Die „Große Koalition“ aus CDU/CSU und SPD startet in eine Krisensituation hinein. Ihre Antwort darauf: Der Ausbau des Überwachungsstaats und die Aufrüstung nach innen. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko.
„Wir sorgen für einen handlungsfähigen Staat.“, so steht es in der Einleitung des neuen Koalitionsvertrages zwischen den kommenden Regierungsparteien SPD, CDU und CSU. Der Vertrauensverlust in die staatlich-kapitalistische Ordnung, in die herrschenden politischen Parteien, in kommerzielle Medien und viele andere Säulen der gesellschaftlichen Ordnung ist eine logische Konsequenz der permanente Krise des gegenwärtigen Systems, auf die der Staat keine Antwortet findet.
Die Koalitionär:innen stellen nun ernüchtert fest: „Seit Jahren schwindet das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz öffentlicher Institutionen.“ Und ihre Antwort darauf lautet: Mehr staatliche Überwachung.
Verschärfung der Überwachung in drei Kernbereichen
Der Koalitionsvertrag hat sich direkt von der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ inspirieren lassen und benennt diese auch explizit. Darin geht es um die Weichenstellungen für den Staatsumbau für die nächste Legislaturperiode. Die bei der Veröffentlichung der Initiative vermutete politische Nähe zu CDU/CSU und SPD hat sich dahingehend bewahrheitet.
„Staatsreform“: so wollen die Herrschenden den Apparat flott kriegen
Ein zentraler Aspekt bei der „Staatsmodernisierung“, der nicht fehlen darf, ist die Digitalisierung und der vielbeschworene „Bürokratieabbau“. In den Worten des Koalitionsvertrages heißt das: „Wir wollen Daten zur strategischen Steuerung, Modellierung und Wirkungskontrolle bündeln und besser nutzen.“ Dazu „beseitigen wir bestehende Hindernisse“. Verwaltungsprozesse sollen mit Künstlicher Intelligenz bewältigt werden.
Kritiker:innen vom Chaos Computer Club wittern hier bereits die nächsten Schritte zur kompletten Aushöhlung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Besonders drei zentrale Aspekte der Datensicherheit in den Bereichen der Telekommunikation, Autokennzeichen und Biometriedaten stehen ihnen zufolge im Fokus dieses digitalen Überwachungsangriffes.
So will die Koalitionsregierung eine „verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen“ einführen. Im Rahmen ihrer „begrenzten Zuständigkeit“ bekommt die Bundespolizei „zur Bekämpfung schwerer Straftaten“ die Erlaubnis zum Einsatz der sogenannten „Quellen-TKÜ“ – dem berühmt-berüchtigten Staatstrojaner, ein Überwachungsprogramm für Kommunikation.
Zu Strafverfolgungszwecken soll der „Einsatz von automatisierten Kennzeichenlesesystemen im Aufzeichnungsmodus“ möglich werden. Für bestimmte Zwecke sollen „unsere Sicherheitsbehörden“ automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten auch mittels Künstlicher Intelligenz „vornehmen können“.
Scheinbare Antwort auf falsche Gefahren
Der heuchlerische Bezug auf von Rechten und Fundamentalisten vollzogene Terroranschläge der vergangenen Monate soll demnächst für geheimdienstlichen Datenaustausch genutzt werden. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: „Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotenziale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen. Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein.“ Die Überwachung und Vorverurteilung von „psychisch Auffälligen“ bekommt dabei mit einer Liste zur „Risikobewertung“ einen neuen Rang.
Im weiteren Textverlauf werden der Verfassungsschutz und die Bundespolizei als besondere Profiteure der kommenden Zeit hervorgetan, deren Machtbefugnisse noch weiter ausgeweitet werden sollen. Bei allem Genannten fällt besonders die hohe Gewichtung der Weitergabe von Personendaten zwischen den unterschiedlichen Behörden ins Auge. Diese soll die staatliche Verfolgung von allem, was als wahlweise „kriminell“ oder „widerständig“ geframt wird, erleichtern.
Ganz im Sinne der aktuellen Repressionswellen gegen palästinasolidarische Aktivist:innen und gegen die antifaschistische Bewegung werden diese mit Verweis auf die Bekämpfung des „Extremismus“ und dem Bekenntnis zum „Existenzrecht Israels als deutscher Staatsräson“ zu Feinden erklärt, die man in Zukunft noch strategischer bekämpfen will – nach innen und außen.
Alles in allem: Überwachung als Risikomanagement
Alles in allem erwartet uns eine bunte Mischung aus Verschärfungen von Überwachung und staatlicher Repression. Ganz im Sinne der Entwicklungen in den letzten Jahren können wir sagen: Der Koalitionsvertrag bringt uns immer mehr Repression nach innen und immer heftigere Aggressionen nach außen. Ein verzweifelter Versuch, die Folgen des Kapitalismus, Krieg und Armut, einzuhegen.
Die vielfältigen Krisen des Kapitalismus werden dabei immer extremer: So ist da beispielsweise die extreme Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den imperialistischen Blöcken der NATO und Russlands, aber auch das massenmörderische Kriegstreiben von regionalen Mächten wie der Türkei oder Israels, von der ökologischen globalen Krise ganz zu schweigen. Eine sich anbahnende direkte Konfrontation zwischen den Großmächten heizt die Gemüter in Ost und West an. Dies drückt sowohl der öffentlichen Debatte als auch dem Koalitionsvertrag ihren Stempel auf.
Und auch die direkten wirtschaftlichen Konsequenzen aus der Krise des Kapitalismus (Inflation, Massenentlassungen und Handelskrieg) dienen als Motor des Staatsumbaus von oben, nicht nur in der BRD. International sei hier auf die Machenschaften der Trump-Regierung in den USA verwiesen, welche als eine Art Negativ-Vorbild für die europäischen Staaten verstanden werden können.
Trumps erste Maßnahmen: Weichenstellungen für den Staatsumbau