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Was ist notwendig, um sich das Grundrecht auf Asyl zu verdienen?

Der Asylantrag eines somalischen Geflüchteten, der beim Messerangriff Anfang des Jahres in Aschaffenburg sein Leben riskiert hat, wurde abgelehnt. Nach zahlreichen Presseartikeln und Unterschriftensammlungen rudern die bayerischen Behörden zurück. Ein schneller Erfolg, aber auch eine gefährliche Logik. – Ein Kommentar von Paul Gerber.

„Held von Aschaffenburg soll Deutschland verlassen“ – mit solchen und ähnlichen Überschriften ging in den letzten Tagen ein Aufschrei durch verschiedene Zeitungen des Landes. Der Grund: Der somalische Geflüchtete Ahmed Mohamed Odowaa war offenbar dazu aufgefordert worden, Deutschland zum 8. Juli zu verlassen. Das hatte er der Aschaffenburger Zeitung Main-Echo mitgeteilt, die zuerst über den Fall berichtete.

Odowaa war während des Messerangriffs auf eine Kindergartengruppe durch einen 41-jährigen Afghanen am 22. Januar in Aschaffenburg Augenzeuge und verfolgte anschließend den Täter gemeinsam mit einem anderen Mann, bis der Angreifer von der Polizei festgenommen wurde.

Nach Mord in Aschaffenburg: Rassistische Hetze von allen Seiten

Hierfür wurde er von diversen bayerischen Politikgrößen persönlich oder in Dankesschreiben hochgelobt, unter anderem von Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Dass wenig später von anderen staatlichen Stellen die Aufforderung bei ihm hereinflattert, das Land zu verlassen, war ein offensichtlicher Widerspruch, der auch schnell zu entsprechend empörten Reaktionen führte.

Breite Unterstützung für Odowaa

Neben diversen Presseberichten wurden auf change.org auch gleich zwei Petitionen initiiert, die jeweils bereits über 50.000 Unterschriften gesammelt haben. In diesen wird der Stopp der Ausweisung beziehungsweise ihre Überprüfung gefordert. Dass Ahmed Mohamed Odowaa das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat, scheint ihm bereits jetzt einen Teilerfolg beschert zu haben.

Jedenfalls beeilten sich die bayerischen Behörden – und am Morgen des 8. April dann auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) – zu beteuern, dass es sich lediglich um ein „Missverständnis“ handele und eine Arbeitserlaubnis für Odowaa bereits in der Schublade liege.

Europa und seine Geflüchteten

Selbstverständlich ist es abzulehnen, dass Odowaa einerseits als Held gefeiert wird und andererseits aufgrund von EU-Vorschriften zurück nach Italien geschickt wird. Ebenso ist sein Handeln in Aschaffenburg ein prominentes und somit gutes Beispiel, um rassistischen Verallgemeinerungen und Vorurteilen über migrantische Gewalttäter:innen entgegenzutreten.

Und derlei Beispiele gibt es auch immer wieder, zuletzt bei der Amokfahrt in Mannheim am 3. März 2025, als ein Deutscher zwei Menschen mit seinem Auto überfuhr und tötete, danach aber von einem Taxifahrer mit pakistanischen Wurzeln gestoppt wurde.

Aschaffenburg, München, Mannheim – Kein Ende der Gewalt in diesem System

Guter Flüchtling / schlechter Flüchtling

So wohlwollend die Petitionen gegen seinen unsicheren Aufenthaltsstatus oder eine drohende Abschiebung auch gemeint sein mögen, stärken sie gleichzeitig eine extrem negative Seite in der Diskussion um Geflüchtete, um das Asylrecht und den Umgang mit Migrant:innen allgemein: nämlich die Aufteilung von Geflüchteten in nützliche, anständige, oder „gute“ Geflüchtete und solche, die diese Kriterien vermeintlich nicht erfüllen.

Die Unterstützungspetitionen, die im Internet zur Unterschrift umgehen, machen diesen Unterschied in ihrem Begründungstext zum Teil sogar sehr explizit: So heißt es in einer der beiden: „Er hat bewiesen, dass er bereit ist, zum Wohle Deutschlands zu handeln, und verdient es daher, hier zu leben und zu arbeiten.” In der anderen steht: „Es ist ein falsches Signal, wenn Menschen wie Ahmed, die sich aktiv für unsere Gesellschaft einsetzen und unsere Rechtsstaatlichkeit respektieren, abgeschoben werden sollen, nur weil diese Menschen gerade wegen ihrer Integration für die Behörden leicht zu fassen wären.“

Zyniker:innen könnten der Urheberin hier die Frage entgegen halten, was andere Geflüchtete, die von Abschiebung bedroht werden, denn tun müssen, um sich ebenfalls in wenigen Tagen die Unterstützung von fast 60.000 Menschen in einer Online-Petition zu verdienen? Müssen Sie ebenfalls ihre Gesundheit riskieren, indem sie die Polizei zu einem mit einem Messer bewaffneten Gewalttäter lotsen? Oder genügt es, wenn sie einem Job im Niedriglohnsektor nachgehen? Darf ihr Arbeitsvertrag befristet sein? Was ist mit den vielen Leiharbeiter:innen?

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Asylrecht? Fehlanzeige!

Auf gesetzlicher Ebene ist das Asylrecht in Deutschland ohnehin Stück für Stück in den letzten drei Jahrzehnten stark demontiert worden. Es existiert heute nur noch als Schatten seiner ursprünglichen Idee im bürgerlichen Rechtssystem. Seine ursprüngliche Idee war aber, dass Menschen in Deutschland leben können, wenn ihr Leben in ihrem Heimatland bedroht ist.

Eine konsequente Argumentation gegen die unzähligen politischen Vorstoße mit dem Ziel, noch die letzten Reste des Asylrechts zu beseitigen, muss deshalb in den Vordergrund stellen, was auch die politisch bewusstesten Geflüchteten immer wieder in aller Öffentlichkeit gesagt haben: Die Menschen fliehen nach Deutschland, weil der Kapitalismus und – auch der deutsche Kapitalismus – ihre Heimatländer zerstört!

Warum wir für eine Ausweitung des Asylrechts kämpfen müssen

Paul Gerber
Paul Gerber
Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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