Die Republik Srpska – eine autonome Region auf dem Balkan, von der wohl die Wenigsten viel gehört haben – zumindest bisher. Ihr Präsident Milorad Dodik begehrt gegen die deutsche Kolonialpolitik im Land auf und setzt dabei auf alte Spaltungslinien. – Ein Kommentar von Alex Lehmann.
Seit einigen Wochen landet er immer wieder in den Schlagzeilen und sorgt auf dem Balkan, aber auch in Westeuropa für Aufruhr: Milorad Dodik, Gründer und langjähriger Vorsitzender der Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) und Präsident der autonomen Republik Srpska.
Ende Februar war Dodik vom bosnischen Strafgerichtshof zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Weiterhin soll er von seinem Posten als Präsident zurücktreten und darf für sechs Jahre kein politisches Amt ausüben. Zumindest in der Theorie. Denn Dodik ist bis heute Präsident und auf freiem Fuß, fliegt nach Moskau und Israel, besucht Konferenzen und tritt offen auf.
Zuletzt sollen Anhänger Dodiks die deutsche EU-Staatsministerin Anna Lührmann bei einem Besuch in der Republik Srpska bedroht haben. Lührmann wurde zur „Persona non grata” erklärt, eine erneute Einreise in die Republik darf sie nicht mehr antreten. Dies ist eine Maßnahme, zu der Dodik auf dem Papier keine Befugnisse besitzt, da die Republik Srpska ein halbautonomer Teil Bosnien-Herzegowinas und kein eigener Staat ist.
Das Einreiseverbot für Lührmann wird als Reaktion auf die Verurteilung Dodiks und die Einreiseverbote gesehen, die wenige Tage zuvor von Deutschland und Österreich gegen ihn selbst erlassen wurden. Vorgeworfen wird Dodik, mit verschiedenen Gesetzen und Amtshandlungen gegen die Verfassung des Landes verstoßen zu haben.
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Wer ist Milorad Dodik?
Milorad Dodik war schon in den letzten Jahren des zerbröckelnden jugoslawischen Systems aktiv, kämpfte im Jugoslawienkrieg und ist seit 1996 Vorsitzender der SNSD. In seiner politischen Karriere bekleidete er bereits verschiedene hochrangige Positionen in der Republik: Mal war er Premierminister Srpskas, mal Mitglied im Staatspräsidium und seit 2022, in seiner zweiten Amtszeit, Präsident.
Zu seinen Verbündeten kann er neben Putin auch den serbischen Präsident Aleksander Vučić und Viktor Orbán, den Premierminister Ungarns, zählen. Auch in Israel scheint Dodik ein gern gesehener Gast zu sein. Erst Ende März, kurz nach seiner Verurteilung, nahm er auf Einladung der israelischen Regierung an der sogenannten „Antisemitismus-Konferenz“ teil.
Dodik ist serbischer Nationalist – durch und durch. Unter anderem steht er in der Kritik für seine Verharmlosung und Leugnung des Massakers von Srebenica, das international als Völkermord anerkannt wird. 1995 ermordete die Armee der Republik Srpska – als Teil größerer „ethnischer Säuberungen“ während des Bosnienkriegs – 8.000 muslimische Bosniaken und verscharrte sie in Massengräbern.
Damit verhöhnt Dudik nicht nur die Opfer des Massakers und deren Angehörige, sondern könnte auch zu bis zu fünf Jahren Haft verurteilt werden. Denn 2021 führte Valentin Inzko, der damalige Hohe Repräsentant der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, ein entsprechendes Gesetz ein – eines der Gesetze, die Dodik für die Srpska nicht gelten lassen will.
Für ihn sind Srpska, der Kosovo und wahrscheinlich noch weitere Teile des Balkans Landesteilen, die rechtmäßig dem serbischen Volk zustehen würden. Und seit Jahrzehnten versucht er mit seiner separatistischen Politik genau das zu erreichen: Srpska soll sich von der Föderation Bosnien-Herzegowinas trennen und Teil Serbiens werden.
Die NGO Transparency International kritisiert Dodik zudem dafür, dass er die Republik wie ein „Familien-Business“ führe. Seine Familie und engsten Freunde besäßen Monopole in allen Wirtschaftsbereichen, für die es öffentliche Aufträge gebe. Und auch wenn Dodik jetzt verurteilt wurde, scheint seine Machtstellung kaum ins Wanken geraten zu sein.
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Wie Bosnien-Herzegowina zur Kolonie wurde
Anfang der 90er Jahre verfolgten die NATO-Mächte das Ziel, nach dem Ende der Sowjetunion Jugoslawien zu zerstückeln, um die Entstehung einer starken, an Russland angelehnten Macht in Südosteuropa zu verhindern. Es entstanden viele kleine Einzelstaaten, darunter das heute rund drei Millionen Einwohner:innen zählende Bosnien-Herzegowina.
Nach dem dreijährigen Bosnienkrieg (1992-1995) wurden dann mit dem „Dayton-Vertrag“ beide Entitäten „Föderation Bosnien und Herzegowina“ und „Republika Srpska“ als zwei Bestandteile von „Bosnien und Herzegowina” festgeschrieben. Bis heute hat der Staat eines der kompliziertesten Regierungssysteme der Welt, in dem auf allen Ebenen Bosniak:innen, Serb:innen und Kroat:innen als Vertreter:innen entsendet werden. So ist beispielsweise auch die Regierung mit einer Person jeder dieser Volksgruppen besetzt.
Keine Berücksichtigung finden derweil Minderheiten wie Jüd:innen, Roma und andere – was bereits mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert wurde. Das höchste Amt der schwachen Zentralregierung wird außerdem von einem deutschen CSU-Politiker, dem „Hohen Repräsentanten“ Christian Schmidt, bekleidet.
Der agiert de facto als Kolonialherr des Landes, hat Kontrolle über alle relevanten Entscheidungen im Land und wurde von niemanden im Land gewählt. 2022 verabschiedete er ein neues Wahlgesetz, das die Spannungen im Land noch weiter verstärkte und vor allem den Einfluss ethnischer Minderheiten verringerte.
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Die Geister die ich rief…
Letztendlich geht es bei dem aktuell wieder stärker aufflammenden Konflikt um den imperialistischen Einflusskampf, der weltweit wieder offener geführt wird: Auf der einen Seite die EU, allen voran Deutschland, die „ihr Gebiet“ auf dem Balkan ausweiten wollen, auf der anderen der russische Imperialismus und das mit ihm verbündete Serbien.
Dabei wird wie so oft auf rassistische und religiöse Spaltung der Arbeiter:innenklasse gesetzt, um diese für die eigenen Interessen zu mobilisieren. Eine Spaltung, die gerade auf dem Balkan tief verwurzelt ist und in den 90er Jahren Kriege, Massaker, einen Völkermord und unzählige andere Verbrechen über die Arbeiter:innen der Region hereinbrechen ließ.
Es ist eine Spaltung, die durch die Zerstückelung Jugoslawiens und die deutsche Kolonialherrschaft zusammen mit der rassistischen Demagogie Dodiks in den letzten Jahren wieder an Schwung aufgenommen hat und weiter zu eskalieren droht.