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Das „Sofortprogramm“ der neuen Regierung: Klassenkampf von Oben

Die Merz-Regierung hat ein Sofortprogramm vorgelegt. Was drin steht, warum wir es dabei mit Klassenkampf von Oben zu tun haben und wie man darauf antworten kann. – Ein Kommentar von Alex Lehmann.

„Klassenkampf“ mag für viele nicht mehr sein, als ein verstaubter Kampfbegriff von Kommunist:innen. Dabei hat das Thema in den letzten 150 Jahren nicht an Aktualität eingebüßt. Schließlich leben wir noch immer im Kapitalismus, arbeiten uns kaputt, um am Ende des Monats unsere Miete zu zahlen, während Politiker:innen, Chef:innen und andere Bonzen sich auf unserem Rücken profitieren.

Auf der einen Seite wir Arbeiter:innen, auf der anderen die Kapitalist:innen. Beide mit eigenen Interessen, die sich unvereinbar gegenüberstehen. Die einen wollen mehr Lohn, die anderen mehr Profit. Die einen wollen nicht an der Front verheizt werden, die anderen rüsten fleißig für den nächsten Krieg.

Und die Regierung Merz steht klar an der Seite Letzterer. Aber wen wunderts? Schließlich war  Friedrich Merz (CDU) selbst ja auch mal Manager bei der Investmentgesellschaft Blackrock und hat sein Kabinett mit allerlei Akteuren aus der Wirtschaft gefüllt. Unter dem Motto „Verantwortung für Deutschland“ hat diese Regierung jetzt ein etwa vier Seiten langes Sofortprogramm aufgestellt.

Gemeinsam wollen sie die „historischen Herausforderungen“, vor denen Deutschland steht, „konsequent angehen“ und dafür sorgen, dass es bis zur Mitte des Jahres für jede:n sichtbar wird, dass es mit Deutschland „vorangeht“. Übersetzt heißt das: mehr Geld für Konzerne, mehr Aufrüstung und Befugnisse für Polizei und Bundeswehr und mehr Arbeit und Ausbeutung für uns alle. Klassenkampf von oben eben.

1. „Investitionsoffensive“

Im ersten der insgesamt fünf Unterpunkte des Sofortprogramms geht es direkt um die Wirtschaft. Mit mehr staatlichen Investitionen und mehr Anreizen für private Investitionen soll die Wirtschaft angekurbelt und aus der Krise gehoben werden. Man will also vor allem das eigene Kapital flüssig machen.

Dafür sollen vor allem die Gelder aus dem „Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität“ nutzbar gemacht werden. Dazu sollen sich die Bundesländer strukturell höher verschulden können, und es soll eine Kommission zur Reform der heiß diskutierten Schuldenbremse eingesetzt werden. Also erst mal nicht viel Neues.

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Bei den restlichen Maßnahmen handelt es sich größtenteils um Steuervergünstigungen und Schritte zur einfacheren Finanzierung von Unternehmen. Unter anderem sollen die Körperschafts- und Einkommenssteuer gesenkt, Ausrüstungsinvestitionen erleichtert und mehr Start-Ups gefördert werden.

2. „Vereinfachung und Beschleunigung“

Unter dem zweiten Unterpunkt finden wir eine Reihe weitgehend unkonkreter Maßnahmen: Die Digitalisierung, der Ausbau der Geothermie, die Genehmigungsverfahren für Wasserstoffinfrastruktur und Windenergie-Anlagen, Beschaffungen für die Bundeswehr und eine Reihe anderer Dinge sollen vereinfacht und oder beschleunigt werden.

Dafür sollen grundsätzliche Überarbeitungen am Planungs-, Bau-, Umwelt-, Vergabe- und Verfahrensrecht auf den Weg gebracht werden. Das Ganze erinnert an den Fünf-Punkte-Plan zum Bürokratieabbau, den die EU-Kommission im Frühjahr diesen Jahres vorgelegt hat. Schneller und einfacher, also auch besser könnte man meinen. In Realität aber ist der Bürokratieabbau in den allermeisten Fällen ein Staatsumbau im Interesse der Reichen, deren Investitionen so schneller Gewinne erzielen können.

Bürokratieabbau! Aber für wen?

3. „Sicherer und handlungsfähiger Staat“

Im dritten Unterpunkt wird die Richtung der Merz-Regierung dafür dann um einiges klarer. Damit Deutschland ein „weltoffenes, sicheres Land“ bleibt, soll eine neue Welle von Angriffen auf das Asylrecht durchgesetzt werden. Ganz nach dem Motto „Haft oder Heimflug“.

Konkret soll der Familiennachzug ausgesetzt und ein Gesetz gegen das „Erschleichen von Aufenthaltsrechten durch missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen“ eingeführt werden. Weiter sollen die „Turboeinbürgerung“ und auch der Pflichtbeistand bei Abschiebehaft abgeschafft werden. Kurz zusammengefasst: Man will es Menschen, die vor Krieg und Armut flüchten, in Deutschland möglichst schwer machen.

Erstmal nichts Neues von CDU und SPD. Mittlerweile treffen die Maßnahmen gegen Geflüchtete aber auch vermehrt Ukrainer:innen, die im Gegensatz zu allen anderen Geflüchteten vor drei Jahren noch herzlich in Empfang genommen wurden. Sie sollen in Zukunft kein Bürgergeld mehr bekommen, sondern nach den Richtlinien im Asylbewerberleistungsgesetz behandelt werden.

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Neben ein paar Digitalisierungsmaßnahmen kommen dann noch zwei, erst einmal unscheinbare Punkte zur Polizei: zum einen will man die digitalen Ermittlungsbefugnisse stärken, zum anderen das Bundespolizeigesetz modernisieren. Dahinter verbirgt sich allerdings eine ganze Reihe an Angriffen auf den Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Alles in allem erwartet uns ein bunter Mix aus Verschärfungen der Überwachung und staatlicher Repression. So sollen in Zukunft Datenrecherche und -analyse mit Künstlicher Intelligenz durchgeführt und der Staatstrojaner „Quellen-TKÜ“ durch die Bundespolizei eingesetzt werden. Gerechtfertigt werden diese Maßnahmen mit den grausamen Gewalttaten wie dem Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof vor wenigen Tagen.

Dabei wird mehr Überwachung natürlich nicht für mehr Sicherheit sorgen, dafür aber den Herrschenden dabei helfen, ein Klima der Angst zu schaffen und möglichen Widerstand gegen ihre Kriegsvorbereitungen, Massenentlassungen oder andere Angriffe auf unsere Klasse möglichst früh zu erkennen und zu unterbinden.

Koalition für mehr Überwachung

4. „Neues Wirtschaftswachstum“

Weiter geht beim vierten Punkt des Sofortprogramms dann wieder mit der Wirtschaft: Die „Investitionsoffensive“ soll von einer Reihe struktureller Reformen begleitet werden. Wenig überraschend handelt es sich dabei wieder um ein Maßnahmenpaket voller Steuererleichterungen für Unternehmen.

So soll es neue steuerliche Förderungen für die Elektromobilität und eine Senkung der Stromsteuer geben. Dazu kommen die geplante Abschaffung des Lieferkettengesetzes und natürlich Merz‘ Dauerbrenner: der Angriff auf den 8-Stunden-Tag, der im Sofortprogramm liebevoll „Sozialpartnerdialog zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten“ genannt wird.

Kanzler Merz fordert mehr „Work“ und weniger „Life“

5. „Starker Zusammenhalt, standfeste Demokratie“

Zu guter Letzt will die Merz-Regierung uns noch ein paar Brotkrumen zuwerfen: Eine Kommission soll sich darum bemühen, dass Männer und Frauen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn bekommen, das Behindertengleichstellungsgesetz soll weiterentwickelt und die Mietpreisbremse verlängert werden.

Außerdem wird eine große Rentenreform angekündigt: Dazu zählen die Vollendung der Mütterrente, die Einführung der „Aktivrente“ und der „Frühstart-Rente“, sowie ein zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz und die Sicherung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent. Euphemistische Umschreibungen, die zu weiterer Belastung und perspektivischer Verarmung deutscher Rentner:innen führen werden.

Altersarmut auf neuem Hoch – Rentnerinnen besonders betroffen

Was macht der Regierung Dampf?

Auch wenn die meisten Planungen noch sehr unkonkret ist, wissen wir also bereits, dass uns eine Menge Angriffe auf unseren Lebensstandard erwarten. Aufrüstung nach innen und außen, Abschaffung des Rechts auf Asyl, Steuergeschenke für die Reichen und arbeiten bis zum Umfallen. Das ist die Politik, die Merz und seine Minister:innen für die nächsten vier Jahre geplant haben.

Wie viel sie davon aber tatsächlich umsetzen können, ob wir zum Beispiel bald wieder mehr als acht Stunden am Tag oder neben der Rente noch arbeiten dürfen, das hängt von der klassenkämpferischen Arbeiter:innenbewegung ab. Das hat uns die Geschichte gezeigt.

Von der Erringung des 8-Stunden Tags, über die Oktoberrevolution bis hin zum Sieg der Roten Armee über den Hitler-Faschismus – wenn wir den Klassenkampf von oben nicht einfach so über uns ergehen lassen, sondern mit Klassenkampf von unten antworten, können wir uns durchsetzen. Oder anders: Wenn wir kämpfen, können wir gewinnen!

Alex Lehmann
Alex Lehmann
Perspektive Autor seit 2023. Jugendlicher Arbeiter im Einzelhandel aus Norddeutschland, schreibt gerne Artikel um den deutschen Imperialismus und seine Lügen zu enttarnen. Motto: "Wir sind die Jugend des Hochverrats!"

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