Im Tesla Werk Grünheide ist die Zahl an krankgeschriebenen Arbeiter:innen besonders hoch. Der Geschäftsführer und der Personalchef suchten in den vergangenen Monaten Kranke zu Hause auf, drohten mit Kündigungen und behielten zuletzt Lohn ein.
Der durchschnittliche Krankenstand der Arbeiter:innen 2023 von 6,1 % oder auch der speziell im Fahrzeugbau von 5,2 % sind wohl kaum repräsentativ für das Tesla-Werk in Grünheide. Mit einem Höchstkrankenstand von 17 % im August vergangenen Jahres liegt das Werk fast bei einem dreifachen des Durchschnitts. Im September sank er, blieb jedoch bei ganzen 11 %.
Aufgrund dieser drastischen Zahl sahen sich Geschäftsführer André Thierig und Personalchef Erik Demmler zu heftigen Maßnahmen verpflichtet. Im Juli 2024 winkten die Chefs noch mit einer Prämie von 1.000 Euro für diejenigen, die unter fünf Prozent der Arbeitszeit fehlten. Das Belohnen für Anwesenheit fiel ihnen nach eigener Aussage schwer, am Ende fanden sie es jedoch ein „super Programm“.
Salzsäure und Amputationen bei Tesla-Grünheide: fast täglich ein schwerer Arbeitsunfall
Geschäftsführer drängen in Privatsphäre
Nachdem dieses dann weniger erfolgreich als erwartet lief, folgten offensivere Maßnahmen. Im September suchten Thierig und Demmler 30 krankgeschriebene Arbeiter:innen in ihren privaten Wohnungen auf. Teils weil sie „die entsprechenden Auffälligkeiten“ aufwiesen: zum Beispiel, weil sie einen langen Krankenstand hatten, aber nach Aussage der beiden Unternehmensführer auch viele Erstbescheide.
Schockiert war die Werksleitung von den Reaktionen einiger Angestellten, welche die Tür teils nicht öffneten oder mit der „110” drohten. Andere wiederum seien sehr gastfreundlich gewesen. Dieses Vorgehen der Chef:innen ist zwar grundsätzlich nicht verboten, hinterlässt aber trotzdem ein mulmiges Gefühl. Zudem setzen derartige Hausbesuche voraus, dass der Verdacht besteht, dass etwas mit der Krankmeldung nicht stimmt. Wie solch ein Gefühl bei Erstbescheiden, denen Demmler und Thierig nach eigener Aussage nachgegangen sind, aufgetreten sein sollen, geben sie nicht an.
Zudem versucht die Tesla-Führung die Arbeiter:innen gegeneinander auszuspielen. Schon im Jahr 2023 machte Thierig dies auf einer Betriebsversammlung deutlich: „Wir werden das nicht dulden, dass manche sich den Rücken krumm buckeln für andere, die einfach keinen Bock haben, zur Arbeit zu kommen“. Zudem gebe es keinen Platz für Arbeiter:innen, die früh „nicht aus dem Bett“ kämen.
Einbehaltung des Lohns
Zuletzt ging der US-amerikanische Autohersteller noch einen Schritt weiter und erhöhte den Druck auf kranke Arbeiter:innen enorm: Ende März verschickte Tesla Schreiben an krankgemeldete Beschäftigte, in denen sie ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung explizit anzweifeln. Offenbar um die Arbeiter:innen wieder an den Arbeitsplatz zu zwingen, kündigte Tesla im Schreiben an, die Lohnzahlungen mit sofortiger Wirkung zu stoppen und droht mit Rückforderung bereits ausgezahlter Entgelte.
Darüber hinaus drängen die Bosse die Beschäftigten dazu, ihre Abwesenheiten zu rechtfertigen. Dazu sollen sie ihre Ärzte „von ihrer Schweigepflicht (…) entbinden“ und für „jede bescheinigte Arbeitsunfähigkeit“ ihre Diagnose offenlegen. Rechtlich ist eine Lohneinbehaltung bei Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erlaubt.
Gewerkschaftsfeindliche Praktiken
Auch die IG-Metall äußerte sich kritisch gegenüber den Maßnahmen: „Mit diesem inakzeptablen Vorgehen treibt das Unternehmen immer wieder Kolleginnen und Kollegen in finanzielle Not“, sagte Bezirksleiter Dirk Schulze.
Mit der Gewerkschaft steht Tesla aber schon seit geraumer Zeit auf Kriegsfuß, zuletzt hatte der Autobauer im vergangen Jahr wiederholt den gewählten Betriebsräten gekündigt. Nicht nur sind Betriebsratsmitglieder grundsätzlich vor einer Kündigung geschützt – sie dürfen in der Regel nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Noch dazu hatte einer der Betriebsräte kurz vor seinem Rausschmiss Elternzeit beantragt.
Er gab an, daraufhin vom Unternehmen aufgefordert worden zu sein, seinen Antrag zurückzuziehen, Tesla habe ihm ansonsten mit Abmahnung und Kündigung gedroht. Die Personalmitteilung habe ihm außerdem mitgeteilt, dass Teilzeit bei Tesla nicht funktioniere, es würde „grundsätzlich Vollzeit gearbeitet werden“.
Schließlich versuchte Tesla das Betriebsratmitglied wegen Ungereimtheiten bei Arbeitszeitangaben rauszuwerfen. Vor Gericht sagte dieser aber aus, dass dies mit den Vorgesetzten abgesprochen gewesen sei, und sei nur aufgrund der üblichen Praxis, die gesetzliche Höchstgrenze der täglichen Arbeitszeit zu überschreiten, notwendig gewesen. Das Brandenburger Landesamt für Arbeitsschutz stimmte ihm zu und erklärte: „Es gibt inkonsistente Regelungen zur Arbeitszeit und Zeiterfassung auf Arbeitgeberseite, die durch die tatsächlichen Gepflogenheiten nicht abgebildet sind und zum Teil zu rechtlich nicht zulässigen Folgen führen.“