Die Influencerin Piper Rockelle ist inzwischen 17 – hat aber schon über 15 Millionen Follower und eine siebenjährige Social Media Karriere hinter sich. Eine neue Netflix-Doku zeigt die Abgründe des „Kidfluencings“.
Anfang April wurde auf der US-amerikanischen Streaming-Plattform Netflix die erste Staffel der Doku-Serie „Bad Influence“ veröffentlicht. Sie zeigt die Hintergründe des Social Media-Aufstiegs der heute 17-jährigen Piper Rockelle und legt den Fokus auf ihre Mutter Tiffany Smith.
Piper lebt heute in Los Angeles. Sie wuchs mit ihrer alleinerziehenden Mutter Tiffany Smith auf. Diese schickte sie schon im Alter von unter 10 Jahren zu Schönheitswettbewerben und Modenschauen, bei denen Mädchen geschminkt und teilweise sehr freizügig bekleidet gegeneinander antreten.
Im Alter von 10 Jahren startete Piper ihre Aktivitäten auf Musically (was später zu TikTok wurde), Instagram und YouTube. Auf YouTube etablierte sich in den kommenden Jahren der „Piper Rockelle Squad“. Dieser bestand aus einer Gruppe wechselnder Teenager rund um Piper, die zusammen YouTube-Videos erstellten. Besonders während der Corona-Pandemie wurden nahezu täglich Videos hochgeladen und erreichten Aufrufzahlen im Millionenbereich.
Der gespielte „Squad“
Die dreiteilige Netflix-Doku besteht zu großen Teilen aus Interviews mit ehemaligen „Squad“-Mitgliedern (Team) und deren Eltern. Sie berichten, was hinter den Kulissen passierte. Demnach zog Pipers Mutter Tiffany die Fäden im Hintergrund. Sie bestimmte die Inhalte der Videos, managte die Social Media-Profile der Kinder, entschied über neue „Squad“-Mitglieder, machte Werbedeals und kassierte die teilweise sechsstelligen monatlichen Werbeeinnahmen des Kanals. Tiffanys deutlich jüngerer neuer Partner Hunter filmte alle Videos und kümmerte sich um den Schnitt.
Die Jugendlichen sahen sich während ihrer Zeit als Teil des „Squad“ extremen Druck ausgesetzt. Das Filmen zog sich oft bis in die Nacht, es gab kaum Möglichkeiten, etwas zu essen, und oft wurde hinter den Kulissen geweint. Zudem berichten sie von direktem körperlichen und psychischen Missbrauch durch Tiffany Smith. Piper selbst distanziert sich von der Netflix-Dokumentation.
@piperrockelle
„Sex sells“ gilt auch für Kidfluencer:innen
Die Inhalte der Videos wurden mit der Zeit und mit steigenden Klickzahlen extremer. Aus harmlosen Pranks wurde etwa eine vorgetäuschte Festnahme mit gemieteten falschen Polizisten und Polizeiauto, was eines der Kinder nachhaltig traumatisierte. Besonders schockierend sind die sexualisierenden Inhalte von Teenagern in Videos und Social Media-Posts. Zwischen den Mitgliedern des „Squad“ gab es Beziehungen, die in fast jedem Video zum Thema wurden. Intime Momente wie etwa Pipers erster Kuss wurden für ein Video inszeniert.
Piper und andere Mädchen des „Squad“ wurden zudem häufig im Bikini gezeigt und in Thumbnails sexualisiert. Viele dieser Videos sind mittlerweile gelöscht, erreichten aber Millionen von Klicks. Die Sängerin „P!nk“ fragte schon im August 2021 „Wie viele Kinder wie Piper Rockelle werden in gleicher Weise durch ihre Eltern ausgenutzt?“. Tiffany Smith verschickte angeblich sogar Unterwäsche ihrer minderjährigen Tochter an erwachsene Männer mit der Begründung, „weil diese so gerne daran riechen“.
Studien zeigen, dass besonders bei jungen Mädchen die Followerschaft zu großen Teilen aus erwachsenen Männern besteht. Die Doku verweist außerdem darauf, dass 60 Prozent der Inhalte, die auf Computern von Personen mit pädophiler Neigung gefunden wurden, Inhalte aus Sozialen Medien sind. Bei Kanälen wie dem von Piper Rockelle ist sichtbar, dass sich Videos im Bikini oder über Küsse mit ihrem Freund besonders gut klicken. Dem ist Pipers Mutter nachgegangen und hat immer mehr dieser Inhalte produziert.
Moderne Form der Ausbeutung von Kindern
Die Doku zeigt, wie systematisch die Ausbeutung von Kindern auf Social Media für Klicks und daraus resultierend Werbeeinnahmen funktioniert. Noch perfider als ein klassisches berufliches Ausbeutungsverhältnis ist dabei, dass „Kidfluencer:innen“ meist direkt von ihren Erziehungsberechtigten ausgebeutet werden. Die Eltern kassieren die kompletten Werbeeinnahmen für ihre Kinder, die quasi für sie arbeiten.
Die interviewten ehemaligen Mitglieder berichten, wie ihnen ihre Kindheit und Jugend genommen wurde, weil sie sieben Tage die Woche für Social Media arbeiten mussten. Der emotionale Druck verschärfte sich dadurch, dass alle Jugendlichen, die den „Squad“ verließen, keinen Kontakt mehr zu den verbleibenden Mitgliedern, also ihren ehemaligen Freund:innen, haben durften.
Durch das besonders unter wohlhabenden Familien in den USA verbreitete „Homeschooling“ war es Eltern möglich, die Kinder nicht zur Schule zu schicken und sie monatelang YouTube-Videos filmen lassen. In den USA greift dabei der Jugendschutz später als etwa in Deutschland. Doch auch hierzulande gibt es noch zahllose weitere Fälle von Kinder- oder Familienkanälen, bei denen Minderjährige im Zentrum der Inhalte stehen.
Kein Gerichtsverfahren gegen Tiffany Smith
2022 haben elf Teenager und deren Eltern eine Klage gegen Tiffany Smith erhoben. Sie warfen ihr vor, Gesetze zur Kinderarbeit zu missachten, die Kinder zu missbrauchen und sie nicht für ihre Arbeit zu kompensieren. Es kam jedoch nicht zu einem Prozess, da die Klage im Oktober 2024 außergerichtlich für eine Summe von 1,85 Millionen US-Dollar beigelegt wurde. In einem möglichen Gerichtsprozess wäre dann die Rolle von Tiffany Smith und ihrem Partner beleuchtet worden, aber eben auch die der klagenden Eltern ehemaliger „Squad“-Mitglieder, die sich damit selbst vor Gericht gestellt hätten.
Die Eltern erhielten zwar keinen Teil der Werbeeinnahmen, jedoch profitierten viele auch von der Popularität ihrer Kinder an der Seite von Piper Rockelle. Viele der Kinder waren bereits vorher schauspielerisch tätig und konnten so ihre Karriere verbessern. So sahen einige der Eltern möglicherweise absichtlich über die Missstände rund um den „Squad“ hinweg.
Auch heute noch ist Piper Rockelle auf Social Media aktiv und wird durch ihre Mutter betreut. Der YouTube-Kanal zu Piper Rockelle ist seit der Klage 2022 demonetarisiert, wirft also keine Werbeeinnahmen mehr ab. Sie hat allerdings bereits Inhalte mit Darstellerinnen der Plattform „OnlyFans“ in einem Haus produziert, das auch als „modernes Playboy Mansion“ bezeichnet wird. (Im August 2025 wird Piper 18. Damit wäre sie alt genug, um legal pornografische Inhalte von oder über sich zu verkaufen).
In der Doku wird außerdem erwähnt, dass sie schon lange keinen Schulunterricht mehr genommen hat und etwa Probleme beim Lesen hat. So wird Piper Rockelle also auch nach Beendigung ihrer Social Media-Aktivitäten noch lange die Konsequenzen ihrer Ausbeutung im Jugendalter zu spüren bekommen.