Vor 50 Jahren endete der Vietnam-Krieg. Bis heute bleibt es eindrucksvoll zu sehen, wie das Volk eines kleinen, armen Landes eine Weltmacht besiegte und die weltweiten Proteste gegen den Krieg der USA zur Politisierung einer ganzen Generation führen konnten. – Ein Kommentar von Andreas Becker.
Vietnam wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts wie andere südostasiatische Gebiete von Frankreich erobert und kolonisiert. Die französischen Kolonialherren errichteten eine Plantagenwirtschaft, die dem vietnamesischen Volk Hunger, Ausbeutung und Unterdrückung bescherte. Aufbrandende Aufstände gegen die Ausbeutung wurden niedergeschlagen. Bis heute dokumentieren Fotos, auf denen französische Kolonisten lachend mit den abgetrennten Köpfen vietnamesischer Freiheitskämpfer posieren, ihre Brutalität.
Die Lebensgeschichte des späteren vietnamesischen Revolutionsführers Hồ Chà Minh steht stellvertretend für die vieler vietnamesischer Freiheitskämpfer jener Zeit. Hồ hatte Vietnam verlassen und versucht, moralisch an die Imperialisten zu appellieren. Auf der Versailler Konferenz zur Neuaufteilung der Welt nach dem Ersten Weltkrieg forderte er, die von den USA proklamierten Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung auch für die kolonialisierten Völker zu gewähren. Dass seine Aufrufe ignoriert wurden, führte ihn zum Kommunismus.
Besonders die Theorien von Lenin leuchteten ihm ein, da sie den Imperialismus nicht als falsche oder unmoralische politische Entscheidung erklärten, sondern als notwendige Folge des Kapitalismus. Mit dieser Einsicht begann eine Entwicklung, die in der Gründung der Kommunistischen Partei Vietnams mündete, die später die Unabhängigkeit erkämpfte.
Der Beginn des Unabhängigkeitskampfes
Während des Zweiten Weltkriegs besetzte Japan Vietnam. In diesem Moment rief die Kommunistische Partei erst den bewaffneten Kampf aus und gründete die Viet Minh (Liga für die Unabhängigkeit Vietnams), die alle ernsthaft für die Unabhängigkeit kämpfenden Kräfte vereinte. Nach dem gewonnenen Krieg rief sie die „Demokratische Republik Vietnam“ aus. Auch Frankreich, das seine Kolonie zurückerobern wollte, konnte von den Viet Minh besiegt werden.
Die USA teilten daraufhin das Land in den sozialistischen Norden und ein von ihnen kontrolliertes Regime im Süden. Als klar war, dass die USA eine in Aussicht gestellte Abstimmung zur Wiedervereinigung nicht durchführen würden, begannen Kommunist:innen in Süd-Vietnam einen Guerillakrieg. Die USA antworteten mit einer Invasion des Südens und führten den Krieg als Terror gegen die Bevölkerung. Sie warfen mehr Bomben auf Vietnam als alle Staaten im Zweiten Weltkrieg zusammen genommen eingesetzt hatten, verbrannten mit Napalm Menschen bei lebendigen Leib, vergifteten Vietnam mit dem chemischen Kampfmittel „Agent Orange“ und wendeten mit dem „Phoenix-Programm“ brutale Foltermethoden gegen Zivilist:innen an.
Trotzdem gelang es den unbeugsamen Viet Minh, später bekannt als Viet Cong, die riesige amerikanische Übermacht so unter Druck zu setzen, dass sie sich nach Friedensverhandlungen aus dem Land zurückzog und der Norden den Süden Vietnams einnehmen konnte.
Der Protest gegen den Krieg
Die Bild- und Filmaufnahmen der völkermörderischen amerikanischen Kriegsführung wurden über die zur gleichen Zeit populär werdenden Fernseher überall auf der Welt ausgestrahlt. Dies führte zu einer riesigen Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Diese war in ihrer Form und in der Art und Weise ihres Protests sehr unterschiedlich, von religiös bis sozialistisch, von friedlich bis militant. Besonders konsequent war der sozialistische Teil der Bewegung, da dieser verstanden hatte, dass der Sieg der vietnamesischen Revolution die Kampfbedingungen für alle Menschen auf der Welt, die für ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen, verbessern würde. Daher kämpften Sozialist:innen nicht bloß für ein Ende des Krieges, sondern für den Sieg der Viet Cong.
Vor allem in den USA selbst nahmen die Proteste vorher nicht gekannte Ausmaße an: So stellte sich die schwarze Bürgerrechtsbewegung gegen den Krieg, da sie mit eigenen Augen sah, dass der amerikanische Staat nicht nur Schwarze in den USA unterdrückt, sondern sie gleichzeitig als Kanonenfutter nutzen wollte, um Menschen auf der ganzen Welt zu unterdrücken. Ein wichtiger Teil der Bewegung waren außerdem die Vietnam Veterans Against the War, welche Kriegsveteranen mobilisierte und organisierte, die sich gegen den Krieg stellten. Auf Demonstrationen verbrannten sie zum Beispiel die Orden, mit denen sie militärisch ausgezeichnet wurden.
Auch Studierende spielten eine große Rolle: Sie organisierten Demonstrationen, Boykotte oder blockierten ihre Universitäten. Sie bildeten sich aber auch weiter, und viele fanden wie Hồ Chà Minh vor ihnen den Weg zum Sozialismus. Der Staat antwortete mit brutaler Gewalt, beim „Kent State Massaker“ ermordete die amerikanische Nationalgarde vier Studierende. Auch in Deutschland gab es wie überall auf der Welt ähnliche Proteste.
Vietnam inspirierte Unterdrückte auf der ganzen Welt
Schon der erste Sieg der vietnamesischen Kommunist:innen über Frankreich wurde zu einem Anziehungspunkt für Antiimperialist:innen auf der ganzen Welt, besonders in anderen besetzen Ländern wurde deren Sieg über eine europäische Kolonialmacht zu einem Vorbild. Dies verstärkte sich noch während des Kriegs gegen die USA. Besonders in abhängigen und kolonial unterdrückten Ländern war es sehr mutmachend, dass das Volk eines kleinen armen Landes der Weltmacht Nummer Eins standhalten konnte.
Che Guevara brachte die Haltung der Sozialist:innen in einer Rede in Havanna auf den Punkt: Dort rief er mit seinem berühmten Ausspruch „Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam“ dazu auf, selber den Kampf gegen den Imperialismus aufzunehmen und so die reaktionären Kräfte auf der Welt mehrfach herauszufordern und zu überlasten. Jede sozialistische Revolution, so die Logik, verbessert die Bedingungen für die nächste. Eine ganze Generation von Sozialist:innen versuchte, dies in die Tat umzusetzen.
Die Bilder davon, wie vor 50 Jahren die vietnamesischen Kommunist:innen siegten und die Amerikaner und ihre Lakaien panisch aus dem Land flohen, sind heute noch genau so eindrücklich wie damals.
Heute kann es dank High-Tech-Waffen wie Drohnen und KI-gesteuertem Kampfgerät so wirken, als sei es unmöglich, einen Krieg gegen einen imperialistischen Staat zu gewinnen. Doch die USA, die damals in Vietnam kämpften, waren auch extrem hochgerüstet und – anders als heute – sogar zu jeder Zeit „weltkriegsbereit“.
Besonders die jahrzehntelange Standhaftigkeit und das Siegesbewusstsein sind also etwas, das wir heute noch aus dem Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes lernen können.
Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 97 vom April 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.