In einer bemerkenswerten Entwicklung des syrischen Konflikts haben sich die kurdisch angeführten SDF und syrische Regierungstruppen auf eine gemeinsame Sicherheitsverantwortung für den strategisch wichtigen Tishreen-Damm verständigt. – Ein entscheidender Moment für die komplexe Machtbalance im Norden Syriens.
Der Tishreen-Damm, dessen Bedeutung für die Energie- und Wasserversorgung Nord- und Zentralsyriens kaum überschätzt werden kann, war in den vergangenen Monaten zum Brennpunkt mehrerer Konfliktebenen geworden. Nun soll die Kontrolle über den enorm wichtigen Staudamm zwischen kurdischen Kräften und syrischen Regierungstruppen geteilt werden. Wie mehrere Quellen übereinstimmend berichten, markiert diese Einigung den bisher weitreichendsten Schritt zur Umsetzung des im Februar 2025 vereinbarten Integrationsprozesses der kurdischen Kräfte in staatliche Sicherheitsstrukturen.
Nach Angaben von Medya News haben sich syrische Regierungseinheiten mit SDF-Kräften zur gemeinsamen Kontrolle des Damm zusammengeschlossen. Die staatliche Nachrichtenagentur SANA bestätigte, dass beide Seiten die Sicherheitsverantwortung teilen werden. Die zivile Verwaltung des Damms bleibt laut Vereinbarung unter kurdischer Kontrolle.
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Abzug aller „nicht regulären Truppen“?
Der Staudamm ist in mehrerer Hinsicht wichtig. Er versorgt zehntausende Menschen im Osten des syrischen Staatsgebiets mit Trinkwasser und Strom. Dazu gehören auch große Teile der kurdischen DAANES-Selbstverwaltung, besser bekannt als Rojava.
Doch mit der Wichtigkeit für die Bevölkerung kommt auch eine besondere strategische Signifikanz: Wer den Damm kontrolliert, kontrolliert die Wasser- und Stromversorgung für große kurdische Gebiete. Auch die Lage rund 90 Kilometer von Aleppo macht den Staudamm zu einer wichtigen militärischen Position.
In diesem Kontext ist es wenig verwunderlich, dass die von der Türkei gestützte Syrische Nationalarmee (SNA) den Damm seit Ende letzten Jahres ins Visier nehmen und immer wieder angreifen. Besondere Aufmerksamkeit erregt daher die Klausel des Abkommens, die den Abzug aller „nicht regulären bewaffneten Gruppen“ vom Damm vorsieht. Dies zielt eben insbesondere auf die SNA, dessen Einheiten trotz formeller Integration in die syrischen Streitkräfte weiterhin mit türkischer Logistik operieren.
Auch hatten vermehrt türkische Drohnenangriffe den Damm getroffen und dabei immer wieder Protestierende, Journalist:innen und andere Zivilist:innen getötet. Wie die türkische Regierung mit dem Abkommen umgehen wird bleibt abzuwarten. Erdogan verbündet sich klar mit der neuen syrischen Regierung, daher sind erneute Angriffe vorerst unwahrscheinlich. Auch der Friedensprozess mit den kurdischen Revolutionär:innen dürfte einen erheblichen Einfluss auf den türkischen Umgang mit Rojava haben.
Mit der vollständigen Implementierung der Sicherheitsvereinbarung beginnt nun die eigentliche Bewährungsprobe für das syrische Integrationsmodell. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich die ungewöhnliche militärische Kooperation zwischen ehemaligen Gegnern stabilisieren kann und ob das Modell tatsächlich auf andere umkämpfte Regionen wie Raqqa oder Deir ez-Zor übertragbar ist. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die fragile Balance zwischen militärischer Integration und der Wahrung kurdischer Autonomieansprüche aufrechtzuerhalten.
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