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Deutsch-Russischer Austausch: „Schattendiplomatie“ in Baku?

In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku sollen sich Vertreter:innen von SPD und CDU mit russischen Politiker:innen getroffen haben. In der deutschen Politik sorgt das für einen kleinen Skandal. Dieser ist jedoch nicht mehr als ein parteipolitisches Schauspiel – offizielle wie inoffizielle Diskussionskanäle nach Russland gab es immer. – Ein Kommentar von Matthias Goeter.

Vergangenen Freitag erschütterte ein kleiner Skandal die parlamentarische Landschaft in Deutschland. Parallel zur Kanzlerwahl wurde ein Bericht veröffentlicht, nach dem sich verschiedene deutsche Politiker der CDU und SPD in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku mit russischen Politiker:innen getroffen haben sollen.

Insbesondere Ralf Stegner, Bundestagsabgeordneter der SPD, wurde erwähnt, da er der einzige noch aktive Politiker der Delegation ist und zusätzlich im parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags Zugriff auf vertrauliche Informationen der deutschen Geheimdienste hat. Neben ihm waren auch der frühere SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck sowie von der CDU Ronald Pofalla, Kanzleramtsminister unter Angela Merkel, sowie Stephan Holthoff-Pförtner, ehemaliger Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales des Landes NRW, vertreten.

Fortsetzung des Petersburger Dialogs

Das Treffen war in dieser Form auch nicht das erste, sondern vielmehr mindestens das dritte Treffen seit April 2024. Die Zusammenkünfte haben ihren Ursprung im sogenannten „Petersburger Dialog“, der im Jahr 2001 von Putin und damals Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zur Diskussion gegenseitiger Interessen zwischen Deutschland und Russland gegründet wurde. Im Jahr 2022 wurde er im Kontext des Ukraine-Kriegs aufgelöst – bestehende Kontakte und Kommunikationskanäle scheinen aber überdauert zu haben.

Die Veröffentlichung des Treffens wird nun benutzt, um erneut die vermeintlich enorme Gefahr durch russische Einflussnahme zu beschreien. So sprechen die Grünen von „Schattendiplomatie“ und fordern Aufklärung, die FDP äußert sich ähnlich. Die Kriegstreiberin und Rheinmetall-Lobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann fordert ebenfalls Konsequenzen.

CDU und SPD, von denen jeweils Parteimitglieder auf dem Treffen anwesend waren, äußern sich betont zurückhaltend und ambivalent. So kritisieren Teile der SPD die Teilnahme Ralf Stegners, während andere dies bewusst verteidigen.

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Auch Stegner und Co. verteidigen ihre Teilnahme: „Zu den Grundsätzen guter Außenpolitik gehört es, dass auch und gerade in schwierigen Zeiten von zunehmenden Spannungen, Konflikten und Kriegen, Gesprächskontakte in alle Teile der Welt und auch nach Russland aufrechterhalten werden sollten“.

Die „Schattendiplomatie“ ist Alltag

Doch worum geht es überhaupt? Deutsche und russische Politiker:innen haben sich getroffen, sich ausgetauscht und wurden dabei erwischt. „Dumm gelaufen“ könnte man sagen, da hat sich jemand wohl etwas ungeschickt angestellt. Trotz des Kriegs gab es jedoch die ganze Zeit über gewisse diplomatische Kanäle, sowohl zwischen den USA, als auch europäischen Staaten und sogar der Ukraine und Russland. Auch existierte trotz der Sanktionen weiterhin eingeschränkter Handel mit Russland – die Importe russischen Erdgases in die EU sind seit Beginn des Kriegs sogar deutlich gestiegen.

Der große mediale Aufschrei entspringt also weniger der Tatsache, dass dieses Verhalten für den parlamentarischen Politikbetrieb der BRD unüblich wäre, sondern ist vielmehr Ausdruck parteipolitischer Interessen, sich in der Öffentlichkeit möglichst gut darzustellen. Das verdeutlicht letztlich nur, dass es besonders in Fragen der strategischen Ausrichtung des deutschen Imperialismus keine Einhelligkeit in den politischen Hinterzimmern dieses Landes gibt: Mehr oder weniger EU, mehr Moskau oder lieber mehr Washington?

Das passt natürlich nicht zum in der Öffentlichkeit groß inszenierten Bild der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine einerseits und der harten Hand gegenüber Russland andererseits. Dass es dennoch ein Interesse daran gibt, weiterhin Kommunikationskanäle zu besitzen, zeigt ein beinahe beiläufiger Satz in der Tagesschau: „Politische Verantwortliche hätten Kenntnis von diesen Gesprächskontakten gehabt“.

Ganz unabhängig davon, wie umfassend diese Kenntnis der Regierung gewesen ist – manche Sachen weiß man besser auch nicht genauer – bleiben inoffizielle Gespräche und ein Herantasten und Interessenaustausch im Hintergrund ein ganz normales Werkzeug bürgerlicher Diplomatie.
Lassen wir uns also nicht von den öffentlich zur Schau gestellten Spielchen der Politiker:innen täuschen: Kein Geheimgespräch der Welt wird einen dauerhaften Frieden aushandeln können.

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