Zeitung für Solidarität und Widerstand

500 Jahre Bauernkrieg: Widerstand hat Tradition

Heute haben wir oft eine falsche Vorstellung vom Mittelalter. Unterdrückte und Ausgebeutete kämpften auch damals für eine neue bessere Welt. Thomas Müntzer, einer der Vordenker der Bauernaufstände, starb vor 500 Jahren, seine Ideen leben aber bis heute weiter. – Ein Kommentar von Andreas Becker.

Die meisten arbeitenden Menschen sehen sich heute einer Situation ausgesetzt, in der sich die Welt fundamental verändert und sich ihre Lebensbedingungen langsam aber sicher verschlechtern. Um in so einer Situation zu erkennen, was zu tun ist, um den Zustand abzuschaffen, der dazu führt, dass man das eigene Leben immer schlechter bewerkstelligen kann, hilft manchmal ein Blick in die Geschichte. Dort kann man erkennen, dass die Menschen schon immer, wenn auch unter ganz anderen Bedingungen und in anderer Art, vor den gleichen Fragen standen.

Eine solche Zeit war das 16. Jahrhundert, in dem die Bauernkriege stattfanden. Schon damals befand sich die Gesellschaft in einem tiefgreifenden Umbruch: Versuche der politischen Machtzentralisierung, ökonomischer Wandel und damit verbunden soziale Kämpfe. Der Bauernkrieg war Ausdruck dieser Spannung. Es waren nicht bloß verarmte Landarbeiter:innen, die zu den Waffen griffen, es war ein vielschichtiger sozialer Aufbruch gegen ein ungerechtes System.

Auch die Städte waren im 16. Jahrhundert keineswegs Orte der Stabilität. Dort lagen verschiedenste Interessen über Kreuz: Aufstrebendes Bürgertum, niedere Adelige, kleine Handwerker standen allesamt in einem Konkurrenzverhältnis um Einfluss, Ressourcen und Macht. Auf dem Land versuchten viele lokale Gutsherren durch steigende Abgaben und erzwungene Frondienste ihre eigene Stellung zu wahren oder zu verbessern. Sie reagierten auf den zunehmenden Einfluss städtischer Kaufleute, mit denen sie wirtschaftlich kaum mithalten konnten und pressten die Bäuer:innen immer stärker aus. Die oberdeutsche Händlerfamilie Welser war zum Beispiel so reich, dass sie Venezuela als private Kolonie besaß.

Wichtigste Stütze dieses Systems war die Kirche. Die Kirche war damals ein komplexes Gebilde, und viele Klöster und Bischöfe hatten selbst großen Landbesitz. Vor allem hatte sie aber die Funktion, die Gesellschaftsordnung zu rechtfertigen. Man könnte sagen, dass damals die Behauptung, die feudale Ordnung wäre gottgewollt, den gleichen Stellenwert hatte, wie wenn uns heute versucht wird, weis zu machen, dass die Art, wie auf der ganzen Welt gewirtschaftet wird, der Natur des Menschen entspricht.

Bäuer:innen begehren auf

Den Bäuer:innen war durchaus bewusst, dass ihre Situation immer elender wurde, und sie waren keineswegs politisch uninteressiert. Durch den neu erfundenen Buchdruck konnten sich neue Ideen schnell im ganzen deutschsprachigen Raum verbreiten. In vielen Dörfern gab es Einzelne, die lesen konnten und als Nachrichtenträger:innen fungierten. Flugschriften und Predigten wurden vorgelesen, diskutiert und weitergetragen. Die Bäuer:innen dachten politisch, sie waren informiert und organisierten sich.
Der „Bundschuh”, die bevorzugte Fußbekleidung von Bäuer:innen, wurde ein Symbol der bäuerlichen Revolten. Dabei war das kein spontaner Aufruhr, sondern eine politische Bewegung mit klaren Zielvorstellungen. So brachen in Teilen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation Bauernaufstände aus, die ihre Zentren vor allem in Thüringen, Sachsen und im süddeutschen Raum hatten.

In dieser Situation trat unter anderen der berühmte Thomas Müntzer als Prediger und Revolutionär auf. Sein Entwurf einer neuen Gesellschaft war radikal: Gemeinschaft aller Güter, allgemeine Arbeitspflicht und die Abschaffung jeglicher weltlicher Herrschaft. Ob sein Denken als Frühform des Kommunismus gelten kann, bleibt umstritten, doch zweifellos war seine Vision ein Bruch mit der bestehenden Ordnung.
Fest steht, dass seine Predigten als ideologische Rechtfertigung für die Bauernaufstände fungierten, denn er stellte die gängige Bibelinterpretation auf den Kopf und verwandelte die Religion von einem Instrument zur Legitimation der Ausbeutung und Unterdrückung der Bäuer:innen in eine Rechtfertigung für ihren Kampf gegen den Adel.

Auch erkenntnistheoretisch machte Thomas Münzer einen Sprung, indem er behauptete, Gott hätte den Menschen zwei große Werke hinterlassen: Die Bibel und die physische Welt, die man gegenseitig nutzen müsse, um sie zu verstehen. Das war ein großer Schritt hin zur objektiven Erkenntnis.

Als wichtigstes programmatisches Dokument des Bauernkriegs gelten die Zwölf Artikel von Memmingen: Eine Beschwerdeschrift, welche die Forderungen der Bäuer:innen bündelt. Darin forderten sie unter anderem das Recht, ihre Pfarrer selbst zu wählen und abzusetzen, die Abschaffung der Leibeigenschaft und der „Todesfallabgabe”, bei der Grundherren sogar nach dem Tod ihren Untertanen Besitz abnehmen konnten. Sie forderten auch die Wiederherstellung des Gemeineigentums an Wäldern und Seen, die sich die Fürsten privat angeeignet hatten.

500 Jahre Widerstand

Heute tragen die Protestierenden keine Bundschuhe mehr, sondern vielleicht Sneaker. Ihre Anliegen sind Mietenexplosion, Lohndumping, prekäre Arbeit oder der Genozid in Gaza. Doch ob es sich um die Gelbwesten in Frankreich, Mieterproteste oder Studierende handelt – es sind erneut Bewegungen des „gemeinen Mannes“, der sich gegen ein System wendet, das nicht seinen Interessen dient.

Damals wie heute ist die Obrigkeit darauf aus, dass sich der Protest im Sand verläuft. Während einige Herrscher des 16. Jahrhunderts wie die bayerischen Herzöge durch kleine Zugeständnisse die weitere Ausbeutung sichern konnten, setzten andere auf brutalste Repression. Auch heute wechseln Regierungen zwischen Verständnis, kleinstmöglichen Zugeständnissen und harter Linie, etwa wenn Proteste von der Polizei zusammengeschlagen werden oder zivilgesellschaftlich integriert werden.

Die Bauern verloren zwar den Bauernkrieg und wurden zu zehntausenden ermordet. Doch er war nicht umsonst: Die Forderungen der Bauern wirkten nach und wurden zur Triebfeder von Reformen und schlussendlich brach der Feudalismus zusammen. Die Geschichte zeigt: Wenn der Druck von unten groß genug ist, kann jedes noch so alte System ins Beben kommen.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 98 vom Mai 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

Gast Artikel
Gast Artikel
Bei Perspektive kommen Menschen aus verschiedensten Hintergründen zu Wort. Du möchtest auch einen Gastbeitrag veröffentlichen? Melde dich bei uns.

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!