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Polizeimord an Lorenz A.: 10.000 bei Protest in Oldenburg

In der Nacht von Ostersamstag auf Ostersonntag wurde in Oldenburg der 21-jährige Lorenz A. von einem Polizisten ermordet. Aus Protest gegen das rassistische System und eine lückenlose Aufklärung der Tat waren am Freitag Tausende in Oldenburg auf der Straße. Perspektive Online war auch vor Ort.

„Lorenz: das war Mord!“ schallt es am Freitagnachmittag durch die Oldenburger Innenstadt. Etwa 10.000 Menschen waren dem Aufruf der Gedenkinitiative Gerechtigkeit für Lorenz in die niedersächsische Stadt gefolgt. Um 18 Uhr war der Pferdemarkt, auf dem der Protest begann, mehr als voll.

Die Menschen stehen dicht an dicht und warten auf den Beginn der Kundgebung. Einige von ihnen tragen T-Shirts mit dem Gesicht den 21-jährigen Lorenz, der in der Nacht von Samstag auf Sonntag am vergangenen Osterwochenende ermordet wurde. Viele haben Schilder dabei mit Sprüchen wie „Gerechtigkeit für Lorenz!“, „Wir wollen leben!“, oder „Wenn der Staat mordet – wer klagt ihn dann an?“. Der Oberbürgermeister Oldenburgs und die Innensenatorin Niedersachsens waren an diesem Tag nicht zu sehen.

Lorenz wurde erschossen – von einem Polizisten. Fünf Kugeln wurden auf ihn abgefeuert. Eine streifte seinen Oberschenkel, eine traf in der Hüfte, eine im Rücken und die letzte im Hinterkopf – denn Lorenz wurde von hinten erschossen: „Von hinten in den Kopf geschossen, von der Polizei – Wie kann das sein?“, fragen sich viele zu Recht, und auch in Oldenburg geht es seit Lorenz‘ Tod kaum um etwas anderes als um die Frage danach, warum Lorenz sterben musste.

„Musste er nicht“, sagt dazu ein guter Freund des Verstorbenen, der auf der Kundgebung eine emotionale Rede hielt. Lorenz hätte nicht sterben müssen. Er wurde ermordet, ermordet, weil er schwarz war. So zumindest der Vorwurf, der im Raum steht.

Polizeimord in Oldenburg: „Wer vier Schüsse von hinten abgibt, will nicht stoppen – sondern töten“

Was geschah in Oldenburg?

In den frühen Morgenstunden des 20. April will Lorenz in einen Club. Die engen Gassen und Plätze der Oldenburger Innenstadt sind gut besucht, viele sind in Feierstimmung. Lorenz aber kommt nicht in den Club. Kurze Zeit später versprüht er dort Reizgas und rennt weg, das Sicherheitspersonal verfolgt ihn, er wird von einer Streife entdeckt.

Auch vor der Polizei versucht er zu fliehen. Daraufhin schießt ein Polizist fünfmal auf ihn – von hinten, während er wegrennen wollte. Kurze Zeit später wird die Falschmeldung verbreitet, er hätte die Polizei mit einem Messer angegriffen. Eine Videoaufnahme eines nahe gelegenen Ladens zeigt hingegen, dass es nicht so war. Aufnahmen von den Bodycams der Polizisten vor Ort gibt es nicht. Sie waren ausgeschaltet.

Seitdem haben Lorenz bereits hunderte Menschen gedacht. An dem Ort, an dem er erschossen wurde, wird ein provisorischer Gedenkort eingerichtet. Er hatte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, er spielte Basketball, und viele kannten ihn als einen hilfsbereiten und lebensfrohen jungen Mann. Umso größer ist die Bestürzung über seinen Tod.

Lorenz ist kein Einzelfall

Neben Freund:innen und Angehörigen reden auf der Kundgebung auch Vertreter:innen migrantischer Organisationen und Verwandte von anderen Opfern rassistischer Polizeigewalt – zum Beispiel der Bruder des 2005 von der Dessauer Polizei ermordeten und verbrannten Oury Jalloh.

20 Jahre Mord an Oury Jalloh

Er sagt, er kenne den Schmerz, den die Familie und die Freund:innen von Lorenz jetzt durchmachen müssen. Er trauere, wie tausende andere, mit ihnen. Doch es müsse auch darum gehen, klar zu sagen, dass Lorenz Opfer eines rassistischen Systems sei, das auch seinen Bruder auf dem Gewissen hat.

Oury Jalloh, Achidi John, Halim Dener, Christy Schwundeck, Mohammed Lamine Dramé – die Liste der Opfer rassistischer Polizeigewalt ist lang. Immer wieder sind auf der Demonstration Sprechchöre wie „So, so, so viele Einzelfälle“ oder „Gerechtigkeit für Lorenz – Gerechtigkeit für alle“ zu hören.

Von Trauer, zu Wut, zu Widerstand!

Besonders auffällig ist, wie wenig uniformierte Polizei vor Ort ist. Ein Wagen an der Spitze der Demonstration, daneben ein „Kommunikationsteam“, ab und zu mal eine Streife in einer Seitenstraße, immer mit viel Entfernung zur Demonstration. Im Vorfeld wurde anscheinend befürchtet, dass eine große Polizeipräsenz zu noch mehr Gewalt führen würde – zu Recht.

Denn die Menschen sind wütend: „Deutsche Polizisten: Mörder und Faschisten!“, „Die ganze Welt hasst die Polizei!“, und „Bullen, Schweine, Lügner, Mörder!“ sind nur ein paar von den Parolen, die sich an diesem Tag gegen die Polizei richten. Zu Zwischenfällen mit der Polizei kommt es aber nicht.

Am Anfang der Demonstration wird der faschistische Streamer „Weichreite“ aus dem Viertel gejagt. Weichreite filmt sich gerne selbst gerne dabei, wie er versucht, Linke rhetorisch auszutricksen und dabei versagt. Doch in Oldenburg kommt es gar nicht erst so weit. Entschlossene Teilnehmer:innen der Demo erkennen ihn und bewegen ihn zum Gehen.

Auf seine Hilferufe reagiert die Polizei erst einige Minuten später mit einer Einheit der Bereitschaftspolizei, obwohl die ganze Zeit Beamte vor Ort waren. Zu angespannt war die Lage. Gegen Ende des Tages explodieren Böller rund um die Demonstration. Viele Menschen schreien und rennen weg. Ob die Böller aus der Demonstration selbst oder von außen geworfen wurden, lässt sich nicht sagen.

Die Lage in Oldenburg wird weiter angespannt bleiben – denn die Aufklärung der Tat steht noch aus. Trotzdem setzte der Protest ein Zeichen: Nicht alle nehmen den rassistischen Normalzustand einfach so hin: Junge und alte Menschen, Menschen aus Oldenburg, Hamburg, Bremen und den umliegenden Städten – alle demonstrierten Seite an Seite für Aufklärung und Gerechtigkeit.

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