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Knäuel der Konservativen: Wie AfD, Nordstream und Migration zu Spannungen in der CDU führen

In der CDU/CSU gab es in den letzten Jahren immer wieder Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen der Parteien. Nach einem Abklingen des Hypes um die „Werteunion” führte rund um die letzte Bundestagswahl das Verhältnis zur AfD wieder zu neuen Spannungen. Damit einher gehen auch die Diskussionen um eine Wiederinbetriebnahme von Nordstream 2 und eine härtere Migrationspolitik. – Eine Einordnung von Anna Müller.

Trotz seiner Einbußen in den Koalitionsverhandlungen verbinden viele Menschen Friedrich Merz (CDU) mit einem Hardliner-Kurs, der in der Gesamtbevölkerung sowohl auf Zuspruch, als auch starken Protest trifft. Auch in seiner eigenen Partei sind nicht alle von seinem Kurs überzeugt: Der voraussichtlich baldige Bundeskanzler hatte bei seiner Kandidatur den geringsten Rückhalt in der eigenen Partei im Vergleich zu seinen Konkurrent:innen der anderen Parteien.

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Eine immer wieder aneckende Position darunter ist die Frage nach der Unterstützung der Ukraine, beziehungsweise inwiefern man sich Russland wieder annähern will. Insbesondere in der Wähler:innenschaft noch kontroverser gehandelt wird der Umgang der Schwesterparteien mit der AfD.

Nordstream 2 – ein explosives Thema

Während der Kurs des CDU-Parteichefs klar Waffenlieferungen an die Ukraine und die Bereitstellung der lange umstrittenen Taurus-Marschflugkörper propagiert, sind einige Parteimitglieder nicht von dieser Position überzeugt. Bekannte Politiker:innen, wie z.B. Armin Laschet, zeigten sich vor weniger als einem Jahr noch nicht überzeugt von Waffen dieser Art für die Ukraine. Und auch in der Frage der Zusammenarbeit mit Russland sind sich verschiedene Flügel der Partei nicht einig.

Thomas Bareiß (CDU), der auch dem sogenannten Berliner Kreis angehörte, löste während der Koalitionsverhandlungen im März nicht nur bei seinem Partei-Kollegen Roland Polenz große Empörung aus: Denn nach einem Frieden in der Ukraine schlagen Teile der CDU, unter anderem Bareiß oder NRW Vize-Fraktionschef Jan Heinisch, die Inbetriebnahme der Nordstream 2-Pipeline unter Kontrolle der USA vor.

In den Medien und auch unter anderen Parteimitgliedern und vor allem Koalitionspartner:innen stießen diese Ideen auf harte Ablehnung.
Auch die Grünen warfen der CDU daraufhin beispielsweise eine „Moskau-Connection“ vor, andere beschimpfen Bareiß als „Trumpisten“.
Auf öffentlichen Druck hin distanzierte sich die Partei dann als Ganze offiziell von der Idee der Inbetriebnahme von Nordstream 2 und betonte die Wichtigkeit der Unabhängigkeit Deutschlands von russischem Gas.

Auslöser der Debatten sind Gerüchte, dass die US-Regierung mit der russischen hinter verschlossenen Türen einen Plan angefertigt habe, um wieder russisches Gas in die BRD zu liefern, wovon beide Staaten profitieren würden: US-Investor:innen würden dabei russisches Gas kaufen und dann wiederum an Deutschland verkaufen, wobei Sanktionen der EU gegenüber Russland umgangen würden.

Auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmar kann sich eine Annäherung an Russland vorstellen und brachte hierbei zuletzt eine mögliche Aufhebung der Sanktionen gegen Russland ins Spiel.

Opposition wie jede andere?

Der sogenannte 5-Punkte Plan der Union, der durch eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD im Bundestag am 29. Januar angenommen wurde, ist also immer noch eine Grundlage für Kontroversen. Zwar stören sich die Unions-Politker:innen nicht zwingend an dem darin formulierten offenen Rassismus und den menschenverachtenden Forderungen, doch scheint ihnen die offene Annäherung an die AfD-Faschist:innen zu heikel.

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Doch auch hier gibt es die Hardliner, die durch ihre „extreme“ Position die Normalisierung eines langsamen Annäherns bewirken können. Dazu zählt zum Beispiel Jens Spahn, der einen Umgang mit der AfD wie mit jeder anderen oppositionellen Partei fordert. Spahn selbst zählt in CDU-Kreisen als unberechenbar und nicht als erste Wahl von Merz in hohen Positionen.

Friedrich Merz suche Leute, die seine Meinung ohne große Widerworte vertreten und ihm nahe stehen, wie z.B. Thomas Frei – worin er sich wohl bei Spahn nicht sicher ist. In der Presse wird Jens Spahn wiederholt eben nicht nur als „Gefahr“ für die Führung der Partei selbst, sondern auch für die notwendige Stabilität der GroKo diskutiert.

Spahn vertritt jedoch einfach offen, was sich andere in der CDU/CSU leise denken, um ihren Schein als besorgte Demokrat:innen zu wahren. Auch schockierte Stimmen aus den Ex-Regierungsparteien interessieren sich wenig für den tatsächlichen Inhalt einer möglichen Union-AfD-Zusammenarbeit. Denn sie selbst haben in den vergangen vier Jahren leidenschaftlich das politische Klima geschaffen, in dem heute solche Positionen zu Tage treten.

Die Werteunion in der Union?

Über die Jahre gab es organisierte Versuche, eine konservativere Politik in der CDU/CSU aufrechtzuerhalten und weiter voranzutreiben. Einer dieser Versuche war der sogenannte Berliner Kreis in der Union e.V., der vermutlich seit 2007 vorbereitet, aber 2012 erstmals öffentlich auftrat und rund 40 Mitglieder umfasste.

In dem Entwurf des sogenannten „Berliner Manifests“ waren jedoch nicht nur ideologische, sondern auch wirtschaftliche Standpunkte festgehalten. Es wurde unter anderem von Thomas Dörflinger mitverfasst. Dieser ist nach seiner Zeit im Bundestag zum Unternehmerdasein übergewechselt.

Ebenfalls Mitglieder der Gruppe waren Thomas Bareiß und auch Erika Steinbach – bis sie aus der CDU austrat. Steinbach ist heute Mitglied bei der Alternative für Deutschland. Als Sprecherin der informellen Struktur fungierte damals Sylvia Pantel, trat jedoch ebenfalls aus der Partei aus. Heute ist sie Landesvorsitzende der Werteunion Nordrhein-Westfalen und stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei Werteunion, die den Wertekonservatismus, den auch der Berliner Kreis innerhalb der Union voranbringen wollte, zum Grundpfeiler erklärt hat.

Führend in der Kleinpartei ist der Ex-Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der aufgrund seiner „rechtsextremen“ Gesinnung vom Verfassungsschutz überwacht wird/wurde. Er war ebenfalls einst Mitglied der CDU, verlor seine Mitgliedschaft aber aufgrund der Skandale um ihn und seine staatlichen Ämter. Der Verein der Unionsmitglieder verlor jedoch auch deshalb an Beliebtheit, da die Parteispitze ihren Unmut über seine Existenz öffentlich machte und indirekt androhte, dass mögliche Vereinsmitglieder später einmal schlechtere Karrierechancen haben würden.

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Merkelianer:innen sterben aus

Die „Merkelianer:innen”, also die Unions-Politiker:innen, die den Kurs der ehemaligen Bundeskanzlerin damals befürworteten und sie sich heute eher zurückwünschen, sind in der CDU/CSU tendenziell immer weniger präsent. Die sich progressiv gebenden Konservativen traten bei der vergangen Wahl einen Schritt zurück – schon im Sommer 2024 war das absehbar.

Verteidigerin der Migrationspolitik der Regierung unter Merkel, Katja Leikert aus Hessen, kündigte damals schon an, bei den Bundestagswahlen 2025 nicht anzutreten. Ein weiteres Beispiel ist der prominente Merkelianer Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU und Gesundheitsminister unter Merkel. Auch er ließ sich für die Wahlen nicht mehr aufstellen. Die gemäßigten, „liberalen“ Stimmen der CDU werden also immer weniger, die Offensive Richtung rechts größer.

Was heißt das insgesamt?

Was man stets in Erinnerung behalten sollte, ist, dass es sich bei Streitereien und Kontroversen in bürgerlichen Parteien – egal welcher Vorwand genannt wird – ganz selten um „ethische“ oder „moralische“ Differenzen, geschweige denn um Bedenken geht. Entrüstung über Spahns Aussagen bezüglich der AfD beispielsweise haben also wenig mit einer ehrlich antifaschistischen Gesinnung zu tun. –

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Genauso, wie die Frage der Annäherung an Russland eben keine moralische ist, sondern sich nach den wirtschaftlichen Interessen und potentiellen Gewinnen für die Kapitalist:innen richtet. Diese Fragen sind also politisch.

Wie jede andere relevante Parlamentspartei besteht auch die Führung der Union aus Kapitalist:innen oder Personen, die ihre Interessen vertreten. Doch auch innerhalb der Kapitalist:innenklasse gibt es verschiedene Fraktionen, die auf unterschiedliche Wegen die imperialistische BRD aus der Krise ziehen wollen – oder ihren persönlichen Gewinn welcher Art auch immer einheimsen möchten.

Anna Müller
Anna Müller
Autorin bei Perspektive seit 2024. Schülerin aus Oberfranken, interessiert sich für Klassenkämpfe weltweit und die Frauenrevolution. Denn wie Alexandra Kollontai damals schon erkannte: Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus!

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