Zeitung für Solidarität und Widerstand

Alles oder Nix – Xatars zerrissener Kampf um Anerkennung

Xatar ist tot – und mit ihm eine der schillerndsten und widersprüchlichsten Figuren des deutschen Hip-Hop. Sein Leben war ein Balanceakt zwischen kriminellem Mythos und gesellschaftlichem Aufstieg. Er bleibt Symbol einer Generation, die um Anerkennung ringt. – Ein Kommentar von Marius Fiori.

Xatars Geschichte beginnt im deutschen Exil: 1981 im Iran als Sohn kurdischer Widerstandskämpfer:innen geboren, floh er mit ihnen – drei Jahre alt – nach Bonn in den Stadtteil Brüser Berg, einem sozialen Brennpunkt. Seine Schulzeit am Gymnasium wurde zum Lehrstück über strukturellen Rassismus – als einziger „Ausländer“ in einer Welt von Ministerialbeamtenkindern erlebte er Ausgrenzung, die ihn prägte.

Das änderte sich erst, als er sich bewusst zur Karikatur des „asozialen Kanaken“ stilisierte – mit Drogenhandel und Lederjacke. Dem Spiegel sagte er 2022: „Irgendwann willst du nicht mehr, dass deine Mutter für dein Leben putzt. Du überlegst dir: Wie ist der smarteste Weg zu gutem Geld?“

Doch Xatar war mehr als nur ein Produkt seiner Umstände. Sein Aufstieg folgte der gnadenlosen Logik des Hustle: Vom Verkauf raubkopierter Pornofilme an Mitschüler:innen, über den legendären Goldraub 2009 bis zum Durchbruch seines Labels „Alles oder Nix Records“. Doch selbst als erfolgreicher Geschäftsmann blieb er der „Proll“ – wie bei z.B. der „Echo”-Gala, bei der etablierte Musikmanager:innen über seine Jogginganzüge die Nase rümpften.

Megalodon-Remix: Systemkritik zwischen Selbstdarstellung und Sexismus

Mehr als nur Goldraub

Der Goldraub von mehreren hundert Kilo ungereinigtem Zahngold lieferte die Grundlage für seine in Aufschwung kommende Rap-Karriere. Doch hinter den Kulissen war Xatars Leben ein ständiger Kampf mit den Erwartungen: Im Knast fand er zwar zum Islam, doch gleichzeitig baute er von dort aus sein Musik-Imperium auf. Seine kriminelle Vergangenheit vermarktete er später mit falschen Goldzähnen in Album-Boxen.

Politisch blieb er als Figur widersprüchlich. Einerseits rappte er über den kurdischen Befreiungskampf und benutzt Samples kurdischer Volksmusik. Andererseits wurde er von den Medien auf das Gangster-Image reduziert.

Doch Xatars Bedeutung geht weit über Gangsterfolklore hinaus. Als einer der ersten deutschsprachigen Rapper mit Migrationshintergrund humanisierte er nicht nur kriminelle Biografien, sondern schuf gezielt Plattformen für andere Außenseiter:innen. Sein Label „Alles oder Nix Records“ wurde zur Keimzelle einer neuen Generation migrantischer Künstler:innen.

Schwesta Ewa, eine ehemalige Prostituierte, erhielt hier ihre erste Chance – ein Tabubruch im männlich dominierten Gangster-Rap. SSIO, das Arbeiter:innenkind aus Bonn, entwickelte hier seinen unverwechselbaren Style – irgendwo zwischen Drogenküche und Stammtisch-Witzen. Mero, entdeckt von Xatar, wurde als erster türkischstämmiger Künstler zum TikTok-Phänomen.

Pashanims „2000“ – Was hat uns der Deutschrap heute zu sagen?

Der Baba der Memes

Doch Xatars Einfluss reichte weit über die Musik hinaus. Er wurde zur kulturellen Ikone der Gen-Z. Mit viralen Phrasen wie „Köftespieß ohne Reden“ oder dem „Hrrrr“-Sound, inspiriert von Geldzählmaschinen, prägte er nicht nur die Rap-Szene, sondern die gesamte deutsche Netzkultur. Aus dem zufälligen Interview-Ausschnitt – „Gib mir einfach nur einen Köftespieß“ – wurde eines der größten Memes der 2020er. Es wurde so populär, dass Xatar es später in seinem Song „Ohne Reden“ selbst aufgriff und sogar ein Köftespieß-Restaurant eröffnete.

„Wild“ oder „Zuuu wild“ war eine anderer Teil seines Slangs, der eine ganze Generation prägte. Dieser Begriff schaffte es sogar bis zu Nominierung als „Jugendwort des Jahres“. Sein rätselhafter Claim „Ich trage Mantel“ beschäftigte Fans jahrelang und wurde zum Symbol für Status und Kontrolle.

Diese Memes waren aber mehr als nur Gags. Sie demonstrierten Xatars Gespür für kulturelle Codes. Wo andere Rapper sich bemühten, hart zu wirken, verwandelte er seine Eigenheiten in popkulturelles Kapital – und unterlief damit gleichzeitig die Erwartungen an einen „Gangster-Rapper“.

Apsilons „Haut wie Pelz“: Über Ohnmacht, Weltschmerz und Frieden

Ein Platz, der nie genug war

Xatars Ende war tragisch. Pleite, gescheiterte Projekte wie der Goldmann Tower, und doch dieser unstillbare Hunger nach mehr. Im Spiegel-Interview sagte er einmal: „Dein Feind ist deine eigene Machtgeilheit.“ Sein autobiografischer Film „Rheingold“ glorifizierte zwar den Aufstieg – doch sein letztes Interview mit Kurt Krömer kurz vor dem Tod offenbarte einen zutiefst verletzlichen Menschen: „Jetzt zu sterben wäre scheiße. Ich will mehr Zeit mit meinen Kindern“.

Sein Tod hinterlässt eine merkwürdige Leere – nicht nur, weil eine der prägendsten Stimmen des Deutschrap plötzlich verstummt ist, sondern weil sein Leben so viele offene Fragen zurücklässt. War er ein genialer Selbstvermarkter oder ein Getriebener, der nie wirklich ankam? Ein kurdischer Rebell oder ein kapitalistischer Macher? Der „Baba aller Babas“ oder doch der Junge vom Brüser Berg, der verzweifelt versuchte, dazu zu gehören?

Xatars Karriere zeigt die Absurdität der Erwartungen, die an Menschen mit Migrationshintergrund gestellt werden. Er sollte gleichzeitig der gefährliche Gangster und der integrationswillige Unternehmer sein, der Straßenrapper mit Herz und der skrupellose Geschäftsmann. Dass er all diese Rollen spielte – und dabei immer wieder durchblicken ließ, wie sehr ihn diese Zerrissenheit zermürbte – macht ihn zur vielleicht authentischsten Figur des deutschen Hip-Hop.

Jassin mischt den Deutschrap auf – mit eigenem Sound und Gesellschaftskritik

Seine bleibende Leistung liegt darin, eine Tür aufgestoßen zu haben, durch die heute eine neue Generation migrantischer Künstler:innen gehen kann. Er bewies, dass Migrant:innensöhne und -töchter nicht nur die Bösewichte in deutschen Talkshows sein müssen, sondern selbst die Regeln bestimmen können. Auch wenn er am Ende vielleicht selbst nicht wusste, welche Regeln das eigentlich immer sein sollten.

Was bleibt, sind die Memes, die Lines, die Legenden – und die unbequeme Erkenntnis, dass Deutschland immer noch nicht weiß, wie es mit solchen Figuren umgehen soll. Außer sie totzuschweigen – oder totzufeiern.
Beides wäre zu einfach. Denn Xatars Geschichte war nie schwarz oder weiß, sondern immer „wild“ – genau wie er es wohl gewollt hätte.

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!