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Demmin: Tausende Antifaschist:innen mit Sitzblockaden gegen rechten Aufmarsch

Am Donnerstag versuchten Neonazis mit einem rechten Aufmarsch in Demmin die Geschichte umzudeuten. Hier hatten sich hunderte Menschen kurz vor Kriegsende das Leben genommen. Was geschah wirklich? Und wie sah heute – 80 Jahre danach – der antifaschistische Gegenprotest aus? – ein Kommentar von Esther Zaim.

Am 8. Mai haben sich rund 4.000 Antifaschist:innen dem in diesem Jahr überschaubaren rechten Aufmarsch mit wenigen hunderten Teilnehmer:innen in Demmin entschlossen entgegenzutreten. Der Gegenprotest war breit getragen: Aus dem gesamten Bundesgebiet reisten Aktivist:innen in Bussen an. Trotz massiver Polizeikräfte, Behinderungen der Anreise und örtlicher Einschüchterungsversuche war die antifaschistische Präsenz unübersehbar in der gesamten Stadt. Doch auch die Rechte ist in der Region sehr stark präsent. Die AfD verfügt über eine gefestigte Anhängerschaft, ist stark in der Kommunalpolitik vertreten und hofft bei den anstehenden Landratswahlen am kommenden Sonntag auf weitere Zugewinne.

Jahr für Jahr marschieren Neonazis schweigend – in den letzten Jahren desöfteren mit Fackeln – durch Demmin, angeblich in Trauer um die Massensuizide vom Frühjahr 1945. Was hier inszeniert wird, ist jedoch kein Gedenken, sondern ein politisch kalkulierter Opferkult: Der Aufmarsch ist Teil eines geschichtsrevisionistischen Projekts, das die deutschen Täter:innen zu Opfern umzeichnet – und den Faschismus entlastet.

Anmelderin des diesjährigen Aufmarschs war erneut die faschistische Partei Die Heimat (früher NPD). Anders als in den Vorjahren kamen dabei kaum Fackeln zum Einsatz. Nur eine kleine Gruppe trug am Ende des Zuges bei der Abschlusskundgebung Fackeln – als ein Kranz und einzelne Rosen ins Wasser des Flusses Tollense geworfen wurden. Der sonst übliche Fackelmarsch durch die Stadt blieb weitgehend aus.

Wie die Nazis ihre eigenen Leute zurückließen

Die AfD liefert die rhetorische Flankierung zu dem faschistischen Aufmarsch: Im Schweriner Landtag fordert sie regelmäßig eine „würdige Erinnerungskultur“ für die Toten von Demmin, jedoch ohne die historischen Zusammenhänge zu benennen. Kein Wort zur NS-Propaganda, keine Erwähnung der gesprengten Brücken, kein Hinweis auf die militärische Kapitulation. Stattdessen wird die Schuld der Roten Armee zugeschoben – klassische Täter-Opfer-Umkehr, parlamentarisch verpackt.

Was am Ende des Zweiten Weltkriegs in Demmin geschah, war keine spontane Tragödie. Es war das Ergebnis gezielter NS-Propaganda, die wochenlang mit Flugblättern und Lautsprechern das Bild von der „bolschewistischen Bestie“ verbreitete. Die Bevölkerung wurde ideologisch aufgerüstet – und militärisch im Stich gelassen: Die Wehrmacht zog kampflos ab, SS-Einheiten verließen die Stadt, die Fluchtwege wurden gesprengt. Die Nazis brannten praktisch, wie auch symbolisch, die Brücken hinter sich nieder.

Zwischen 700 und 1.000 Menschen nahmen sich daraufhin das Leben – aus Angst, durch ein faschistisches Regime geschürt, das seine Bevölkerung bis zuletzt opferte. Die Rote Armee traf am 30. April 1945 in Demmin ein. Es kam zu vereinzelten Gewalttaten, wie in fast allen Frontgebieten. Aber die von den Nazis heraufbeschworene „slawische Apokalypse“ blieb aus – viele Menschen starben nicht durch fremde Gewalt, sondern durch eigene Verzweiflung und die perfide Wirkung der Nazi-Propaganda.

80 Jahre später: erfolgreiche Sitzblockaden gegen rechte Umdeutung

Während Neonazis auf der Straße marschieren, formuliert die AfD deren Narrative im Landtag aus. Sie betreibt keine Erinnerungspolitik, sondern instrumentelle Geschichtspolitik. Die Toten von Demmin werden von ihr nicht betrauert, sondern benutzt – als Munition für deutschnationale Mythenbildung und antikommunistische Rhetorik.

Demmin ist jedoch kein Ort ohne Widerspruch. Jahr für Jahr stellen sich Antifaschist:innen dem rechten Aufmarsch entgegen. An diesem 8. Mai konnten sie durch eine mehrstündige Sitzblockade die Nazis daran hindern durch die Stadt zu ziehen. Auch mussten die Rechten ihre traditionelle Kranz- und Fackelzeremonie auf einer stark verkürzten Route zu Ende bringen. Zu verdanken ist dies dem Engagement, dem Mut und der Entschlossenheit zahlreicher Antifaschist:innen.

Im aktiven Widerstand waren sie auch gestern erneut gegen Repression, gegen die Normalisierung rechter Präsenz und gegen eine AfD, die sich hier als parlamentarischer Arm der extremen Rechten positioniert auf den Straßen. Der Kampf um Erinnerung ist auch ein Kampf um Deutungshoheit – und damit ein direkter Beitrag zur Verteidigung demokratischer Grundwerte.

Die Tragödie von Demmin war eine Folge des Faschismus, nicht seiner Gegner:innen. Es bleibt Aufgabe aller emanzipatorischen und revolutionärer Kräfte, das unmissverständlich zu benennen. Gerade in Zeiten, in denen rechte Akteur:innen versuchen, aus der Vergangenheit Kapital für die Zukunft zu schlagen.

Esther Zaim
Esther Zaim
Perspektive Autorin seit 2023, aus Hamburg, studierte Geschichtswissenschaft und ihr Fotoapparat ist ihr ständiger Begleiter. Schwerpunkte sind internationale soziale und antifaschistische Proteste, Demonstrationen in Norddeutschland und der kurdische Befreiungskampf.

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