Lorenz war schwarz. Lorenz wurde nur 21 Jahre alt. Er wurde ermordet – von der Polizei. Warum wurde er erschossen? Warum sterben immer wieder Menschen durch Polizeigewalt? – Ein Kommentar von Alex Lehmann.
Am Osterwochenende, in der Nacht von Samstag auf Sonntag, wurde der 21-jährige Lorenz von der Oldenburger Polizei erschossen. Neben der Trauer der Angehörigen und Freund:innen von Lorenz und der Anteilnahme vieler anderer Menschen aus Oldenburg und ganz Deutschland ist vor allem eine Frage bestimmend: Warum wurde Lorenz erschossen?
Kurz nach den tödlichen Schüssen schien der Tathergang bereits geklärt: Lorenz wollte den Abend in einem Club verbringen und ist nicht reingekommen. Daraufhin soll er Menschen vor dem Club mit Reizgas angegriffen haben. Die hätten ihn dann verfolgt, er ein Messer gezogen, woraufhin die Polizei gerufen wurde.
Polizei und Medien verbreiten Lügen
Die Bild-Zeitung schreibt von einem „Messerangreifer“. Mittlerweile ist der Artikel gelöscht und durch einen anderen ersetzt worden, in dem Freund:innen und Angehörige von Lorenz zu Wort kommen. Auch der NDR und andere Medien verbreiteten die Meldung, Lorenz wäre mit dem Messer auf die Polizei losgegangen.
Ein Beamter eröffnete dann das Feuer auf Lorenz und tötet ihn – angeblich aus Notwehr. Am Anfang dieser Woche dann die ersten Zweifel und Ungereimtheiten: Augenzeug:innen sagen aus, dass Lorenz vor dem Club von mehreren Personen angegangen wurde und sich daraufhin mit dem Reizgas verteidigte und die Flucht ergriff. Ein Messer hat niemand von ihnen gesehen.
Auch die Polizei wird später bestätigen: Lorenz hatte kein Messer in der Hand, als sie ihn erschossen. Das bestätigen auch Videoaufnahmen der Situation. Auf ihnen ist außerdem zu sehen, wie Lorenz sich umdreht und versucht wegzulaufen, als er erschossen wird.
Weitere Fragen kommen auf: Warum hat die Polizei geschossen, obwohl Lorenz nicht auf sie zu, sondern von ihnen weg gerannt ist? Warum waren die Bodycams aller Polizist:innen ausgeschaltet? Auch zur Frage, wie viele Kugeln abgefeuert wurden, schweigt die Polizei zunächst. Warum?
Fünf Kugeln wurden auf ihn geschossen. Eine Kugel streifte seinen Oberschenkel. Drei weitere trafen ihn von hinten: an der Hüfte, im Rücken und im Hinterkopf. „Wer vier Schüsse von hinten abgibt, will nicht stoppen – sondern töten“, steht auf einem Plakat der Initiative Gerechtigkeit für Lorenz.
Wieder ein rassistischer Polizeimord?
Lorenz war schwarz, was eine weitere wichtige Frage aufwirft: Wie wäre der Abend wohl verlaufen, wenn Lorenz weiß gewesen wäre? Wäre er in den Club reingekommen? Hätte man ihn nach der Abweisung an der Tür angegangen? Hätte die Polizei geschossen? Schließlich wäre Lorenz nicht der erste schwarze Jugendliche, der von der deutschen Polizei aus rassistischen Motiven ermordet worden wäre.
Andere meinen, man dürfte jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen. Der Oberbürgermeister von Oldenburg, Jürgen Krogmann (SPD), ruft zu „Besonnenheit“ auf. Die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag warnt: „Pauschale Vorwürfe von institutionellem Rassismus und Polizeigewalt in einem noch völlig offenen Ermittlungsverfahren sind nicht nur unseriös, sondern gefährlich. Sie spalten unsere Gesellschaft, statt Vertrauen zu schaffen“.
„Gerechtigkeit für den Cop, der seinen Job gemacht hat und nun um seine Zukunft bangen muss!! Habt Respekt, dann passiert sowas nicht.“, schreibt jemand auf Instagram. „Doof gelaufen“, meint ein anderer oder auch: „Die wissen schon, warum sie geschossen haben. Gott sein Dank machen noch ein paar Polizisten ihren Job!!!“
Dutzende solcher Kommentare gibt es, in denen man sich gegenseitig beweist, wie tief man sich den Stiefel der Bullen in den Hals stecken kann. Als wären Politiker:innen, die nach dem Tod eines Jugendlichen dessen Angehörigen zu „Besonnenheit“ aufrufen und rassistische CDUler, die von der Spaltung der Gesellschaft durch Rassismusvorwürfe schwafeln, nicht schon widerlich genug.
Manche fragen auch, warum er vor der Polizei weggelaufen ist, wenn er nichts falsch gemacht hat. Warum ist er wohl weggelaufen vor der Polizei, die schwarze Menschen totschlägt und verbrennt? Warum ist er weggelaufen vor der Polizei, die vor weniger als drei Jahren einen 16-Jährigen mit sechs Schüssen aus einer Maschinenpistole hingerichtet hat?
Polizeimord an Mouhamed Lamine Dramé: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage
Mörder ermitteln gegen Mörder
Aber es gibt auch viele, welche die Tat als das benennen, was sie ist: ein Polizeimord. Lorenz wurde von der Polizei ermordet. Von hinten in den Kopf geschossen. Und ja, Lorenz wurde ermordet, weil er schwarz war. Um das anzuerkennen, braucht man keine Ermittlungen, keine neuen Informationen oder ähnliches abzuwarten.
Zumal man sich doch auch die Frage stellen muss, wie diese Ermittlungen aussehen: Es sind Polizist:innen, die jetzt gegen ihre Kolleg:innen ermitteln. Polizist:innen, die berüchtigt dafür sind, einander zu decken, Falschaussagen zu machen, Beweise zu vernichten, alles möglich zu tun, um eine wirkliche Aufklärung zu verhindern.
Ermittelt wird im Fall von Lorenz von der Polizei aus dem benachbarten Delmenhorst. 2021 starb dort der 19-jährige Qosay Sadam Khalaf, nachdem die Delmenhorster Polizei ihn beim Kiffen erwischte und in Gewahrsam nahm. Bevor Khalaf in die Zelle kam, in der er später kollabierte, wurde er vom Rettungsdienst untersucht, der keinen Anlass für eine weitere Versorgung gegeben sah. Der Fall ist bis heute ungeklärt – eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Deutsche Polizisten: Mörder und Faschisten!
Nicht umsonst hört man auf vielen antirassistischen und antifaschistischen Demonstrationen die Parole „Deutsche Polizisten: Mörder und Faschisten!“ Das ist nicht nur ein Spruch, sondern bittere Realität in diesem Land. Denn Lorenz ist kein Einzelfall und die Liste an Skandalen, die das bestätigen, ist zu lang um sie hier vollständig darzulegen.
Allein die Namen all derer, die aus rassistischen oder anderen menschenverachtenden Motiven von der Polizei ermordet wurde, passen kaum in einen Artikel: 1994 Halim Dener, 1999 Aamir Ageeb, 2001 Achidi John, 2004 Laya-Alama Condé, 2005 Oury Jalloh, 2011 Christy Schwundeck, 2018 Amad Ahmand, 2019 William Tonou-Mbobda, und 2022 Mouhammed Lamine Dramé, um nur einige Opfer der Polizei zu nennen.
Dazu kommen die endlosen „kleinen“ Skandale. Das gesamte Frankfurter SEK wird wegen faschistischer Umtriebe aufgelöst: Drohschreiben, unterzeichnet vom „NSU 2.0“ die Informationen enthalten, die nur über Polizeisysteme zugänglich waren, ein Beamter der „versehentlich“ „Heil Hitler“ funkt oder 1,8 Tonnen Munition, die bei der sächsischen Polizei einfach so verschwinden.
Dass die Polizei und auch andere Organe des Staates durchsetzt sind von Rechten und Faschist:innen, ist nicht einfach so daher gesagt, sondern eine Tatsache. Und wen wundert es schon, dass Faschist:innen sich von Macht, Gewalt und Waffen angezogen fühlen? Dass sie gerne ohne Konsequenzen koksen, prügeln und morden?
Hunderte Neonazis und Verschwörungstheoretiker:innen in der Polizei
Polizeimorde und Polizeigewalt nehmen zu
Der Polizeimord an Lorenz reiht sich zudem in einen schrecklichen Trend ein: 2025 wurden schon jetzt so viele Menschen von der Polizei getötet, wie es sonst über das ganze Jahr üblich ist. 2024 wurden so viele Menschen durch Polizeischüsse ermordet, wie seit 25 Jahren nicht mehr.
Generell ist ein Anstieg an Polizeigewalt zu beobachten. Besonders hart trifft es aktuell antifaschistische und palästina-solidarische Proteste. Das haben wir in den letzten zwei Jahren bei den Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Gedenkdemonstrationen, bei Universitätsbesetzungen im ganzen Land und zuletzt am 8. März in Berlin gesehen.
Einher geht das Ganze mit härteren Polizeigesetzen, Diskussionen über noch umfassendere Überwachungsmethoden wie die Vorratsdatenspeicherung, die faktischen Abschaffung des Asylrechts, das Wiedererstarken gewaltbereiter faschistischer Jugendbanden, der Aufstieg der AfD und der allgemeine Rechtsruck in der Gesellschaft.
Rassismus, Gewalt und Polizeimorde: Systemfehler oder „business as usual“?
Woher aber kommt die Gewalt? Warum gibt es so viele Rassist:innen in der Polizei? Warum gibt es mehr Polizeigewalt und Polizeimorde? Strukturelle Fehler in den Behörden, sagen manche. Institutioneller Rassismus, die anderen. Es scheint so, als würde das System in puncto Gleichberechtigung versagen, als ginge es um einen „Fehler im System“.
Und klar, oft geht es konkret um den Rassismus in der Polizei, in der Justiz, auf dem Arbeitsamt, bei der Wohnungssuche oder sonst wo. Aber der „Fehler“ liegt nicht in diesen einzelnen Institutionen, sondern im System. Es ist nicht nur die Polizei, es ist der ganze Staatsapparat, es ist das kapitalistische System, das rassistisch ist, das jeden Tag mordet.
Sagen wir doch wie es ist: Der Staat und seine Organe schützen niemanden außer sich selbst. Es geht ihnen nicht um Gerechtigkeit, Aufklärung oder unsere Sicherheit. Es geht um ihren Reichtum, ihre Macht und ihre Sicherheit. Die Polizei ist nicht da, um uns zu schützen, sondern am Boden zu halten.
Gerechtigkeit für Lorenz und alle anderen, die Opfer von Polizeimorden geworden sind, kann es erst geben, wenn die Ursache für ihren Tod klar benannt und bekämpft wird. Wenn Rassismus und Unterdrückung Geschichte sind. Deshalb ist es richtig, weiter auf die Straße zu gehen und sich nicht an die Gewalt zu gewöhnen. Gegen jeden rassistischen Kommentar, jede anlasslose Polizeikontrolle, jeden faschistischen Angriff, jeden Polizeimord laut aufzuschreien und Gerechtigkeit zu fordern.
Für heute, den 25. April, sind in verschiedenen Städten Proteste angekündigt worden:
Düsseldorf // Oberbilker Markt // 17:00 Uhr
Oldenburg // Pferdemarkt // 18:00 Uhr
Stuttgart // Schlossplatz // 18:00 Uhr
Berlin // Oranienplatz // 18:00 Uhr
Hannover // Ernst-August-Platz // 18:00 Uhr
Frankfurt // Hauptwache // 18:00 Uhr
Auch am 26.4. soll protestiert werden:
Bochum // Hauptbahnhof // 18:00 Uhr
Braunschweig // Altstadtmarkt // 16:30 Uhr