Die Bundeswehr meldet einen Aufwärtstrend bei den Bewerbungen und Neueinstellungen für den zivilen und militärischen Dienst. Ist das die neue Kriegsbegeisterung? – Ein Kommentar von Mario Zimmermann.
Ein Blick auf aktive Kriege weltweit zeigt, mit welchen Methoden beim „Material Mensch“ der Nachschub organisiert wird: Unter Zwang, mit Androhung von Haft und physischer Gewalt. Bilder von ukrainischen und russischen Wehrpflichtigen die auf der Straße, oder bei der Arbeit eingefangen werden und direkt in Kreiswehrbüros und Kasernen verfrachtet werden, gehen regelmäßig durch die sozialen Netzwerke.
Der Leidensweg der Rekruten ist genau vorbestimmt: In ein Trainingscamp für wenige Tage bis Wochen und danach direkt an die Front. Gegen einzelne Mobilisierungen oder größere Mobilmachungen regen sich Proteste. So auch in der russischen Teilrepublik Dagestan, in der die Teilmobilmachung zu größeren Protesten führte.
Auch im Krieg in Westasien plant das israelische Militär akut die Einberufung von zehntausenden Reservist:innen ein. Die Reservist:innen sollen Soldat:innen im Westjordanland ersetzen, die für die neue Offensive im Gaza-Streifen benötigt werden. Trotz der internationalen Bemühungen um eine Vermittlung im Konflikt, setzt die israelische Regierung weiterhin auf eine offensive Strategie. Zu deren Umsetzung braucht es natürlich neue Soldat:innen. Dass in Israel ein großer Teil der Bevölkerung als Reserve in Frage kommt, erleichtert die Rekrutierung natürlich. Doch auch dort gibt es kleine Widerstände und Verweigerung.
Kriegsdienstverweigerung in Israel: Der Widerstand muss tiefer greifen
Die Zeitenwende braucht dich!
Laut Bundeswehr ist die Personalgewinnung eine der größten Herausforderungen für ihre Ziele zur Erreichung der Kriegstüchtigkeit im Rahmen der Zeitenwende. In den Verhandlungen der neuen Koalition zwischen SPD und CDU konnte sich die CDU mit der geforderten Reaktivierung der Wehrpflicht nicht durchsetzen.
Stattdessen soll ein „zunächst“ freiwilliger Wehrdienst kommen, wie ihn Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgeschlagen und ein erstes Gesetz dafür im November 2024 auf den Weg gebracht hat. In diesem soll allen 18-Jährigen eine Befragung über die Bereitschaft und Fähigkeit zur Ableistung des Wehrdienstes geschickt werden. Für Männer ist die Beantwortung verpflichtend, für andere Geschlechter bleibt die freiwillig.
Außerdem sollen Jugendoffiziere einen „wichtigen Bildungsauftrag erfüllen“, in dem sie an Schulen über Bundeswehreinsätze informieren. Für eine Stärkung der Präsenz bei Bundeswehr in Forschungs- und Bildungseinrichtungen sorgte bereits die bayrische Landesregierung im vorigen Jahr mit dem „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“.
Die Bedeutung dieser Präsenz an den Schulen für die Bundeswehr wird deutlich, wenn man betrachtet mit welcher Repression Schüler:innen überzogen werden, die sich der Militarisierung ihrer Lernstätten entgegenstellen. Der Kampf der Leipziger Schüler:innen Feli und Iven gegen drohende Verweise nach einer Protestaktion machte zumindest regionale Schlagzeilen und ist bei weitem nicht der einzige Fall.
Erfolgreicher Kampf an Humboldtschule in Leipzig: Kein Schulverweis für Iven und Feli
Wird die Gesellschaft kriegstüchtig?
Ob und inwiefern die Gesellschaft wieder „kriegstüchtig“ wird oder jüngere Generationen sich stärker für den Einsatz an der Waffe begeistern lassen, ist im Umfrage-Dschungel der Meinungsforschungsinstitute nicht einwandfrei zu belegen. Harte Fakten, wie die Zahl der Bewerbungen für eine Karriere bei der Bundeswehr und auch Einstellungszahlen sprechen eine eindeutigere Sprache.
Dort kann die Bundeswehr einen deutlichen Anstieg der Bewerbungen in den letzten Jahren verzeichnen. Mit 51.200 Bewerbungen für den militärischen Dienst im Jahr 2024 sind diese um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Im zivilen Bereich gab es mit über 88.300 Bewerbungen ein Plus von 41 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Um 36 Prozent stieg dabei der Anteil der Frauen unter den Bewerbungen im Vergleich zum Vorjahr.
Die Bundeswehr gibt an, dass ein wesentlicher Grund für die hohe Zahl an Bewerbungen in ihrer gezielten Ansprache junger Menschen liege. Mit zeitgemäßen Social-Media-Kampagnen, regionalen Recruiting-Veranstaltungen und innovativen Formaten wie dem „Explorers Road Trip“ gelinge es ihr Interesse zu wecken und potenzielle Bewerberinnen und Bewerber direkt in ihrem Lebensumfeld zu erreichen.
Aus der steigenden Zahl an Bewerber:innen konnten auch mehr Rekrutierungen erzielt werden. Mit 20.300 Einstellungen im militärischen Bereich konnten diese im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozent gesteigert werden. Die hohe Zahl der Abgänge von Rekrut:innen während der Probezeit, also in den ersten 6 Monaten, bleibe jedoch weiterhin „eine Herausforderung“.
Unterm Strich schlugen die steigenden Zahlen von Bewerber:innen nur gering auf die Gesamtzahl der aktiven Soldat:innen durch. Mit 181.150 Soldat:innen im Jahr 2024 ist das militärische Personal im Vergleich zum Vorjahr erneut gesunken (181.500 Soldat:innen im Jahr 2023). Die Früchte der Werbekampagnen der Bundeswehr werden also erst noch heranreifen, erste Erfolge zeichnen sich langsam ab.
Um höhere Personalstärken für die effektive „Bündnis- und Landesverteidigung“ zu erreichen, müssen jedoch noch größere Schritte gegangen werden. Und es dürfen nicht parallel die Früchte des Widerstandes gegen Aufrüstung und Militarisierung reifen. Denn während ältere Schichten der Bevölkerung für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht sind, sind Jugendliche zumindest zum Teil skeptisch und einige – wie Feli und Iven – sind bereit, jegliche Repressionen für ihren Widerstand in Kauf zu nehmen.