Ein 30-jähriger Amerikaner soll am Mittwochabend zwei israelische Diplomat:innen in Washington, D.C. erschossen haben. Unmittelbar nach der Tat kursierte ein mutmaßliches Schreiben des Schützen im Internet, in dem er den laufenden Genozid in Gaza als sein Motiv für die Tat benennt.
Auf einem Handy-Video ist zu sehen, wie Elias Rodriguez im Jüdischen Museum in Washington, D.C. festgenommen wird. Er leistet keinen Widerstand bei seiner Festnahme, ruft jedoch „Free Palestine“, als er abgeführt wird. Zuvor soll er außerhalb des Gebäudes mehrere Schüsse auf das Paar Yarón Lischinsky und Sarah Milgrim abgegeben und getötet haben. Beide arbeiteten für die israelische Botschaft und hatten an einer diplomatischen Veranstaltung teilgenommen.
Die US-Bundespolizei FBI spricht von einem „Terrorakt“. Israel erhöht seine Sicherheitsvorkehrungen in Botschaften weltweit. Auch in Deutschland sind die Sicherheitsbehörden alarmiert. Das Bundeskriminalamt fürchtet nach Informationen der Berliner Morgenpost, die Entwicklung in Israel und dem Gazastreifen könne „hohe Gefährdungsrelevanz“ entfalten.
Bekennerschreiben unterstreicht das politische Motiv
Am Donnerstagmorgen machte die Tat schnell internationale Schlagzeilen. Ein Journalist veröffentlichte ein Manifest, das Elias Rodriguez selbst verfasst haben soll. Darin wird die Realität des Genozids in Gaza eindrücklich geschildert, und insbesondere die Komplizenschaft der USA und anderer imperialistischer Staaten betont. Der Text legt ein sehr bewusstes und politisches Handeln bei der Tat nahe, mit der Rodriguez in Zusammenhang gesetzt wird.
Darin ist von der moralischen Frage sogenannter „bewaffneter Demonstrationen” die Rede. Auch wenn Rodriguez mutmaßlich als Einzeltäter handelte, setzt der Text die Tat in einen größeren politischen und historischen Kontext. Er stellt etwa einen Zusammenhang her mit der Selbstverbrennung des US-amerikanischen Soldaten Aaron Bushnell in Protest gegen den Gaza-Genozid im Februar 2024:
„Aaron Bushnell und andere opferten sich in der Hoffnung, das Massaker zu stoppen. Der Staat versucht, uns das Gefühl zu vermitteln, ihr Opfer sei vergebens gewesen, eine Eskalation [des Protests] für den Gazastreifen sei hoffnungslos und den Krieg nach Hause zu holen sei sinnlos. Wir dürfen ihm darin keinen Erfolg lassen. Ihre Opfer waren nicht vergebens.”
Protest gegen den Krieg in Gaza: Selbstverbrennung vor der israelischen Botschaft in Washington DC
In dem Text ist davon die Rede, dass eine „bewaffnete Aktion” für ein politisches Ziel kein organisiertes militärisches Vorgehen ist, sondern vor allem eine symbolische Wirkung entfaltet, ergänzend zum zivilen Protest. Es wird beschrieben, wie die anhaltende und breite Protestbewegung gegen den Völkermord an den Palästinenser:innen seit über 20 Monaten einen gewissen Druck auf die Herrschenden in den USA ausgeübt habe. Die US-Regierung hätte sich erst dadurch gezwungen gesehen, die Rechte der Menschen in Palästina zumindest formell anzuerkennen.
Auch auf die öffentliche Meinung hätten die schockierenden Bilder aus Gaza und der Widerstand der Solidaritätsbewegung mit Palästina einen beträchtlichen Einfluss gehabt. Doch der Autor stellt fest, dass die politische Linie der Staatsführung der USA davon im Wesentlichen unbehelligt bleibt. Auf die Proteste reagiert die Regierung weiterhin vor allem mit Repressionen, während das Morden in Gaza tagtäglich weitergeht und Israel freie Hand gelassen werde.
Die Schlussfolgerung für den Autor: die Illusion, dass ein Genozid und die aktive Beihilfe dabei für die Schuldigen ohne Konsequenz blieben, müsse durchbrochen werden. In diesem Sinne sieht der Text eine „bewaffnete Demonstration” angesichts der Normalisierung von unmenschlichem Handeln durch die Herrschenden als moralisch gerechtfertigt an.
Über Elias Rodriguez, der aus Chicago stammt, ist weiterhin bekannt, dass er sich im Jahr 2017 bei der sozialistischen „Partei für Sozialismus und Befreiung” (PSL) engagiert hatte und in diesem Rahmen an antikapitalistischen Aktionen teilnahm. Die Partei hat sich in einem Statement von Rodriguez und der Tat distanziert und geäußert, dass er schon seit mehreren Jahren kein Mitglied mehr sei.
Was über die Opfer bekannt ist
Es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass der Täter die Opfer bewusst individuell ausgewählt hat. Stattdessen legt der veröffentlichte Text nahe, dass er allgemein Repräsentant:innen des israelischen Staates ins Visier nehmen wollte. Über den 31-jährigen Yarón Lischinsky wurde berichtet, dass dieser aus Deutschland stammt und – ohne selbst einen jüdischen Hintergrund zu haben – aus christlich-fundamentalistischen Motiven zum glühenden Zionisten wurde. Er soll als Jugendlicher nach Israel ausgewandert sein und sogar in der IDF gedient haben.
In seiner Heimatstadt Nürnberg soll er sich bei der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft” (DIG) engagiert haben, bevor er in Israel eine Karriere als Diplomat einschlug. In den sozialen Medien hat er während des laufenden Genozids das Vorgehen Israels vehement verteidigt und Kriegsverbrechen geleugnet. Die US-Amerikanerin Sarah Milgrim war Lischinskys Verlobte und wie er Angestellte an der israelischen Botschaft. Andere zionistische Aktivist:innen in Deutschland berichteten, dass sie Lischinsky aus der DIG gekannt hätten, und sprachen ihr Beileid aus.
Mögliche Folgen des Terrors
Die Folgen des Anschlags von Washington, D.C. sind noch nicht ganz abzusehen. Schon jetzt ist klar, dass die Tat zum Anlass genommen wird, um härtere Repressionen gegen die pro-palästinensische Solidaritätsbewegung zu fordern, ob in den USA oder Europa. Im mutmaßlichen Manifest des Schützen wird am Ende die Hoffnung geäußert, dass angesichts der Offenheit mit der Israel sein Verbrechen begeht, vielen Menschen die Tat als „das einzig Vernünftige“ erscheinen werde. Dass sich durch den doppelten Mord tatsächlich eine Verbesserung für die Situation der Palästinenser:innen einstellen wird, zeichnet sich derzeit nicht ab.
Einige Kommentator:innen in den sozialen Medien haben Elias Rodriguez mit dem jüdisch-polnischen Jugendlichen Herschel Grynszpan verglichen, der 1938 in Paris ein Attentat auf einen Diplomaten des faschistischen Deutschlands verübte; aus Protest gegen die eskalierende antisemitische Verfolgung, der seine Familie und die europäischen Juden ausgesetzt waren. Dem faschistischen NS-Staat diente diese Tat als Vorwand, um schon lange beabsichtigte Pogrome gegen die Juden in Deutschland durchzuführen.
Was Israel angeht, so lässt die faschistische Regierung unter Netanyahu ihrerseits keinen Zweifel an der Fortführung ihrer Terrorisierung der Palästinenser:innen, speziell in Form des Gaza-Genozids, aufkommen. In den letzten Tagen kamen wieder Hunderte weitere Tote durch die Bombardierungen und eine neue Bodenoffensive dazu. Die offizielle Zahl der Todesopfer von etwa 50.000 gilt als deutlich untertrieben und ist dem Umstand geschuldet, dass Behörden kaum die Möglichkeit haben, die Toten aus den Trümmern zu bergen und zu registrieren. Eine andere Zahl, die genannt wird, beziffert die Todesopfer auf weit über 100.000.