte von einer tatsächlichen Nutzung entfernt. Smital kritisiert zudem, dass der „Hype“ um Kernfusion dringend benötigte Gelder von bereits funktionierenden erneuerbaren Energien abziehe.

Auch im Bundestag versuchte die CDU, die Fusionsforschung verstärkt politisch zu fördern, etwa mit einem Antrag zur strategischen Förderung von Kernfusionstechnologien. Friedrich Merz forderte laut MDR zudem während des Bundestagswahlkampfs den Bau von zwei Fusionsreaktoren in Deutschland, um die technologische Führerschaft gegenüber China zu sichern.

Insgesamt zeigt sich: Während manche Parteien und Medien Kernfusion als Heilsbringer inszenieren, betonen kritische Stimmen, dass sie derzeit keine praktikable Alternative zu erneuerbaren Energien darstellt – und dass ihr politisches Aufbauschen letztlich den Fortschritt im Bereich aktuell nutzbarer nachhaltiger Energie behindert.

Kernfusion und die weltanschauliche Krise des Imperialismus

Die Art, wie Kernfusion im öffentlichen Diskurs behandelt wird, offenbart eine grundlegende Dynamik. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nie „neutral“, sondern werden in der kapitalistischen Gesellschaft im Interesse der herrschenden Klasse gedeutet und eingesetzt.

Obwohl die objektive wissenschaftliche Lage zeigt, dass Kernfusion aktuell keine Antwort auf die Energiekrise bieten kann, wird sie politisch als Zukunftslösung in Szene gesetzt – nicht zuletzt, um den Ausbau von erneuerbaren Energien zu bremsen. Dahinter stehen handfeste Interessen: fossile Industrien, große Energieunternehmen und politische Kräfte, die bestehende ökonomische Machtstrukturen erhalten wollen.

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Diese Umdeutung wissenschaftlicher Fakten verdeutlicht die weltanschauliche Krise des Imperialismus. Angesichts globaler ökologischer und ökonomischer Herausforderungen können die bestehenden Herrschaftsverhältnisse nur noch schwerlich ideologisch legitimiert werden. Der Versuch, Technologien wie die Kernfusion zu glorifizieren, obwohl sie gegenwärtig ineffektiv sind, ist ein Ausdruck dieser Krise: Anstatt auf real verfügbare Lösungen zu setzen, wird eine ferne technologische Hoffnung beschworen, um grundlegende Veränderungen zu verhindern.

Kernfusion: Der Gamechanger für unsere Energiezukunft?

Kernfusion könnte in einer fernen Zukunft tatsächlich eine enorme Rolle spielen. Doch gegenwärtig ist sie weit davon entfernt, praktische Lösungen für die Energie- und Klimakrise zu bieten. Die aktuelle politische Aufladung der Fusionsforschung zeigt, wie wissenschaftliche Erkenntnisse instrumentalisiert werden, um bestehende Machtverhältnisse zu sichern. Wer echte Lösungen will, muss deshalb nicht auf ferne Technologien hoffen, sondern die Interessen hinter der Energiepolitik kritisch hinterfragen.

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